Verschiedene: Die Gartenlaube (1885) | |
|
schwerfälligen Perücke auftrat, von dem damaligen „jungen Europa“ mit Jubel empfangen. Denn es hat in jedem Jahrhundert ein „junges Europa“, ein „junges Deutschland“, ein „Italia giovino“ etc. gegeben. Leider ist das junge Institut allemal gar zu schnell gealtert. Doch das ist ein Thema, das eine besondere Bearbeitung (zwar bis jetzt nicht gefunden hat, aber nothwendiger Weise) erfordert.
Heute sprechen wir nur von dem Zopfe.
Wenn ich deutlich machen soll, wie der Zopf gleich dem jungen Herkules in der Wiege schon Schlangen erwürgte, nämlich die Locken-Schlangen der Allongeperückc, und wie diese Heldenthat von Europa mit Beifall aufgenommen wurde, so muß ich ein wenig zurückgreifen auf die vorausgegangenen Jahrhunderte.
Vor dem Dreißigjährigen Krieg trug man kurze Haare und lange Bärte. Im 17. Jahrhundert dagegen wurden die Bärte immer kürzer und schmaler – der Kinnbart fiel ganz weg, und der Schnurrbart wurde durch Rasiren von der oberen und von der unteren Seite her zugleich dergestalt geschmälert, daß er nur noch einen dünnen Strich bildete – und die Kopfhaare wurden immer länger. Oder besser und deutlicher ausgedrückt: „Sollten immer länger werden.“ Da aber die Natur ihre Mitwirkung versagte zu den unsinnigen Plänen der Mode und der Menschen, so mußten bald die künstlichen und die todten Haare die Stelle der natürlichen und der lebendigen Haare vertreten; und das war der Ursprung der Perücken, und zwar jener Allonge-Perücken, welche sich „mit Millionen Locken“ auf dem menschlichen Haupt emporthürmten und außerdem noch die Ohren, den Rücken, die Schultern und einen Theil der Brust bedeckten.
Indessen gab es auch damals schon eine Minorität, welche es vorzog, das eigene Haupthaar zu tragen, und merkwürdiger Weise gehörten zu ihr gerade die zwei Männer, welche zu einander einen unversöhnlichen Gegensatz bildeten, so daß der eine dem andern zum Opfer fallen mußte. Das waren Kaiser Ferdinand II. und Wallenstein, richtiger „Waldstein“ geheißen. Beide haben niemals Perücken getragen.
Allein abgesehen von diesen beiden Häuptern jenes 17. Jahrhunderts, welches die Franzosen heute noch das „große“ (le grand siècle) nennen, wie sie auch ihren Haupt-Perücken-Stock, Ludwig XIV., den großen Herrscher (le grand monarque) tituliren, welches Jahrhundert für uns Deutsche dagegen unzweifelhaft das Jahrhundert des Elends, der Verarmung, des Rückganges, der Auflösung und des Verfalls war – abgesehen von so hohen Häuptern, sage ich, wagte es damals noch Niemand, den Perücken offen den Krieg zu erklären.
Man machte den schüchternen Versuch, an die Stelle der Allonge-Perücke die kurze runde Stutz-Perücke zu setzen. Allein auch das galt schon für ein Zeichen von bedenklicher Gesinnung, oder wie man es in unserer kauderwälschen officiellen Sprache ausdrückt: „von destruktiven Tendenzen“. Lord Mahon erzählt uns, daß die Königin Anna von England einen ihrer besten Minister in Ungnaden entließ, weil er sich erdreistet hatte, vor Höchstihren Augen, statt in einer großen Allonge-Perücke, in einer einfachen Stutz-Perücke zu erscheinen. Leibniz dagegen war klüger. Er war ein großer Gelehrter, aber auch ein großer Staats- und Hofmann. Er erschien nie anders, als in einer großen Perücke, und so sehen wir ihn auch heute noch in seiner vortrefflichen Portrait-Statue auf dem Platze vor der Thomaskirche in Leipzig.
Unter solchen Umständen ist es begreiflich, daß es damals selbst die Jugend noch nicht wagte, direkt gegen jeden Zwang und für die absolute, extreme und unbeschränkte Befreiung des Haupthaares aufzutreten, welche heutzutage die Regel ist und welche man vor hundert Jahren, als sie aufkam und als man in einer Art von römischem Pseudoklassicismus schwärmte, den „Titus-Kopf“ nannte. Sie wußte, daß man darin einen Angriff auf Thron und Altar, oder mindestens eine „subversive Tendenz“ gefunden haben würde. Gleichwohl wollte sie sich nicht mehr fernerhin in eine Wolke fremder Haare hüllen. Sie wollte das eigene Haarwachsthum kultiviren; aber sie wagte noch nicht, es ganz zu emancipiren, weil man darin ein „bedauerliches Zeichen von Sittenlosigkeit“ erblickt haben würde. Auf diesem Wege kam sie zu einem Kompromiß, nämlich: eigene Haare, aber in gebundener Form. Das war der Zopf – der Kompromiß zwischen Natur und Unnatur, zwischen freiem Haar und Perücke. Der Zopf war also der Fortschritt!
