Verschiedene: Die Gartenlaube (1885) | |
|
der immer zu ihr wie mit gebundenen Händen, fromm und hingebend, wie zu einem Heiligenbild aufgeblickt hatte, in solcher Gesellschaft nicht vorstellen.
Er hielt es auch nicht lang in dieser Gesellschaft aus. Aber wozu er sich nachher gesellte, war nicht viel mehr Werth. Es war nur ein Wechsel im Gleichen. Er schaffte sich bald diese, bald jene Geliebte an, lauter Leutchen, die ziemlich sichtbar im Vordergrund des öffentlichen Lebens standen. Es war, als könnt’ er mit einer gar nicht soviel verschwenden, als er Willens war, draufgehen zu lassen, und müßte sich ein paar neue Hände zu Hilfe nehmen, wenn die anderen müde wurden, sein Geld auszugeben. Gefallen und Behagen schien er bei Keiner zu finden. Aber zu Bianca kehrte er nicht zurück.
Selbst den lieben Wienern, die es gerne sehen, wenn ein reicher Mann sein Geld mit vollen Händen ausgiebt, und das für standesgemäß erachten, war diese Weise doch zu toll.
Bianca weinte sich aus in der Nacht, wenn sie am Tage widerspruchslos diese Dinge mitangehört hatte, die ihr im Innersten weh thaten. Und doch war bei allem, was sie beklagte, ein Etwas, das ihr zu sagen schien, wo immer Edgar Geld und Zeit und vielleicht Gefühl verzettelte, es sei doch nur auf dem Umwege zu ihr zurück.
Als aber einmal Papa Latschenberger, wie immer zwischen Suppe und Käse, das Neueste auftischte, was sich ganz Wien erzählte, daß nämlich der gewisse Herr von Sperber sich mit einer jungen Opernsängerin zusammengethan habe, die Bianca von ihrer Gesangsschule her gut kannte, ein unreifes keckes Ding, das wenig Talent und wenig Kunstsinn, aber um so mehr das Bedürfniß empfand, auf diesem nicht mehr ungewöhnlichen Wege übers Theater zum Geld anderer Leute zu gelangen, da warf Bianca von heftiger Bewegung übermannt doch den Stuhl um, auf welchem sie bei Tisch gesessen, und lief in ihre Stube, wo der Flügel offen stand, an dem er so oft gelehnt und ihr gehorcht hatte, und sie ließ ihre Thränen rinnen.
Daß er ihr das anthat, mit einer Bekannten von ihr anzubinden, die nicht werth war, ihr die Stiefeletten auszuziehen, und die nun doch jeden Augenblick sich über sie lustig machen konnte, o, das war schlecht! Daß er mit einer Sängerin, mit einer so untergeordneten Sängerin anzubinden übers Herz gebracht, wo jeder Ton, jedes Gespräch ihn an die erinnern mußte, die er verloren, das ging gegen Zartgefühl und Ehre, das hätte sie nimmer von ihm geglaubt.
Nun kam der Vater ihr nach in seiner breitspurigen Weise, um das Versehen wieder wettzumachen, mit dem er seine Jüngste vom Mittagessen vertrieben. Aber darauf verstand er sich schlecht. Und er wußte nichts Besseres zu sagen, als daß er früher als Andere erkannt habe, was für ein Windbeutel dieser Baron Sperber sei, und daß ihn wenig im Leben mit so hoher Zufriedenheit erfülle, als daß er diesem Kerl die Thür gewiesen zur rechten Zeit.
Bianca dachte ganz anders über diese Leistung väterlichen Scharfsinns und hätte ihn über Wirkungen derselben aufklären können, die nahezu verwirklicht worden wären, wenn nicht der gute Hausgeist Pater Otto –
Aber ehe sich das abgehärmte Mädchen hinreißen ließ, dem Alten Dinge zu sagen, die ihn zur Wuth gebracht hätten, kam zum Glück Pater Otto in leibhaftiger Person zu Besuch und schlichtete den Streit zwischen Vater und Kind, noch ehe dieser zu Wort gediehen war.
Er bat den Onkel, ihm die Mühe zu überlassen, Bianca’s blondes Köpfchen zurecht zu setzen. Mit etlichen Kernsprüchen über die Narrheit der jüngeren Generation und dem gewöhnlichen Fluch über das für die Ausbildung einer so unsicheren Stimme, wie die seiner Bianca geworden, umsonst ausgegebene Geld trollte sich Papa Latschenberger zur verlassenen Mahlzeit zurück und ließ sich schmecken, was er Anderen verleidet hatte.
Bianca, aus Rand und Band, hielt sich heute nicht zurück. Sie sagte mit sprudelnden heißen Worten Alles, was sie von Sperber’s jetzigem Leben gehört hatte und was sie von seiner neuesten Verirrung dachte.
