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Seite:Die Gartenlaube (1885) 630.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Wir haben Christum und seinen Wandel als Vorbild, dem wir im Gefühl unsrer Schwäche demüthig nachstreben sollen. Aber wahren wir uns vor Selbstgerechtigkeit, vor allem vor der, die sich in Zerknirschung äußert. Das ist die Hauptsache.“ Wenn er das trocken-geschäftsmäßig, ohne Pathos und selbst ohne jede Spur von Salbung gesagt hatte, ließ er die Sache sofort wieder fallen und fragte, zu natürlicheren und ihm wichtiger dünkenden Dingen übergehend, „wie weit der Bau sei?“ Denn er wolle nächstes Frühjahr auch bauen. Und wenn dann die Hradscheck, um ihm zu Willen zu sein, von allen möglichen Kleinigkeiten, am liebsten und eingehendsten aber von den Meinungsverschiedenheiten zwischen ihrem Mann und Zimmermeister Buggenhagen geplaudert hatte, rieb er sich schmunzelnd und vor sich hinnickend die Hand und sagte rasch und in augenscheinlicher Furcht, das Seelengespräch wieder aufgenommen zu sehn: „Und nun, liebe Frau Hradscheck, muß ich Ihnen meine Nelken zeigen.“

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Um Johanni wußte ganz Tschechin, daß die Hradscheck es nicht lange mehr machen werde. Keinem entging es. Nur sie selber sah es so schlimm nicht an und wollte von keinem Doktor hören. „Sie wissen ja doch nichts. Und dann der Wagen und das viele Geld.“ Auf das Letztere, das „viele Geld“, kam sie jetzt überhaupt mit Vorliebe zu sprechen, fand alles unnöthig oder zu theuer, und während sie noch das Jahr vorher für ein Polysander-Fortepiano gewesen war, um es, wenn nicht der Amtsräthin in Friedrichsau, so doch wenigstens der Domänenpächterin auf Schloß Solikant gleich zu thun, war sie jetzt sparsam bis zum Geiz. Hradscheck ließ sie gewähren, und nur einmal, als sie gerade beim Schotenpalen war, nahm er sich ein Herz und sagte: „Was ist das nur jetzt, Ursel? Du ringst Dir ja jeden Dreier von der Seele.“ Sie schwieg, drehte die Schüssel hin und her und palte weiter. Als er aber stehen blieb und auf Antwort zu warten schien, sagte sie, während sie die Schüssel rasch und heftig bei Seite setzte: „Soll es alles umsonst gewesen sein? Oder willst Du …“ Weiter kam sie nicht. Ein Herzkrampf, daran sie jetzt häufiger litt, überfiel sie wieder, und Hradscheck sprang zu, um ihr zu helfen.

Ihre Wirthschaft besorgte sie pünktlich, und alles ging am Schnürchen, wie vordem. Aber Interesse hatte sie nur für eins, und das Eine war der Bau. Sie wollt’ ihn, darin Hradscheck’s Eifer noch übertreffend, in möglichster Schnelle beendet sehn, und so sparsam sie sonst geworden war, so war sie doch gegen keine Mehrausgabe, die Beschleunigung und rascheres Zustandekommen versprach. Einmal sagte sie: „Wenn ich nur erst oben bin. Oben werd’ ich auch wieder Schlaf haben. Und wenn ich erst wieder schlafe, werd’ ich auch wieder gesund werden.“ Er wollte sie beruhigen und strich ihr mit der Hand über Stirn und Haar. Aber sie wich seiner Zärtlichkeit aus und kam in ein heftiges Zittern. Ueberhaupt war es jetzt öfter so, wie wenn sie sich vor ihm fürchte. ’Mal sagte sie leise: „Wenn er nur nicht so glatt und glau wär’. Er ist so munter und spricht so viel und kann alles. Ihn ficht nichts an … Und die drüben in Neu-Lewin war auch mit einem Male weg.“ Solche Stimmungen kamen ihr von Zeit zu Zeit, aber sie waren flüchtig und vergingen wieder.

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Und nun waren die letzten Augusttage.

„Morgen, Ursel, ist alles fertig.“

Und wirklich, als der andre Tag da war, bot ihr Hradscheck mit einer gewissen freundlichen Feierlichkeit den Arm, um sie treppauf in eine der neuen Stuben zu führen. Es war die, die nach der Kegelbahn hinauslag, jetzt die hübscheste, hellblau tapezirt und an der Decke gemalt: ein Kranz von Blüthen und Früchten, um den Tauben flogen und pickten. Auch das Bett war schon heraufgeschafft und stand an der Mittelwand, genau da, wo früher die Bettwand der alten Giebel- und Logirstube gewesen war.

Hradscheck erwartete Dank und gute Worte zu hören. Aber die Kranke sagte nur: „Hier? Hier, Abel?“

„Es sind neue Steine,“ stotterte Hradscheck.

