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Seite:Die Gartenlaube (1885) 624.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Meine Frau! mein gesundes, junges, lachendes Weib! habe ich mich nicht ihrethalb um mein weinerliches Dasein zu wehren? Sie alle haben verständigerweise ihr Bestes gethan, ihr die Sache im vernünftigen Lichte zu zeigen. Vater, Bruder, Verwandte und gute Freunde beiderlei Geschlechts haben ihr ihre Thorheit eindringlichst aus einander gesetzt; aber sie ist doch gekommen und hat meine Hand mit der ihrigen fest ergriffen und hat gesagt: Du wußtest es doch noch nicht ganz genau, wie sehr Du mein Eigenthum warst. Du hast mir viele Schmerzen bereitet und zu mancherlei bösen Gedanken verholfen; aber es hilft nichts, ich will mein Recht an Dich nicht aufgeben. Du gehörst mir und keinem Andern! Ich lasse Dich keinem Andern auf dieser Erde, und der Erde selbst fürs Erste auch nicht. Ich nehme Dich für gut und böse, für Gesundheit und Krankheit, für Leben und Tod. Ich nehme Dich auch gleich mit mir. Die Formalitäten machen wir so rasch als möglich ab; in vier Wochen können wir zusammen allein sein und auf dem Wege in ein neues Leben. Dir wie mir hilft nur eine andere Sonne über dem Kopfe und ein anderer Boden unter den Füßen, und der Onkel Geheimrath ist ganz meiner Meinung und stellt uns auch seine Villa bei Florenz als ersten Ruheplatz für unsere lahmen Fittiche gern zur Verfügung. Komm mit mir, Veit; der trübe deutsche Himmel taugt augenblicklich weniger denn je für uns Zwei – für Einen von uns Beiden.‘

So sind wir geflohen vor dem germanischen Daseinsgrau, nach Florenz, nach Rom, nach Neapel und so jetzt nach Sicilien. Persephoneia gedenke der eigenen Noth im Thal Enna und sei uns gnädig in unseren Nöthen!

Wie Vieles hätten wir Euch noch zu sagen; aber der Abend kommt rasch hier im hellen Süden. Schon schleicht die Dämmerung über das mittelländische Meer, und in einer halben Stunde wird es Nacht sein. So gelange ich denn jetzt zu dem verspäteten Gast- und Dankgeschenk, das mit diesem Briefe seinen Weg zu Euch – zu meiner lieben, unvergeßlichen Freundin und Retterin Phöbe sucht. Und es ist wieder Valerie, die gesucht, gefunden, und hoffentlich das Rechte gefunden hat, der Theuren, Lieben, Guten eine Freude in ihrem Sinne, nach ihrem Herzen zu bereiten. Nicht ich, sondern meine Frau war bei der Aufdeckung der Gräberstätte gegenwärtig und hat das ernste Geräth mit seinem rührenden altchristlichen Symbolum, Taube, Fisch und Kreuz von der Steinplatte gehoben, auf welche vor sechszehnhundert Jahren eine bebende Hand es niedergesetzt hatte.

Flaviolus Phoebes Domitillae implorat pacem aeternam, stand auf dem Stein eingegraben. Ich übersetze das heute: Der Freund – der Bruder, der Anverlobte der Phoebe erfleht den ewigen Frieden, und Valerie hat gesagt: ‚Das wäre nun etwas für Dich und unsere Schwester im Norden! Und auch Dein ernster Jugendgenosse in seinem deutschen Pastorenhause würde sicherlich einiges Interesse daran nehmen; zumal da Du diesmal in jeder Beziehung für die Echtheit der Sache bürgen kannst.‘

Ja, es ist Valerie und mir ein friedlich schöner Gedanke, diese kleine Bronzelampe mit Taube und Kreuz unter Euerm Dache, auf dem Arbeitstischchen unserer lieben Schwester Phöbe zu wissen. Die Besitzergreifung war nicht ohne einige Schwierigkeiten zu bewerkstelligen; aber Valerie’s Verbindungen in hiesigen und vaterländischen diplomatisch-gesellschaftlichen Kreisen haben uns recht geholfen. Ich muß meiner Frau die Ehre lassen, sie hat eine Energie bei den Verhandlungen entwickelt, die nicht lebendiger sein konnte und mir in meinem Krankensessel ungemein wohl gethan hat; zumal da sie sonst immer ernst, fast finster sich abwendet, wenn die leiseste Andeutung in unserer Unterhaltung meinen sommerlichen seltsamen Abstecher zu Eurem Hause und dem Kirchhofe Eueres Dorfes streift. So bin ich ihr von Herzen um so dankbarer für den lieben Eifer, den sie hierin bewiesen hat. Phöbe hätte sehen müssen, mit welchem Lächeln sie, nach einer letzten weiblich-diplomatischen Verhandlung mit ihren Freunden bei den zuständigen italienischen Behörden, kam, mir das kleine Kunstwerk in die Hände legte und rief:

‚Ich habe sie! Schicke sie der Freundin und schreibe ihr, auch Valerie Bielow wisse für sich kein besseres Angedenken an den unruhigen Sommer dieses Jahres und seine Gäste zu senden, Valerie küsse die gute Phöbe und bitte auch um Verzeihung für ihren wilden Einbruch in ihr ruhevolles Dasein!‘