Otto hielt wieder wie sonst, wenn er aufmerksam horchte, das Kinn in der Hand, und als sie fertig war, nickte er nur mit dem Haupt ein wenig und sagte nichts als: „Ja, ja, er muß Dich wahnsinnig lieb haben. Denn die ganze Hatz beweist doch nichts, als daß er Dich über Keiner und ganz und gar nicht vergessen kann. Er betäubt sich wie ein Narr und thut sich selber so weh, als er nur vermag, und weher, als Du verstehst.“
Bianca verstand ihn wirklich nicht gleich. Sie wollte nicht glauben, was sie so gern geglaubt hätte, sie wollte es unter so häßlichen Umständen nicht glauben. Nachdem sie den klugen Priester aber ein Weilchen stumm angeblickt, fragte sie leise: „Hast Du je wieder mit ihm gesprochen?“
„Nein!“ antwortete Pater Otto. „Und es würde das auch weder sich ziemen, noch würd’ es anitzt was helfen. Ein scheu gewordenes Roß, das durchgeht mit solcher Gewalt wie der da, das rennt Dich übern Haufen, wenn Du’s aufhalten willst. Es muß sich überkollern oder zusammengerissen werden, sonst kommt’s nicht zur Ruh. Gott helf, daß es nicht zu viel Schaden dabei nimmt und nachher noch so viel Werth ist wie zuvor … Das kann man vorher nicht wissen. Aber mir scheint, es kommt der Tag noch, da ich mit ihm reden werde. Wart’s ab in Geduld, und tröst’ Dich Gott dabei!“
Der liebe Gott hatte bei Bianca viel zu thun mit Trösten, denn das arme Mädel grämte sich halb zu Schanden, und das Abwarten dauerte lange, lange!
Eines Tages im anderen Jahr brachte der geistliche Herr ihr eine Nachricht, die ihn selbst sehr überrascht, als er sie gehört, obschon er sich etwas dergleichen hatte vorausdenken können. Die Familie in Hamburg mußte denn doch nachgerade finden, daß ein Gebahren, wie das ihres Edgar’s, auch dem tiefsten Faß den Boden auszuschlagen drohte. Es war ganz in der Ordnung, daß ein Erbe James Edward Sperber’s in der Fremde freigebig, ja großartig auftrat, allein zu viel ist überall vom Uebel, und die sich als Narren gebärden, läßt man nicht länger frei in der Welt herumlaufen, wenn sie ihre schöne Zukunft und das stolze Vermögen ihres Hauses ernstlich gefährden. Man bat Edgar in der bestimmtesten Weise, sich unverzüglich in den Schatten des väterlichen Daches zurückziehen zu wollen, und unterstützte seinen guten Willen mit der gemeinverständlichen Maßregel, ihm jede Geldzufuhr abzusperren.
Es hätte solcher Strenge gar nicht bedurft, denn Edgar selber hatte dies Leben satt bis an den Hals und wartete nur irgend eines Anstoßes, der ihn abberiefe von Wien, das ihm unter solchen Umständen durchaus verleidet war.
Er packte sogleich seine Koffer, gab seinen guten Freunden und seiner schlechten Gesellschaft ein Abschiedsdiner und fuhr davon.
Wie es in einer Großstadt Gepflogenheit, redete man acht Tage noch ziemlich viel von ihm, vierzehn Tage noch dann und wann, und einen Monat nachher mußten sich die kundigsten Leute immer erst ein wenig besinnen, wie denn der lebenslustige Hamburger geheißen, der eine Zeit lang mit der Dings und dann mit der Chose und nachher mit der Jsö ziemlich viel habe draufgehen lassen und eine fidele Haut gewesen sei, ja ja.
Nur drei Menschen in Wien bewahrten ihm ein treues Gedenken und redeten viel von ihm: ein unnumerirter Fiaker, ein regulirter Chorherr und ein kleines Mädel, das einen Theil seiner Stimme und sein ganzes Herz verloren hatte.
Daheim ward weder von seiner Rückkunft noch von deren Veranlassung viel Aufhebens gemacht. Es war ja gerade nichts Außerordentliches, daß ein Haussohn ein paar Jahr in der Fremde etwas mehr Geld ausgab, als recht war. Demgemäß ward er auch weniger mit Vorwürfen als mit einer würdevollen Freundlichkeit empfangen. Und da ihn selber davor ekelte, den fruchtlosen Versuch, sich die alte Liebe zu Bianca Scandrini aus dem Sinn zu jagen, in der eben schlecht erprobten Manier auch in der Vaterstadt fortzusetzen, so versuchte er sich in entgegengesetzter Art zu trösten und fing an, sich emsig um die Geschäfte seines Hauses zu bekümmern und sein Leben so streng und ernsthaft zu führen, daß sich James Edward Sperber seinetwegen nicht weiter im Grabe umzudrehen brauchte.
Edgar’s wegen allerdings nicht. Ob aber der Leichnam des gewaltigen Handelsherrn in dieser selben Zeit gerade sehr ruhig gelegen, mag dahingestellt bleiben. Sicher ist leider, daß gerade damals an der großen Schöpfung, die jener ins Leben gerufen und zum Ruhme seines Namens hinterlassen hatte, schwere Wunden aufbrachen. Es war keineswegs die Schuld seiner allzeit ehrgeizigen und gewissenhaften Nachfolger in der Leitung des
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 836. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_836.jpg&oldid=- (Version vom 28.2.2023)