Verschiedene: Die Gartenlaube (1885) | |
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Hand angelegt hätte, den Volkmar Fuchs mit seinem kranken Weibe dahin zu spediren, wohin er, nach ihrer Meinung immer, gehörte. Er hatte es ja von Kindesbeinen an darnach gemacht – sakerment! Ja, ohne das liebe Fräulein Phöbe aus dem Pastorhause hätte ich ihnen schon in der ersten Nacht nach unserer Austreibung was angerichtet, woran sie über Jahr und Tag noch wieder aufzubauen haben sollten. Ohne Der ihr eigen Kopfkissen und Bettdecke – ja, ja – na, na! Na, das ist ja nun aber auch vorüber und die Welt noch vorhanden, und das Dorf habe ich ja auch stehen lassen; – hier sind wir Alle – was noch von uns übrig ist, ziemlich wohlauf und warten bei den Fichtenwürmern aufs Nächste, was uns von Oben oder Unten zu Theil werden mag. Die Fee ist ja nun in Sicherheit vor Hunger und Kummer, Regen und Wind und Schimpfgerede, und mit Spörenwagen bin ich auch so ziemlich aufs Reine, und ich würde hiervon auch gar nicht wieder angefangen haben, wenn die schöne Dame es mir nicht so heraus holte. – Da kam mir der Herr Pastor Hahnemeyer – ja Der! Da kam er mir in meiner Frauen Sterbenacht und wollte mir auf seine Weise zum Verständniß reden. Ich könnte heute fast darüber lachen, denn auf seine Weise ist der eben so eine Unglückskreatur als wie ich; und wäre er jung geworden und aufgewachsen als wie ich, so wäre er heute ganz wie ich; aber umgekehrten Falls vielleicht ich noch lange nicht wie er. Der hat seinen Ingrimm und seine Lust und Rathlosigkeit auf der Erde an die Heiligkeit gewendet, darauf muß er nun bis zu Ende reisen – wir sind alle unruhige Gäste auf des Herrn Erdboden, sagt Fräulein Phöbe, – und ich, ich hätte ihn erwürgt in der Nacht nach dem Absterben meiner Anna ohne den Schluck, den er aus meiner Flasche nahm bei der Leiche. Der hat ihm meine Faust von der Gurgel gehalten in meiner Tollwuth, und so war es nur eine Erleichterung, als er abging und uns auf der Wiese wieder bei uns alleine ließ, nachdem er in Erfahrung gebracht hatte, daß er uns mit seinem Buche und seinem Predigen nicht zur Vernunft anleiten möge. Die Kinder schliefen wohl schon unter seiner Rednerei ein; aber ich habe bis an den nächsten Morgen mit Vergnügen bei meinem Weib wachgesessen und wegen dem armen schwarzen Mann grade so erleichtert hinter der Faust gelacht, wie wegen dem Lümmel, dem Vorsteher – nämlich ihrer unbändigen Verlegenheit halber. Mit dem Lachen auf den Stockzähnen ist’s aber aus und zu Ende gewesen, als dann Fräulein Phöbe und der fremde Herr, Baron oder Professor oder was er ist, kamen und ihr Heil versuchten. So feine Besuche hatte ich noch mein Lebtage nicht gehabt, und werden mir auch wohl mein Lebtage nicht wieder passiren. Ein liebes Paar – liebe Dame! So vornehme Leute, wie ich nicht auf Erden für möglich geachtet habe, trotzdem daß ich doch auch mal auf dem Versuch mit meinem Herrn Grafen in Berlin gewesen bin! So grundverschieden, und doch so ganz für einander gemacht in ihrer Meinung. Grade wie wenn zwei Wasser zusammen sich geben hier im Revier, wo das eine, das im Sprung von der Höhe kommt, das andere trifft, das im Thal hingeschlichen ist, wo man es kaum hörte im Dunkel und Buschwerk und wo beide sich gar nicht darüber zu verwundern brauchen, daß sie so gut zu einander passen, da sie doch von Erschaffung der Welt an vorher nichts voneinander gewußt hatten.“
„Das haben Sie sofort herausgefunden, Meister Fuchs?“ fragte Valerie, die bis hierhin ruhig und nur mit dunkel zusammengezogenen Augenbrauen den Räkel hatte reden lassen.
