Verschiedene: Die Gartenlaube (1885) | |
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Sie suchte schweigend ganz zu genesen. Aber als nach einiger Zeit Pater Otto wieder einmal in den umgeackerten Weingarten nach Gumpoldskirchen kam, sagte Bianca zu ihm: „Denk Dir, ich hab’ meine Stimme verloren! Das ist ein großes Unglück! Ich hab’ meine Dummheiten, meine Landpartie theuer bezahlt! Mit dem Kapital meines ganzen Lebens.“
Pater Otto sagte zwar, sie sollte sich doch so etwas nicht in den Kopf setzen. Das werde sich Alles wieder geben und die Stimme werde sicher und gewiß in alter Schönheit wiederkommen, wenn sie sich nur erst vollends erholt haben werde. Allein in Wahrheit war er doch auf den Tod erschrocken, und Bianca merkte es wohl.
Hätt’ er sie jetzt mit irgend einem schweren Opfer, das in seiner Macht stünde, nach Italien an Edgar’s Seite versetzen können, aber mit der Pracht und Fülle der ihr sonst eigenen Stimme, wer weiß, ob er nicht unbedenklich seine Rettung ungeschehen gemacht hätte.
Aber er sagte wohlweislich nichts davon, mahnte sie nur, ja die Stimme nicht vor der Zeit zu forciren, und nahm sich die Geschichte sehr zu Herzen, weßhalb er ihr nicht nur bald wiederzukommen versprach, sondern dies Versprechen auch, so oft es anging, treulich erfüllte, ihr auch allerhand von Büchern, Noten, Naschwerk und Stadtklatsch aufs Land hinaustrug, damit ihr die Zeit nicht gar zu öde verging, bis das Weinlaub roth ward und man die Trauben las, der kältere Herbstwind übers Gelände pfiff, der Regen gar nicht mehr aufhörte und von den Städtern keiner, der es nicht mußte, länger draußen blieb.
Diese Witterung bei ländlicher Unterkunft und Winzergewohnheiten konnte auch Bianca’s Stimme nicht nützen.
Und so zog sie eines Tages zwischen Herbst und Winter mit ziemlich rothen Wangen und klaren Augen wieder in der Florianigasse ein, die sie seit dem denkwürdigen Verlassen im August nicht wieder betreten hatte.
Das Engagement in Königsberg war bereits versäumt. Eine minder begabte Mitschülerin, deren Nebenbuhlerschaft sie früher niemals ernst genommen hatte, war hingegangen sie zu ersetzen und mußte nach den Berichten in Zeitungen über Erwarten gefallen haben. Bianca lächelte bitter, als sie das las. Was hätte das gute Publikum erst mit ihr angegeben, wenn sie ihre alten Pläne ausgeführt und ihre Stimme vor ihm hätte ertönen lassen! ... Du lieber Gott, wo waren ihre alten Pläne hin! Und ach, wo war ihre Stimme hin!
Von Zeit zu Zeit meinte sie zwar, alle Nachtigallen wären wiedergekehrt, mit alter Kraft und Frische quöllen die Töne aus ihrer Kehle. Dem war auch so. Die Schwestern bekräftigten ihr diese Wahrnehmung, und Pater Otto desgleichen. Und nicht etwa bloß aus Mitleid! Nein! Sie war sich selber ja die strengste Richterin. Glaubte es zu sein.
Aber Kraft und Frische ihrer Stimme hielten nicht mehr vor. Sie konnte nicht wie sonst über sie gebieten. Sie versagten gerade da, wo sie ihrer bedurfte.
In der ersten Freude wiedergewonnener Fähigkeiten war sie feurigen Muthes zu dem Theateragenten gefahren, und dieser hatte ihr, eingedenk des gewaltigen Rufes, der ihr aus der Opernschule voraufgegangen, gleich ein anderes und besseres Engagement angetragen, trotzdem er ein wenig mit ihr schmollte, weil sie das Königsberger Debüt, wie er sagte, hochmüthig ausgeschlagen habe.
Als es aber zum Probesingen kam, merkte Bianca selber gleich nach den ersten Takten, daß ihre Kehle ihren Absichten nicht mehr wie vordem gehorchte, und daß eine solche Stimme, wie sie sie jetzt besaß, den Ansprüchen jener, die sie beurtheilten, nicht genügte.
Geschäftsleute sind nicht allzu rücksichtsvoll, wenn sie sich in hochgespannten Erwartungen auffallend enttäuscht finden. Bianca verschwor sich, nie wieder diesen Mann aufzusuchen, der sich jetzt vielleicht in der Stille beglückwünschte, daß sie sich für Königsberg zu gut gehalten hatte.
Still und betrübt kehrte sie heim und wunderte sich doch, daß sie nicht noch betrübter war über den Zusammenbruch ihrer stolzen künstlerischen Hoffnungen. Aber sie hatte sie nicht erst heute zusammenbrechen sehen, sondern an jenem bösen Tage, da nicht nur diese Hoffnungen in Trümmer gegangen waren. Und ihre liebe Seele war schon so voll von Kümmerniß, daß diese Enttäuschung mehr sie nicht noch viel unglücklicher machen konnte, als sie sich ohnehin schon fühlte.
