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Seite:Die Gartenlaube (1885) 830.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

hat, daß er denn eigentlich möcht’, wie er den Weg zum selbigen g’funden und was er ihm zug’schrieen hat – auf das Alles hätt’ er sich darnach nimmer derinnern können, und wenn’s sein ewigs Leben ’golten hätt’ – erst wie dem Andern ’s helle Blut über’s weiße G’sicht wegg’schossen is, wie er ihn niederstürzen hat sehen vor ihm, da is ihm d’ B’sinnung wieder ’kommen, da is ihm eiskalt ’worden über’m ganzen Leib – und wie er in der eigenen Hand den blanken, blutigen Säbel g’sehen hat, da hat er erst verstanden, was g’schehen war – da hat ihn aber auch schon d’ Angst und ’s Grausen ’packt, daß ’s ihn fort’trieben hat, g’martert von doppelter Verzweiflung – über der Hanni ihr traurigs Sterben und über sein’ eigene Schandthat –“

„Na, na, es war an Unglück,“ schluchzte Veverl auf, „und unser Herrgott wird’s ihm net vergessen haben, daß ihm ’s Herzleid um sein’ liebe Schwester d’ Sinn’ verwirrt hat!“

„Veverl! Das war a freundlichs Wörtl, und tausendmal sag’ ich Dir –“

Betroffen von dem tiefinnigen Ton dieser Worte blickte Veverl auf, und da verstummte er, zog die Hände zurück, die er ihr in überwallender Bewegung entgegengestreckt hatte, und sprach nach kurzem Schweigen mit leiser Stimme weiter:

„Ja – tausendmal hab’ ich mir schon ’denkt, daß der liebe Herrgott Gnad’ für Recht hat ergehen lassen, weil er’s dem Ferdl wenigstens erspart hat, a Menschenleben auf sei’m G’wissen tragen z’ müssen – freilich – es brennt ja Menschenblut schon g’nug – und alles Andere – alles Andere noch dazu. Aber –“ dabei sprang er auf, mit einem Kopfschütteln und einer Armbewegung, als wollte er alle Gedanken und alle Erinnerung an diese trübe Geschichte jählings von sich abwerfen.

Mit irren Blicken schaute Veverl zu ihm auf; sie war wie betäubt von Allem, was sie gesehenn und gehört. Ein Schwindel hatte sie befallen, der all ihr Denken erdrückte und gegen den nur noch die Ueberfülle ihrer Empfindungen die Wagschale hielt. Bald fröstelte sie, bald glühten ihr die Wangen. Dazu war in ihren Ohren ein Sausen, durch das ihr die Stimme des Alfen so seltsam hohl und tief erklang, als er sagte: „Gelt, freust Dich schon, daß jetzt bald wieder ’raus kannst aus der Finstern und heim zu Deine lieben Leut’?“

Sie zuckte zusammen, schwieg und rührte sich nicht.

„Und – han, Veverl – wann nachher daheim bist, wirst auch diemal an mich denken?“

Hastig nickte sie mit dem Köpfchen.

„Aber – aber gelt – das därf ich mir doch net hoffen, daß D’ mich wieder amal b’suchen thätst?“

„Wann ich auch wollt’, das ging’ ja gar net,“ fuhr es über Veverl’s Lippen, „ich hab’ ja mein Königsbleaml verloren.“

„Ah so – ja – jetzt hast Du wieder Recht,“ bestätigte er, „und ich weiß schon, so eins wachst alle Jahr bloß an einzigs in die Berg’. Aber weißt, wann ich amal wem b’sonders gut bin, da is nachher ’s Königsbleaml gar net nöthig – da giebt’s nachher schon andere Sachen auch noch, wo ich ganz gern drauf geh’. Zum Beispiel – wann so um a Zeit, wo d’ Sonn’ untergeht oder aufgeht, allweil am Höllbach in d’ Höh’ steigen thätst, bis – kennst das Platzl? – d’ hohe Platten heißt man’s –“

„D’ hohe Platten! Wo ’s Unglück mit dem Ferdl g’schehen is!“ stammelte Veverl, wobei sie ein Gefühl hatte, wie wenn sich auf ihrem Kopfe die Haare zu rühren begännen.

„Ganz recht – weißt – so a Platzl is halt b’sonders g’schickt für so ’was! Ja – am selbigen Platzl wann an Stein in Höllbach ’nunterwirfst, a bißl a richtigs Trumm, und nachher langsam bis auf Zehne zählst, und wieder wirfst und zählst – und so fünfmal hinter einander, nachher thät’ ich wissen, daß Du droben bist – und auf der Stell’ wär’ ich bei Dir! Aber – mein –“ er seufzte, und gleichsam zum fühlbaren Vorwurf drückte er den Ellbogen sachte an Veverl’s Schulter, „was strapazier’ ich mich denn? Du kommst ja doch nimmer.“

Veverl hatte nicht den Muth, zu schweigen. „Man kann – net – wissen,“ stotterte sie, bebend am ganzen Leibe.

