Verschiedene: Die Gartenlaube (1885) | |
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Klasse fuhren zwei verliebte Leutchen in die blitzdurchsprühte Nacht hinaus. Der Regen klatschte wohl an die Fenster, der Wind rüttelte wohl an den Thüren, aber drinnen hatten Liebe und Vertrauen alles wohl bereitet. Zwei gute Menschen hielten sich bei den Händen, versprachen sich ewige Treue, und die sich fürs Leben gefunden hatten, gingen nun vereint ihr Glück zu suchen in die weite Welt . . .
So wär’ es gekommen und wie anders war es!
Bianca fror, sie starrte hinaus in die Regennacht und zerrte mit blutlosen Fingern an dem Mäntelchen, das ihr nothdürftig den Rücken deckte.
Ihre Hoffnungen, ihre Träume, ihre einst so stolzen Gedanken sahen aus wie die Gärten an den Stationshäusern, darin jetzt die Beete in schmutzigen Wasserlachen schwammen und alle Blumen geknickt die Köpfe hängen ließen, als wären sie erwürgt.
Wieder schnob und pfiff und klingelte es, und Pater Otto stand auf, mahnte Bianca zur Vorsicht beim Aussteigen und ergriff ihr bischen Habseligkeit.
Also bei stockfinsterer Nacht und strömendem Regen suchten sie lange das Haus der Tante und fanden es endlich, nachdem sie naß bis auf die Knochen mit klebenden Kleidern und triefendem Schuhzeug einem Nachtwächter im Dienst begegnet waren, der sie nach einigen Mißverständnissen auf den rechten Weg ein paar Kilometer weit vor den Flecken hinaus brachte.
Die alte Frau war wegen des verspätete Eintreffens der erwarteten Nichte zwar nicht besorgt gewesen, denn es war nicht das erste Mal, daß sich eine von den Latschenbergerischen Mädeln angekündigt hatte und dann doch ausgeblieben war, als sie aber Bianca nun dennoch mitten in der Nacht und in so durchweichtem Zustand ankommen sah, schlug sie die Hände über dem Kopf zusammen, jammerte, daß es im Hause schallte, und war nur durch das ernsthafte Zureden des verwandten Priesters dazu zu bringen, mit ihrer Nichte, die sich bei dem schändlichen Wetter leicht eine böse Erkältung zugezogen haben mochte, nicht zu zanken, sondern für heute lieber rücksichtsvoll zu schweigen und sie so eilig als möglich zu Bette zu schicken.
Die Tante, die trotz ihres argen Mundwerks eigentlich doch eine gute Frau war, blies selber noch einmal Feuer an und braute warmen Wein. Bianca mußte ihn im Bette schlürfen, derweilen der Vetter ihn noch in seinen nassen Kleidern trank.
Endlich fand auch dieser in irgend einem Kämmerlein des Hauses eine trockene Lagerstatt, während alles, was er am Leibe gehabt, am Küchenherde trocknen mußte, wenn es bis morgen in menschenmöglichen Zustand gebracht werden sollte.
Draußen schüttete sich der Regen in Strömen nieder, fernab zuckten immer schwächer und schwächer die falbgewordenen Blitze.
So endete der ereignißreichste Tag im Leben der schönen Bianca Scandrini.
„Du verlangst nicht, daß ich mich bei Dir bedanke, obwohl ich zu schätzen weiß, was Du für mich gethan hast. Aber mir ist nach Deiner Rettung so jämmerlich zu Muthe wie nie vorher. Ich glaub’, ich werde recht krank,“ sagte Bianca, da sie am anderen Mittag im Freien stand und all die Strömchen und Flüßchen übersah, die im Weingarten der Tante hastig durch alle Furchen und Erdrisse sich schlängelten und Pater Otto ihr wie zum Troste mit der flachen Hand über den blonden welligen Scheitel fuhr.
Die Sonne stand im Mittag, der Himmel war blau und weiß, und über die frisch gewaschenen Weinberge kam die geläuterte Luft wonnig und erquickend gestrichen.
Aber Bianca sah nicht erquickt, nicht erquicklich aus. Der wohlmeinende Priester selber konnte sich des Gedankens nicht erwehren, daß ihr düsteres Wort Recht behalten und der Sturm, der über ihr Gemüthsleben fegte, nicht ohne schmerzliche Nachwehen werde zu überwinden sein.
Manchmal that es ihm leid, sie aus ihrem seligen Traume gestört zu haben. Dann aber, sagte er sich, wäre das Erwachen einst noch viel verderblicher geworden, wenn er sie hätte ziehen lassen wie eine Nachtwandlerin, die über einen Abgrund zu tänzeln sich anschickt!
Ja, sie that ihm herzlich leid, und er sagte es ihr, und daß er keinen Dank verlange, und daß ja doch noch Alles gut werden könne, wenn anders Master Edgar sie wirklich und mit ganzem, mit redlichem Herzen geliebt hätte.