„Sitzen Sie mal so wie ich, schönste Dame, ob Sie es da nicht auch gleich spüren, was an der Menschheit ist, die bei Ihnen eintritt und Ihnen ihre Wuth und Tollheit abhandeln will! Da thut’s Manches nicht, womit der Mensch sonst beim Menschen Manches ausrichtet. Nicht Grobheit und Drohung mit den Landdragonern, nicht Geld und auch nicht bloße gute Worte. Vom Hinweis auf unsern Herrgott und seinen großen und kleinen Katechismus gar nicht zu reden. Da muß das anders kommen, wenn Einem da ein Licht in seinem Elend aufgehen soll! S’ war mir doch, als ob meine Anna unter ihrem Sackleinen und der Haide, welche ihr die Kinder übergeschüttet hatten, lache, wie sie lachte, als Spörenwagen und ich um sie einander zuerst vor die Brust griffen. Und so hatte ich den Sonnenschein seit Wochen nicht in der Kabache gehabt, als wie die Zwei, Fräulein Phöbe und der Herr Baron, jetzt darin standen und mir ihren Vorschlag thaten. Als die in ihrer Seele Eins wurden vor dem Tode, ist es mir in meiner Seele bloß als ein Licht aufgegangen: Und auf das Pack um Dich her hast Du was gegeben, Fuchs, wo doch so was möglich ist in der Welt? habe ich mich gefragt. Und nun frage ich Sie, liebe Dame, hätten Sie Ihre Einwilligung zurückgehalten? Hätten Sie sich vor solch einem Herrn und solch einem Fräulein blamiren mögen? Ne, Sie hätten gerade wie ich Ihre Anfechtungen hinuntergeschluckt und dabei es wie eine heiße Hand um Ihre Gurgel gefühlt. Sie hätten, gerade wie ich, Ihren ältesten Feind Spörenwagen mit seinem Edelmuth frei passiren lassen, als er in der Abenddämmerung mit seinem Karren und Sarge auf die Vierlingswiese anrückte. Und am andern Morgen, immer in der Gegenwart von dem Herrn Baron und Fräulein Phöbe Hahnemeyer, hätten Sie unter der begrabenen Bauernschande ruhig angehört, was der Herr Pastor noch über Sie und Ihre Jungen zu bemerken hatte. – Was uns anbetrifft, so hat sich der Räkel mit seinem Mädchen und seinem Jungen hinter all’ diesen noblen Leuten vom Kirchhofe weg in den Forst geschlichen, und da hat er Rathsversammlung gehalten zu Drei und gemeint: Haben die Halunken den Bau aufgeführt, so sollen sie ihn niederlegen ohne uns. Was sie darin von uns noch finden, schenken wir ihnen, Pestilenz, Ansteckung und Alles. Nun thut mir aber die Liebe an, Bälger, und legt Euch nicht selber! Mit Eurer lieben Fee und Mama ist das ja nun doch anders in Ordnung gebracht, als wir es uns mit ihr vorgenommen hatten; na, und nun laßt es auch Euch so lieb sein. In die Schule holen sie Euch wohl noch nicht wegen ihres allgemeinen Wohlbefindens – also, meinswegen, melden wir uns beim Oberförster von wegen Arbeit beim Windbruch, so weit als möglich weg aus ihrer Witterung. Sehen Sie, liebe Dame, da steht des Räkels neues Wohngebäude, da behilft er sich nun auch ohne seine Fee! Heb’ den Pott von den Kohlen, junger Räkel, heb den Deckel vom Pott, junge Fee. Also Sie wollen wirklich nicht mithalten, liebe junge Dame? Eselstoffel, dann rücke Du wenigstens ’ran.“
Die fremde junge Dame überwand den letzten Schauder vor der Kochkunst ihrer Wirthe. Wie Prudens Hahnemeyer getrunken hatte mit den Armen und Elenden, aß sie mit ihnen. Sie brach ein Stück von dem schwarzen Brote, das ihr der Waldarbeiter hinhielt, tauchte es in die verdächtige Brühe und aß. Dann wandte sie sich an ihren Begleiter und sagte mit tiefem Seufzer:
„Eselstoffel, wenn wir gegessen haben, wollen wir weiter.“
Die sinkende Sonne dieses Tages hat Phöbe Hahnemeyer in seele- und sinnzerüttendem Nachgrübeln und ihren Bruder in unruhigem Erstaunen und einigem Unmuth über einen Besuch gefunden, den beide Geschwister am Nachmittage zu empfangen hatten.
Die Zeitlichkeit als Weib, in all’ ihrer Liebenswürdigkeit und Schönheit, hatte das stille asketische Pharrhaus im Gebirge überfallen, es so zu sagen mit Sturm genommen und jedenfalls durchaus nicht vorher um die Erlaubniß dazu angefragt.
Fräulein Valerie, der unruhige Gast, hatte ihr Reitthier sammt ihrem Knappen nach dem Dorfkruge geschickt und war in die Laube an dem versunkenen Kirchhofe und im Schatten der Kirche eingetreten – lächelnd, sieghaft, fürstlich und vor allem mit herzbezaubernder Freundlichkeit und Natürlichkeit.
Sie hatte nicht einmal das alte, schon biblisch bekannte Mittel gebraucht, einen Trunk aus dem Brunnen für ihren Durst zu fordern, um die Bekanntschaft einzuleiten. Sie hatte einfach gesagt, wer sie sei und wie sie heiße; hatte gesagt, daß sie drunten im Bade wohne, und daß sie eine gute Bekannte des Herrn Veit Bielow, des Jugendfreundes des Herrn Pastors, sei.
„Und entsetzlich heiß und staubig und langweilig ist’s da unten, und Professor von Bielow, der ein so guter Freund des Herrn Pastors ist und ein so großer Lobredner dieses lieben Fräuleins geworden ist, hat mir so viel von diesem lieben, gastlichen Hause berichtet und von den Felsen und Wäldern und Leuten umher, daß ich widerstandslos das Alles selbst kennen lernen mußte. Und nachdem sie mich gestern Abend im Hôtel um den letzten Funken von gutem Humor gebracht und von jeder Rücksichtnahme auf Papa, Onkel und sonstige Familien- und Gesellschaftsgenossenschaft entbunden haben, bin ich ihnen allen heute Morgen in der Frühe durchgegangen und bin unter dem Schutz und Schirm
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 544. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_544.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2024)