Manchmal wunderte sie sich zwar darüber und schaute lange forschend in ihr Herz hinein. Hatte sie denn diesen Edgar so sehr geliebt?
Es mußte wohl so sein! Es hatte so leise, hatte so unmerklich begonnen, wie eine kleine Schwäche für den arg verliebten, treu anhänglichen Menschen; mehr aus Eitelkeit und Gutmüthigkeit, aus Modesucht, weil eine bedeutende Sängerin, wie der Komet einen Schweif, eine wimmelnde Bande von schwärmenden Verehrern hinter sich haben mußte. Aber nie hätte sie gezweifelt, daß sie nach Laune, nach Belieben, dies Gefolge, Sperber voran, ablegen und beiseite werfen könnte wie eine Theaterschleppe, die sie im nächsten Akte nicht mehr brauchte, ohne bei dieser Trennung viel mehr zu empfinden, als etwas Dankbarkeit oder höchstens etwas Mitleid mit so einem armen abgedankten Cavalierchen.
Und nun der eine sie verlassen, sie enttäuscht und verlassen hatte, gerade der, an den sich ihr Herz gewöhnt hatte, war sie tief unglücklich, und die Gedanken an ihn verließen sie weder bei Tage noch bei Nacht. Sie verzehrte sich in verschwiegener Leidenschaft, und wie es in ihrem Inneren aussah, das sollte Niemand erfahren!
Eine Zeitlang, draußen auf dem Lande, hatte sie sich eingebildet, er würde doch wiederkommen eines Tages, früher oder später, er würde hören, daß es ihr übel erging, und da würde es ihn treiben nach ihr zu sehen, und sie würden sich aussprechen und wieder verstehen und wieder lieb haben, wie vordem, ach, und noch ein gut Theil mehr!
Er hatte sie ja so innig lieb gehabt. Konnte solche Liebe verrauschen und, eh’ man’s denkt, verblaßt, verflüchtigt sein, wie ein ausgetobtes Gewitter vor dem Wind am Morgen? Er mußte ja nicht weniger nach ihr bangen als sie nach ihm! ... Aber er kam doch nicht und ließ nichts von sich hören. Und er war noch in Wien und machte genug von sich reden. Ja wohl, und es klang nicht gut!
Manchmal dachte sie, wenn sie nun doch eine große Sängerin würde, und ihr gefeierter Name stünde in allen Zeitungen, und die Leute drängten sich, sie zu hören und zu sehen, dann käme wohl auch Edgar ins Theater, und wenn er sie wieder hörte, wieder sähe, dann wolle sie’s ihm schon wieder anthun in seinem Herzen. Das wußte sie gewiß ... Aber die Aussicht, einmal als eine große Sängerin vor allem horchenden Volk zu glänzen, war so kläglich zu Schanden geworden, daß sie selbst die Hoffnung auf Besserung ihres innewohnenden Instruments in eine fernere Zukunft hinausschob, in der sich mit Sperber soviel ereignet haben mochte, daß eine Wiederkehr zu ihr nicht mehr möglich, vielleicht nicht einmal mehr wünschenswerth erschien.
Er trieb’s toll. Sie fragte Niemand nach ihm. Sie schämte sich, und sie wollte ihre närrische Liebe nicht verrathen. Aber man trug ihr auch ungefragt genug zu. Der freilich, der gewiß am meisten von ihm wußte, schwieg. Pater Otto wollt’ ihr nicht wehe thun. Aber dafür fanden beide Schwestern eine eigenthümliche Genugthuung darin, ihr jedes Hörensagen, jede wahre oder falsche Anekdote, die man sich von dem reichen Hamburger Patrizierssohn erzählte, brühheiß vorzusetzen, unverzüglich, sowie sie sie aus den Mäulern der Leute bekommen hatten. Und wie sie sich über alles Böse freuten, was sie wußten oder auch hinzuthaten aus eigener anmuthiger Erfindung!
War das Alles wahr, was die Leute sich erzählten?
Edgar sollte schon vor Monaten, also wohl gleich nach dem Bruch mit Bianca, sich an eine alte Freundin angeschlossen haben, an eine gewisse Philomena, eine sehr auffallende Dame, die keineswegs im allerbesten Rufe stand. Und das intime Verhältniß mit diesem tollen Persönchen, das er rücksichtslos zur Schau stellte, trug nicht dazu bei, ihren oder auch seinen Ruf in besseres Licht zu setzen.
Alle Welt war seiner Streiche voll, und man nannte gewaltige Summen Geldes, die er in kurzer Zeit mit Hilfe seiner neuen alten Freundin anmuthig und brutal zum Fenster hinauswarf.
Bianca weinte bitterlich, so oft ihr derlei zu Ohren kam. Wie lange sollte denn dieser unsinnige Hexensabbat dauern? Edgar war von Haus aus doch eine so vornehme, so saubere Natur. Sie konnte sich diesen wohlerzogenen feinen Menschen,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 835. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_835.jpg&oldid=- (Version vom 28.2.2023)