Man stellt mir eben eine andere Lampe auf den Tisch mit dem landesüblichen Gruß: Felicissima notte! Ich habe in die Dämmerung hinein geschrieben, ohne es zu merken, daß es beinahe ganz Nacht geworden ist. Das große Meer ist kaum noch zu sehen, und zu hören ist es auch nicht mehr vor dem wachsenden Lärm der Gasse. Valerie schließt mir sorglich die Fenster, und sie und mein armer betäubter Kopf rathen beide dringend zum Beendigen dieses kränklich verworrenen Briefes. Wie viel von Eurem Sommergast ist zurückgeblieben in der Hütte des Räkels auf der Vierlingswiese! Was von dem frühern Veit Bielow ist mit begraben worden unter dem Hügel der Fee auf dem Kirchhofe Deines Dorfes, Prudens Hahnemeyer! Ich lache nicht mehr über Deine Nerven, alter Freund. Suche sanft mit unserer Schwester umzugehen, Prudens: die Starken lachen auch selten auf dieser Erde, aber sie zeigen es auch nicht durch Thränen, wenn wir Andern ihnen weh gethan haben.

Veit von Bielow.“     
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Als Phöbe an diesem Abend von ihren milden Werken und beschwerlichen Wegen im Dorfe nach Hause zurückgekehrt war, ist ihr Bruder doch nicht viel anders als sonst mit ihr umgegangen. Mit dem gewohnten Ton und einer kurzen deutenden Handbewegung hat er gesagt:

„Da ist in Deiner Abwesenheit noch ein Brief angekommen, der Dir mit – und ein Geschenk, das Dir allein gilt. Siehe nun zu, was Du aus des Mannes Schreiben und aus seiner Gabe verstehen und für Dich entnehmen kannst. Ich sehe nur, daß ihn ein starker Arm hält und schüttelt, und daß er sich nach der Art von Seinesgleichen zwischen Frivolität und Hypochondrie, zwischen Eitelkeit und Weinerlichkeit wehrt. Wir können ihm nicht helfen, Phöbe! Er ist in den Tagen seiner Schwäche eben so fern von uns, wie neulich, da er in der Erde Sommerluft, im vollen Gefühl seiner Kraft und in der Sicherheit seiner Wissenschaft und Künste zu uns eintrat. Er ist ein Thor und schreibt thöricht und schwächlich; aber ich meine doch, daß Du seine Gabe nehmen darfst. In welchem Sinne, darüber sprechen wir wohl noch in Nächten, die ruhiger sind als die jetzige. Es redet jetzt ein Anderer zu laut durch seinen Sturm. Dieser Wind ist entsetzlich und betäubt mir vollständig die Sinne. Nimm den Brief und das Geschenk Deines Freundes mit Dir, Kind; ich kann Dir vielleicht morgen genauer sagen, wie ich über Beides denke und was für eine Antwort darauf nöthig sein wird.“

Phöbe hat den Brief Veit von Bielow’s und die Grablampe der Phoebe Domitilla in ihr Stübchen getragen. Sie hat aus dem Schreiben ihres unruhigen Sommergastes begriffen, daß eine Antwort darauf nicht möglich sein wird. Es ist weit nach Mitternacht. Das kleine ernste Geräth, das über ein Jahrtausend in der Stille und Dunkelheit ruhte, wird nun vom winterlichen Sturm des deutschen Gebirges umbraust; es steht unverwundert auf der Stelle, die ihm die Gastfreunde im fernen Süden auf dem Tische der Idiotenlehrerin aus Halah anwiesen.

Phöbe schreitet nicht unruhvoll, wie ihr Bruder, auf und ab in der wilden Nacht. Sie sitzt still in dem engen Lichtkreis, nicht der römischen Grablampe, sondern ihrer Arbeitslampe. Und trotzdem, daß man es ihren Augen ansieht, daß sie geweint hat, weil Valerie von Bielow immer noch nicht ihr verzeihen kann, ist sie im Frieden, und fürchtet sich nicht vor dem Lärmen des Windes und nicht vor ihrem ewigen Anrecht an die alte Erde, draußen unter der Felswand neben dem Hügel der Fee, wo augenblicklich, wie man im Dorfe sagen würde: auch der stärkste Mann sich nicht auf den Füßen halten kann. Sie ist die einzige Gewappnete unter alle den Rüstungslosen, die einzige Ruhige unter alle den Aufgeregten, die einzige Gesunde unter alle den Kranken. Ohne ihr Zuthun hat sie die Gabe – die Gnade, von der Spörenwagen, der Kommunist, auf dem Wege nach Hause redete.

Wo aber ist nun Phöbe in diesem Augenblick mit ihren Gedanken? Nicht bei den Freunden aus dem Säkulum im fernen Palermo; nicht bei dem Bruder, dem Pfarrer Prudens Hahnemeyer – bei all’ diesen unruhigen Gästen des Erdenlebens.

Bei ihren Kindern in Schmerzhausen ist sie in ihren Gedanken, und eben lächelt sie und spricht leise:

„Daß mir keines den Reigen stört; sonst muß ich böse werden!“


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 624. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_624.jpg&oldid=- (Version vom 17.10.2024)
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