verschiedene: Die Gartenlaube (1885) | |
|
Und wie sich die englischen Damen auf ein solches Leben verstehen! Ganz irrig wäre es aber, ihnen deßhalb die Eigenschaft, die sie selbst so passend mit „fast“ bezeichnen, zuschreiben zu wollen, nur weil sie das Ruder zu handhaben und einem Picknick vorzustehen wissen. Wohlgesittetere Mädchen und Frauen, als diejenigen, die uns begleiteten, giebt es gewiß nicht. Dagegen erhöhte ihre Gegenwart an sich schon die Freuden und Annehmlichkeiten der Fahrt in hohem Grade, um so mehr, als wir durch keinerlei Verpäppelung ihrerseits in der Erreichung des uns vorgesteckten Zieles bedingt wurden.
Mit Zunahme der Schönheiten des Flusses wurde auch das Leben auf demselben ein regeres. Das zeigte sich nun vornehmlich bei den vielfachen Schleusen, die, auf der Strecke von Oxford bis London in einer Anzahl von nicht weniger als 40 errichtet, das Gefälle des Flusses auf ein Minimum beschränken und so selbst das Rudern flußaufwärts zur Leichtigkeit machen. Hier trafen wir oftmals mit 30 bis 40 Booten zusammen. Mehr vermochte eine einzige Schleuse selten zu fassen. Es mußten also manche Fahrzeuge noch außerhalb derselben bleiben. Diejenigen aber, welche hineingekommen waren, fanden drinnen, nicht selten eng aneinander gedrängt, Muße genug, sich gegenseitig genauer Musterung zu unterziehen. Sobald aber das untere Wasserthor sich öffnete, ging’s mit rastlosem Eifer – ja hin und wieder auch mit rücksichtslosem Ungestüm! – durch dasselbe hindurch, sodaß die außerhalb harrenden Boote, die flußaufwärts wollten, klüglicher Weise sich hart an den Ufern hielten, um dem Anprall möglichst auszuweichen.
Nach der kurzen Rast in der Schleuse tauchten nun die Ruder mit erneuter Kraft in die Fluth, und in dem entstehenden Gewirre wollte Niemand gern zurückbleiben. Bald aber ward es uns klar, daß man unserem Boote insonderheit den Vorrang nicht gewähren wollte. Es war offenbar die deutsche Flagge auf demselben, welche die wettruderbegierigen Engländer reizte wie das rothe Tuch des Toreador den Stier in der Arena. Es giebt viele Ruderer, die, wie die Bauern auf der Brautfahrt, die Omnibuskutscher auf der Suche nach Passagieren, es nicht über sich ergehen lassen können, daß Jemand sie überholt. Was Wunder, wenn man da eine ausländische Flagge auf den heimischen Gewässern nicht vorüber lassen wollte. Meine Freunde und Bootsgenossen waren aber nicht minder eifersüchtig. Ohne ein Wort, ohne einen Blick mit den Insassen anderer Boote auszutauschen, ruderten sie, anscheinend mit äußerster Nonchalance, in Wirklichkeit aber oft meilenweit unter entsetzlicher Anstrengung, nur um sich nicht überholen zu lassen. Sie waren aber – selbst die Damen – so rudergewandt, daß ich mich im Stillen einer gewissen schnöden Freude nicht erwehren konnte ob der Triumphe, die unsere deutsche Flagge auf englischen Gewässern davontrug, eine Freude, die – es war gewiß unrecht von mir – durch den Umstand, daß es Engländer waren, die unter der deutschen Flagge Engländer besiegten, keineswegs vergällt wurde, denn so oft ich an die Reihe kam, mit Jemand zusammen zu rudern, änderte sich die Sache regelmäßig. Dann schienen unsere Rivalen stets besonders geschickt zu sein. Ich weiß nicht, wie es kam – aber wir blieben dann meistens zurück! Das hätte mir nun wenig ausgemacht, wäre die deutsche Flagge nicht gewesen. Ach, die Flagge, die Flagge! Schon dachte ich ernstlich daran, zu proponiren, daß wir dieselbe einzögen – wenigstens wenn ich mitruderte; aber konnte ich mich so erniedrigen? – Keineswegs! – Und so habe ich denn gerudert und gerudert – fürs Vaterland! fürchte aber, demselben wenig Ehre gemacht zu haben.
Zu dem Platze, wo alljährlich die großartigste internationale Regatta der Welt stattfindet, Henley, kamen wir noch an demselben Tage. Wie es zur Zeit der Regatta dort aussieht, davon dürfte unsere Illustration S. 545 ein anschauliches und zugleich naturwahres Bild geben.
Auch deutsche Ruder-Vereine – wie der Frankfurter und Hamburger – haben zu wiederholten Malen ihre Vertreter hierher geschickt und sich oft durch ihre tüchtigen Leistungen in den Wettkämpfen Anerkennung erworben.
In Great Marlow verbrachten wir die zweite Nacht. Von hier kamen wir am nächsten Morgen bald an die schönsten Strecken, welche die Themse aufzuweisen hat. Cookham und Cliveden, der prächtige Landsitz des Herzogs von Westminster, sind reizende Punkte. Das Schloß selbst ist vom Flusse aus leider nicht sichtbar, doch wird das Auge durch die dazu gehörigen prächtigen Waldungen nebst einigen Försterhäuschen genügend entschädigt. Nicht minder schön sind Maidenhead und Burnham Beeches, der Lieblingsaufenthalt des Dichters Gray. Daran reiht sich in einiger Entfernung die königliche Residenz Windsor, deren prächtige Lage schon Wilhelm dem Eroberer dermaßen gefiel, daß er sich ein Schloß daselbst errichtete. Dieses wurde später von Heinrich I. vergrößert und Georg IV. verausgabte nahezu eine Million Pfund Sterling zur Verschönerung desselben. Und ein gar herrlicher stolzer Bau ist es geworden. Auf der anderen Seite des Flusses liegt Eton, bekannt durch das von Heinrich VI. gegründete Eton-College, die vornehmste Hochschule Englands.
Doch Bauten ganz anderer Art zogen nun immer mehr unsere Aufmerksamkeit an: Häuser im Flusse selbst, schwimmende Häuser, die immer zahlreicher an malerischen Punkten des Ufers anzutreffen waren. Dieselben erinnern lebhaft an eine Arche Noah, doch sind sie meistens sehr elegant und mit einem platten Dache versehen, das vortreffliche Ruhesitze gewährt. Man sieht sie von den verschiedensten Größen. Zuweilen nur zwei, manchmal auch mehr als ein halbes Dutzend Zimmer enthaltend, scheinen sie wie für die Zeit der Flitterwocheu geschaffen. Werden ihre Bewohner des Aufenthalts an einer Stelle müde, so brauchen sie nur einen Dampfer vorspannen zu lassen. Und wohnen sie heute bei Windsor,
verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 539. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_539.jpg&oldid=- (Version vom 20.3.2024)