Schon in der Mitte des 17. Jahrhunderts hatte Moscherosch, genannt „Philander von Sittenwald“, in seinem „Alamode-Kehraus“ wider die Perücken gedonnert mit den Worten:
– „Bist Du ein Deutscher? Warum denn mußt Du ein falsches Haar tragen? Warum muß dies Haar also lang über die Schultern herabhangen? Warum willst Du das Haar nicht kurz beschneiden nach alter deutscher Sitte? Ist das nicht eine lose Leichtsinnigkeit? Diese langen Haare, also herabhangend, sind rechte Diebshaare und erdacht worden von den Wälschen, welchen um eines Diebsstückes oder einer andern Missethat willen ein Ohr abgeschnitten worden. Den Verlust möchten sie nun also mit den Haaren bedecken. Ihr aber wollt solche lasterhafte Leute in ihrer Untugend nachäffen? Eurer eigenen, ehrlichen, deutschen Haare wollt Ihr Euch schämen? Ihr wollet sie abschneiden und hingegen lieber eines wälschen Diebs- und Galgenvogels Haar Euch auf Euren Kopf setzen lassen? – Aber wer sich seines eigenen Haares schämt, der ist nicht werth, daß er einen Kopf hat.“
Der Ausdruck „Diebshaar“ erläutert sich aus dem Umstände, daß schon zur Zeit des alten Frankenreiches das Abschneiden des Haupthaars eine entehrende Strafe war und daß auch noch im 17. Jahrhundert in Frankreich und in Deutschland die Sitte herrschte, die überführten Diebe à la brebis (wie Schafe) zu scheren und zu stäupen. Das nur beiläufig.
Am deutlichsten läßt uns die preußische Dynastie erkennen, wie der Zopf die Perücke besiegt hat.
Friedrich I., der sich die Königskrone auf das Haupt gesetzt hat, war noch ganz und gar Perücke, und zwar Perücke in des Wortes verwegenster Bedeutung. Er trug Allongeperücken ausgedehntester Gattung.
König Friedrich Wilhelm I., der Vater Friedrich’s des Großen, eröffnete den Krieg wider die großen Perücken zu Gunsten – der kleinen. Anstatt der Allongeperücke führte er die bereits erwähnte kleine runde Stutzperücke ein. Zuerst trug er eine braune, in seinen letzten Lebensjahren eine schneeweiße. Beim Militär führte er den Zopf ein. Mit der Perücke für den gemeinen Mann ging’s ohnedies nicht. Das wäre schon viel zu theuer geworden, und Friedrich Wilhelm I. war, wenngleich er auf den Erwerb langer Rekruten ein großes Stück Geld verwandte, doch vor allen Dingen sehr sparsam. Daneben haßte er den französischen Luxus und folglich auch das „falsche Pathos der Haare“, die „falsche Behauptung“, das ist die Perücke. Die streng geregelte Tracht des eigenen Haares in einer gebundenen, die stramme Mannszucht versinnbildlichenden Form war sein Ideal. Seitdem begann man von dem „preußischen“ Zopfe zu sprechen.
Und Friedrich der Große war es, der diesen preußischen Zopf zu Ehren gebracht hat. Denn Friedrich trug überhaupt keine Perücke. Wie Friedrich I. ganz Perücke war, so Friedrich II. ganz Zopf, wenngleich keineswegs nur Zopf. Und es gelang ihm, dem Zopfe Bahn zu brechen, und zwar nicht nur in der Armee, sondern auch in der bürgerlichen Gesellschaft. Heute lächeln wir unwillkürlich, sobald von der „Zopfzeit“ die Rede. Aber man darf dabei Zweierlei nicht vergessen: Einmal: die Vorzüge des Zopfes vor der Perücke. Vor Allem, daß er weniger Zeit, Schonung und Pflege in Anspruch nahm, und dann, daß er weniger kostete.
Sodann, – daß die größten Männer Zöpfe getragen; ich nenne nur Gotthold Ephraim Lessing, Albrecht von Haller, Klopstock, Wieland, Herder, Kant, Winckelmann, Linné, Buffon, Voltaire etc. Auch Kaiser Wilhelm und seine Brüder haben in der Jugend noch Zöpfe getragen.
Allein obgleich der Zopf von einem großen Könige und von einer Reihe geistiger Heroen getragen und beschützt ward, vermochte er doch nicht ohne schwere Kämpfe zur Herrschaft zu gelangen. Noch im 17. Jahrhundert herrschte unter der Geistlichkeit ein heftiger Streit darüber, ob es dem Priester erlaubt sei, sich der Perücke zu bedienen. Ein französischer Doktor der Theologie Namens Jean Baptiste Thiers hat eine eben so dickleibige, als wüthende Streitschrift wider die geistlichen Perücken geschrieben. Doch die Perücken siegten. Im 18. Jahrhundert sehen wir dagegen das Schauspiel, wie die zur Herrschaft gelangten fanatisirten Perücken den Zopf als einen unberechtigten
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 490. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_490.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2022)