Verschiedene: Die Gartenlaube (1885) | |
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jetzt vor seiner Seele standen? Ein Grauen überlief ihn, nicht vor der That, nein, aber bei dem Gedanken, daß das, was erst That werden sollte, vielleicht in diesem Augenblicke schon erkannt und verrathen war. Er zitterte, bis er, sich plötzlich aufraffend, den Spaten wieder in den Boden stieß.
„Unsinn. Ein dummes altes Weib, das gerade klug genug ist, noch Dümmere hinters Licht zu führen. Aber ich will mich ihrer schon wehren, ihrer und ihrer ganzen Todtenkuckerei. Was ist es denn? Nichts. Sie sieht einen Sarg an der Thür stehn, und dann stirbt einer. Ja, sie sagt es, aber sagt es immer erst, wenn einer todt ist oder keinen Athem mehr hat oder das Wasser ihm schon ans Herz stößt. Ja, dann kann ich auch prophezeihn. Alte Hexe, Du sollst mir nicht weiter Sorge machen. Aber Ursel! Wie bring’ ich’s der bei? Da liegt der Stein. Und wissen muß sie’s. Es müssen zwei sein ..“
Und er schwieg. Bald aber fuhr er entschlossen fort: „Ah, bah, es wird sich finden, weil sich’s finden muß. Noth kennt kein Gebot. Und was sagte sie neulich, als ich das Gespräch mit ihr hatte? ‚Nur nicht arm sein .. Armuth ist das Schlimmste.‘ Daran halt’ ich sie; damit zwing’ ich sie. Sie muß wollen.“
Und so sprechend, ging er, das Grabscheit gewehrüber nehmend, wieder auf das Haus zu.
Eine Ruderfahrt auf der Themse.
Es ist recht erfreulich wahrzunehmen, daß der Rudersport in Deutschland in den letzten Jahren einen so wesentlichen Aufschwung genommen, allein den in dieser Hinsicht in England herrschenden Zuständen kommt derselbe doch noch lange nicht gleich. Das mag auch Manchen gar nicht wünschenswerth erscheinen – namentlich Solchen, die nie ein Ruder in der Hand gehabt. Es mag Einzelnes in dieser Beziehung bei den Engländern in der That auf die Spitze getrieben sein, aber das Rudern hat doch auch seine außerordentlichen Vortheile und Annehmlichkeiten mittelbar und unmittelbar. Deß ward ich jüngst so recht auf einer dreitägigen Themsefahrt inne. Ein verheiratheter Freund, der als trefflicher Ruderer bekannt und einmal sogar zur Mitwirkung an der ganz England alljährlich in Aufregung versetzenden Oxford and Cambridge boat race von seinen Kommilitonen ausgewählt worden war, hatte mich aufgefordert, diese Fahrt mit ihm, seiner Frau, zwei anderen Damen und einem dritten Herrn zu unternehmen. Da ich schon verschiedene kleine Ruderfahrten mit ihnen gemacht und mich allemal herrlich vergnügt hatte, so nahm ich die Einladung gern an.
Unser Boot, die „May“, war aus Mahagoni geschnitzt, mit Gold reich verziert und so leicht und elegant, wie man selten eins auf dem Kontinent zu sehen bekommt. Man brauchte nur einen schiefen Mund zu machen, so fing es schon an zu schaukeln. Hätte aber Jemand ein wenig den Kopf hängen lassen, es wäre unfehlbar umgestürzt. So sagte wenigstens mein Freund, und die Folge war denn auch die heiterste Laune auf allen Seiten. Derselbe wachte mit unerbittlicher Strenge darüber, daß kein irgendwie entbehrliches Gepäck das Boot beschwerte. Ich glaube, er hatte von vornherein die vulgäre Absicht, mit jedwedem Boote zu wettrudern, jedenfalls aber von keinem sich überholen zu lassen. Nur in Bezug auf Mitnahme von Proviant gab es für ihn keine Schranken, um so mehr aber in Bezug auf die Kleidungsstücke, von denen kein Extrastück erlaubt wurde. Als die Damen sich hiermit nicht zufrieden geben wollten und ohne ein zweites Kleid nicht glaubten fertig werden zu können, mußten sie sich dazu verstehen, dieses an einen Gasthof, wo wir für die zweite Nacht Zimmer genommen, vorauszusenden, um es dort für das erstere umzutauschen.
Wir waren sammt und sonders in Weiß gekleidet, wie Tausende von anderen Ruderern, die wir auf dem Flusse trafen. Unsere Damen trugen eine Art Finette, während die Herren nur mit der allgemein üblichen dünnen Flanellblouse, entsprechendem Beinkleide und Schuhen bekleidet waren. Gürtel, Halsbinden und Hutbänder waren Oxford(dunkel)-blau und harmonirten genau mit dem Besatze der Damenkleider. Ja, wir müssen ein „pretty sight“ (netter Anblick) gewesen sein! – Nur die nothwendigsten Regenmäntel und Decken waren gestattet, und als reiner Luxusartikel nur eine kleine englische und eine – deutsche Flagge, eine Aufmerksamkeit, auf die ich zu Anfang nicht wenig stolz war. Ahnte mir doch nicht, welches Ungemach sie mir hinterdrein bereiten sollte.
Solchermaßen ausgestattet, war die „May“ mit der Bahn nach Oxford gesandt, sodaß wir nur flußabwärts zu rudern hatten. Von hier bis Richmond, wo meine Freunde zu Hause sind und das in geringer Entfernung oberhalb Londons liegt, beträgt die Entfernung ungefähr hundert englische Meilen – gerade genug für drei Tage! Nach Oxford fuhren denn auch wir mit der Bahn, und hier in der altehrwürdigen hübschen Universitätsstadt gingen wir an Bord. Das rechte Flußleben fängt indeß hier erst ganz allmählich an. Nur wenige Dutzende von Booten trafen wir den ersten Tag. Beginnt doch die eigentliche Themse erst 17 Meilen abwärts von Oxford und wird bis dahin vielfach nur als Isis oder Ouse bezeichnet. Erst wo die Thame sich mit der Isis verbindet, wird die „Thamesis“ oder „Thames“ daraus.
Die Gegend ist hier idyllisch einfach und still, wie sie uns die Illustration von der Hand C. Lawson’s vorführt. Der Künstler hat sich mit den dürftigsten Anhaltspunkten begnügt und doch ein Bild entworfen, das auf den ersten Blick die Themse erkennen läßt, die Themse mit ihren klaren Fluthen, die nur hier und dort von Feldern von Wasserlilien bedeckt wird, die Themse mit der üppigen Vegetation ihrer lieblichen Uferpartien, mit dem reichen frischen englischen Grün, das so viel grüner ist, als in anderen Landen, denn wie die Frauen und Mädchen Englands durch die zarte Frische ihres Teint sich auszeichnen, so ist für eine englische Landschaft das frische Kolorit, das darüber ausgehaucht, charakteristisch. Und warum sollte nicht das Eine von dem Andern sich herleiten!
Die erste Nacht brachten wir in dem kleinen Ort Goring zu. Die Gegend wird nun immer schöner. Wohlgepflegte Parkanlagen mit kurzgeschorenen, spiegelglatten Rasenflächen wechseln ab mit blumigen Wiesen und malerischen Hügelketten. Wie mundete es doch da, wenn wir nach einer scharfen Fahrt auf einem schön gelegenen Inselchen oder am schattigen Gestade unser Lager aufschlugen und einen rechten englischen Picknick abhielten!
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 538. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_538.jpg&oldid=- (Version vom 20.3.2024)