Es zuckte häßlich über ihre Züge, da er jenen Namen nannte, und sie kehrte sich ab, wie Jemand, der davon nichts mehr hören will. Er folgte der Unwilligen, die, in ein altes Shawltuch ihrer Tante eingewickelt, dem Hause zuschritt.
„Bianca!“ rief er, „willst Du mir nicht die Hand zum Abschied geben? Ich kann Dich so bald nicht wieder heimsuchen, und Du mußt mir doch in die Hand versprechen, keine Dummheiten weiter zu machen!“
Sie zog die Brauen hoch, legte ihre Fingerspitzen in seine dunklere Rechte und sagte achselzuckend: „Was sind Dummheiten!“
„Versprich mir, auf Dich zu achten, auf Deine Mädchenwürde wie auf Deine Gesundheit! Versprich mir, Dich nicht selber fallen zu lassen und am Boden hinzulottern, wie eine verhagelte Rebe, die keine Stütze mehr hat! Versprich mir, nichts zu thun, was Dir Schaden bringt, und nichts zu unterlassen, was Dich aufrichten, was Dich kräftigen kann!“
Sie sah ihn aus redlichen blauen Augen herzergreifend an. „Otto,“ sagte sie, „ich glaub’, ich hab schon was weg. Die schauderhafte Aufregung, von der Du Dir wohl keinen Begriff machst, dann das Gewitter, die Nässe, die Kälte bis auf die Knochen – ich halte sonst schon einen guten Puff aus, aber das war zu viel auf einmal. Mir ist, als wär’ mir etwas in der Kehle. Da! Ich glaub’, ich könnte keinen lauten Ton hervorbringen. Und ich mag’s auch gar nicht versuchen, aus Angst, es könnte so sein, wie ich fürchte. Dabei schüttelt mich der Frost alle drei Minuten.“
„Du fieberst ein wenig. Das ist natürlich nach dem Erlebniß,“ sagte Pater Otto.
Und sie fuhr fort: „Doch empfind’ ich’s wie ein Glück, daß ich, wenn es schon sein muß, hier auf dem Lande krank werde. Nicht in der Florianigasse, wo mich Alles an ihn erinnert, wo mir der Vater, wo mir die Schwestern keinen Vorwurf ersparen. Hier werd’ ich mit Gottes Hilfe auch rascher wieder genesen. Drum sag’ ihnen nichts, denen in der Stadt, ich bitt’ Dich darum, sonst holen sie mich noch hinein. Und schau Dich nach mir um, sobald Du kannst. Und ... Nein, das nicht! Und behüt’ Dich Gott!“
Sie wollte sagen: erkundige Dich auch darnach, wie es ihm geht! Aber sie bracht’ es nicht über die Lippen. Sie wollt’ es nicht sagen, wollt’ es nicht ahnen lassen, daß sie das noch hatte denken können. Sie sah dem Vetter, der ihr freundlich zunickte, mit starren Augen ins Gesicht, bis er sich wandte, und blieb an derselben Stelle stehen, bis er aus ihrer Sehweite war.
„Es wird schon wieder gut werden!“ war das letzte Wort bei seinem Adschiednehmen gewesen. Sie dachte nicht darüber nach, was er meinte, sie war zu müde dazu. Was war aus dem Alles entzückenden Kobold geworden! Das blendende, schon vor dem Auftreten auf der Bühne berühmte Wunderkind Scandrini, das Jedem in der einzigen Kaiserstadt den Kopf verdrehte, wenn es wollte, stand ein armes, fröstelndes, in ein Bauerntuch gehülltes Mamsellerl Latschenberger in einem verregneten Weingarten im Gebirge und wünschte nichts mehr als von einer Krankheit zu genesen, die, wie gestern das Gewitter über die Gegend, so bleiern, so drückend, so beängstigend über das arme Geschöpf heraufzog.
Sie war wirklich krank, recht krank, obgleich sie wenig das Bett hütete und meist auf der Bank vor dem Hause schweigend an der Wand lehnte und sich von der Sonne wärmen ließ. Und sie litt am meisten an dem Theil ihres Körpers, der ihr der kostbarste war, in ihrer Kehle.
Als sie, nach Tagen des Schmerzes und der Sorge wieder einigermaßen erholt, in der würzigen Luft zwischen den Rebstöcken endlich wieder einmal mit einem klingenden Schrei ihre Brust erleichtern wollte, da kannte sie ihre Stimme nicht wieder. Es tönte wohl so hin, hell und laut, aber der Schmelz und der Zauber war weg, mit dem sie sonst alle Herzen im Nu erobert und lachen und weinen gemacht hatte, wie ihr selber ums Herz gewesen war. Die Nachtigallen waren verflogen und verscheucht, die sonst aus ihrer Brust geschluchzt und geschmettert hatten. Kahl, rauh und brüchig klang die Stimme, wie wenn der Schlag, der ihr durchs Herz gegangen, das Gefäß verwundet hätte, das Wohllaut getönt, wann immer man daran gerührt hatte, und das jetzt Zeugniß gab von nichtverwundenem Leide.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 834. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_834.jpg&oldid=- (Version vom 28.2.2023)