„Man kann net wissen?“ wiederholte er. „Hast schon Recht – das heißt – was ich weiß, weiß ich g’wiß: daß mir arg bang sein wird um Dich, daß ich Dich arg schwer g’rathen kann, und daß ich öfters, als Dir ’leicht träumet, bei Dir sein will mit meine ganzen Gedanken. Du hast mir so liebe Stunden ’reinbracht in mein unguts Leben, Du bist mir g’wesen wie a freundlichs Licht in der Finsterniß – und wann jetzt nachher gehst, wird’s wieder Nacht um mich, und doppelt traurig schaut sich mein Leben für mich an!“

Veverl saß mit tief geneigtem Kopfe, die zitternden Hände im Schoße gefaltet. Sie spürte in sich ein fliegendes Pochen und fühlte auf ihren Schultern Schauer mit Schauer wechseln. Wie sprach er so lieb von ihr – und dennoch war ihr die Brust zusammengeschnürt wie in Furcht und Bangen und Herz und Seele wie von namenloser Angst erfüllt.

Als er verstummte, starrte sie mit scheuen Augen zu ihm empor und erbebte vor der leidenschaftlichen Flamme, die ihr aus seinen Blicken entgegenschlug. Und ehe sie wußte, wie ihr geschah, hatte er ihre Hand ergriffen, seinen Arm um ihre Schulter geschlungen, und so zog er sie an seine Brust, unter den bebenden Worten: „Veverl – schau – g’wiß wahr – am liebsten ließ ich Dich gleich gar nimmer fort von mir und thät’ Dich b’halten für Leben und Ewigkeit!“

Da sprang sie empor mit einem markerschütternden Aufschrei und riß sich aus seinen Armen.

„Veverl! Veverl!“ stammelte er und streckte wieder die Hände nach ihr, sie aber taumelte vor ihm zurück – „Jesus Maria! Jesus Maria!“ stöhnte sie unablässig mit blassen Lippen und schlug in Angst und Grauen die Arme über das Gesicht.

Wenige Schritte folgte er ihr, mit gestreckten Händen, mit flehendem Stammeln – dann plötzlich blieb er stehen, wie gewaltsam sich bekämpfend und starrte sie wortlos an, bis er sich langsam wandte, mit den Händen die Schläfen preßte und wankenden Ganges aus der Höhle schritt.

Zitternd und mühsam nach Athem ringend richtete Veverl sich empor. „Fort, fort, fort!“ das war in ihrer Todesangst und ihrem mißverstandenen Empfinden ihr einziger Gedanke. Sie starrte um sich, ihre Augen trafen auf den dunklen Trichter des Felsenganges, trafen auf die flackernde Flamme der Fackel – sie riß dieselbe von der Wand und stürzte mit ihr dem dunklen Schachte zu, auf den Lippen das Stoßgebet: „Heilige Mutter Gottes, dir b’hüt ich mein Seel’!“

Keuchend hastete sie sich empor über Stufen und Geröll. Der Qualm der Fackel benahm ihr fast den Athem; manchmal lehnte sie sich erschöpft an die Steinwand, um gleich wieder aufzufahren, zu Tod erschreckt durch das gespenstige Flattern der „Geisterdrachen“, zu denen in ihren Augen die aus den Felsschrunden aufgescheuchten Fledermäuse wurden. Vorwärts und vorwärts stürzte sie, bei diesem angstvollen Hasten und Fliehen wurden ihr die Minuten zu Tagen – und nun mit einem Male war der Schacht zu Ende, und Veverl fühlte und gewahrte vor sich und zu beiden Seiten nur kaltes regungsloses Gestein. Im gleichen Augenblicke klang hinter ihr einher des Alfen Stimme, die ihren Namen rief und unter dem Widerhall der hohlen Wände dröhnte wie ferner Donner. Die Fackel sank aus Veverl’s schreckgelähmten Händen, sie erlosch – und durch die Finsterniß schimmerte in dünnem Streif ein blendend grelles Licht den Augen des Mädchens entgegen. Den Namen des Erlösers kreischend, stürzte sich Veverl gegen die lichte Stelle, der Stein gab nach, und aufjubelnd wankte sie hinaus in den hellen Tag, fast erblindend vor dem langentbehrten Glanz der Sonne. „Veverl! Veverl!“ tönte es noch mit dumpfer, hohler Stimme aus dem Schachte, dann schloß sich mit polterndem Rollen die steinerne Pforte, und wie ein gehetztes Reh flog Veverl thalwärts durch die schlagenden Zweige der dichten Latschenbüsche. Als sie den Almensteig erreichte, brach sie erschöpft zusammen; sie faltete die Hände und wollte zu beten beginnen, aber ein donnerndes Krachen schreckte sie wieder empor und trieb sie zu neuer Flucht. –

Ganz nahe war ein Schuß gefallen – über’m Höllbach drüben, vor der Jagdhütte.

*               *
*

„An Schuß, Herr Graf,“ hatte Gidi zu seinem Herrn gesagt, „an Schuß sollten S’ doch machen, ehvor wir ’naufsteigen, damit S’ doch wissen, ob auch ’s Büchsl noch richtig hinschießt.“

Schweigend hatte Luitpold das Gewehr aus Gidi’s Händen genommen und an die Wange gehoben. Auf hundertfünfzig „Gänge“ lag zwischen den Bäumen ein faustgroßer, weißer Stein im Moose, als der Schuß krachte, war er verschwunden, zertrümmert.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 830. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_830.jpg&oldid=- (Version vom 17.10.2024)
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