Ursel indeß war schon von der Thürschwelle wieder zurückgetreten und ging den Gang entlang, nach der andern Giebelseite hinüber, wo sich ein gleich großes, auf den Hof hinaussehendes Zimmer befand. Sie trat an das Fenster und öffnete. Küchenrauch, mehr anheimelnd als störend, kam ihr von der Seite her entgegen und eine Henne mit ihren Küchelchen zog unten vorüber; Jakob aber, der holzsägend in Front einer offnen Remise stand, neckte sich mit Male, die beim Brunnen Wäsche spülte.

Hier will ich bleiben.“

Und Hradscheck, der durch den Auftritt mehr erschüttert als verdrossen war, war einverstanden und ließ alles, was sich von Einrichtungsgegenständen in der hellblau tapezirten und für Ursel bestimmten Stube befand, nach der andern Seite hinüberbringen.

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Und siehe da, Frau Hradscheck erholte sich wirklich und sogar rascher, als sie selbst zu hoffen gewagt hatte. Schlaf kam, der scharfe Zug um ihren Mund wich, und als die schon erwähnten Manövertage mit ihrer Dragoner-Einquartierung kamen, hatte sich ihr Aussehn und ihre Stimmung derart verbessert, daß sie gelegentlich die Wirthin machen und mit den Officieren plaudern konnte. Das Hagere, Hektische gab ihr, bei der guten Toilette, die sie zu machen verstand, etwas Distinguirtes, und ein alter Eskadronchef, der sie mit erstaunlicher Ritterlichkeit umkourte, sagte, wenn er ihr beim Frühstück nachsah und mit beiden Händen den langen blonden Schnurrbart drehte: „Famoses Weib. Auf Ehre. Wie die nur hierher kommt?“ Und dann gab er seiner Bewunderung auch Hradscheck gegenüber Ausdruck, worauf dieser nicht wenig geschmeichelt antwortete: „Ja, Herr Rittmeister, Glück muß der Mensch haben! Mancher kriegt’s im Schlaf.“

Und dann lachte der Eskadronchef und stieß mit ihm an.

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Das alles war Mitte September.

Aber das Wohlbefinden, so rasch es gekommen, so rasch ging es auch wieder, und ehe noch das Erntefest heran war, waren die Kräfte schon so geschwunden, daß die Kranke die Treppe kaum noch hinunter konnte. Sie blieb deßhalb oben, sah auf den Hof und machte sich, um doch etwas zu thun, mit der Neu-Einrichtung sämmtlicher Oberzimmer zu schaffen. Nur die Giebelstube, nach der Kegelbahn hin, vermied sie.

Hradscheck, der immer noch an die Möglichkeit einer Wiederherstellung gedacht hatte, sah jetzt auch, wie’s stand, und als der heimlich zu Rathe gezogene Doktor Oelze von Abzehrung und Nervenschwindsucht gesprochen, machte sich Hradscheck auf ihr Hinscheiden gefaßt. Daß er darauf gewartet hätte, konnte nicht wohl gesagt werden; im Gegentheil, er blieb seiner alten Neigung treu, war überaus rücksichtsvoll und klagte nie, daß ihm die Frau fehle. Er wollt’ auch von keiner andern Hilfe wissen und ordnete selber alles an, was in der Wirthschaft zu thun nöthig war. Vieles that er selbst. „Is doch ein Mordskerl,“ sagte Kunicke. „Was er will, kann er. Ich glaub, er kann auch einen Hasen abziehn und Sülze kochen.“

An dem Abend, wo Kunicke so gesprochen, hatte die Sitzung in der Weinstube wieder ziemlich lange gedauert, und Hradscheck war noch keine halbe Stunde zu Bett, als Male, die jetzt oben bei der Kranken schlief, treppab kam und an seine Thür klopfte.

„Herr Hradscheck, steihn’s upp. De Fru schickt mi. Se sülln ruppkoamen.“

Und nun saß er oben an ihrem Bett und sagte: „Soll ich nach Küstrin schicken, Ursel? Soll Oelze kommen? Der Weg ist gut. In drei Stunden ist er hier.“

„In drei Stunden …“

„Oder soll Eccelius kommen?“

„Nein,“ sagte sie, während sie sich mühvoll aufrichtete, „es geht nicht. Wenn ich es nehme, so sag’ ich es.“

Er schüttelte verdrießlich den Kopf.

„Und sag’ ich es nicht, so ess’ ich mir selber das Gericht.“

„Ach, laß doch das, Ursel. Was soll das? Daran denkt ja keiner. Und ich am wenigsten. Er soll bloß kommen und mit Dir sprechen. Er meint es gut mit Dir und kann Dir einen Spruch sagen.“

Es war, als ob sie sich’s überlege. Mit einem Mal aber sagte sie: „Selig sind die Friedfertigen; selig sind die reines Herzens sind; selig sind die Sanftmüthigen. All die kommen in Abraham’s Schoß. Aber wohin kommen wir?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 630. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_630.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)
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