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Seite:Die Gartenlaube (1885) 485.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

No. 30.   1885.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Trudchens Heirath.

Von 0W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


Frau Baumhagen hatte ihre Abneigung gegen „Villa Waldruhe“ überwunden und war gekommen, um mit ihrer jüngsten Tochter zu sprechen; irgend etwas mußte geschehen, jedenfalls war sie nicht im Stande, die theilnehmenden Fragen nach dem Befinden der jungen Frau länger zu ertragen. Entweder – oder!

Trudchen saß am Fenster in ihrem dämmerigen kühlen Zimmer und las, wenigstens hielt sie ein Buch in der Hand; zu ihren Füßen schlief Linden’s Hund. Sie erhob sich erschreckt, als sie Tritte auf dem Korridore hörte, und einen Moment überzog ein helles Roth das blasse Gesicht. „Ach, Mama,“ sagte sie müde, als Frau Baumhagen über die Schwelle rauschte in lichtgrauer Toilette, den Hut der Halbtrauer wegen verschwenderisch mit Veilchen geschmückt, das runde Gesicht von der Frühlingssonne und Erregtheit noch lebhafter gefärbt, als sonst.

„Aber Kind, so geht es nicht länger!“ begann sie und küßte die Tochter zart auf die Stirn, „wie Du aussiehst, und wie kalt es hier ist! Jenny läßt Dich grüßen, sie ist heute früh nach Paris, um mit Arthur dort zusammen zu treffen; warum bist Du nicht mit gereist, wie ich Dir vorschlug?“

„Ich fühlte mich nicht wohl genug,“ erwiderte darauf Trudchen.

„Du siehst blaß aus. Es ist ja kein Wunder, ich habe auch nie Rücksichtslosigkeiten vertragen können.“

Die junge Frau hatte ihren Platz wieder eingenommen.

„War Onkel Heinrich einmal hier?“ fragte Frau Baumhagen.

„Gestern erst.“

„Nun, da weißt Du ja, daß Linden sich einfach seine Einmischung bei Wolff verbeten hat?“

„Ja, Mama.“

„Und daß dieser Herr Wolff seit drei Tagen mit dem Tode ringt? Es könnte wohl nichts Besseres passiren, als daß er stirbt, die Angelegenheit wäre damit natürlich zu Ende. Ob man in der Stadt schon eine Ahnung hat von dem wahren Sachverhalt, weiß ich nicht, aber irgend etwas ist in der Leute Mund, man überstürzt sich mit Erkundigungen nach Dir.“

Trudchen nickte leise mit dem Kopfe; sie wußte das Alles schon vom Onkel.

„Und er war nicht hier? bat nicht um Verzeihung, suchte keine Annäherung?“ fragte athemlos Frau Baumhagen.

„Nein!“ klang die Antwort, halb erstickt.

„Armes Kind!“ Die Mutter führte das Battisttuch an die Augen. „Es ist roh, geradezu roh! Danke Gott, daß Du so bald zur Einsicht gekommen. Aber Du kannst doch nicht die ganze Zeit, die der Scheidung vorangeht, hier zubringen?“


Angelika.0 Nach dem Oelgemälde von A. Seifert.


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 485. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_485.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)
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