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Seite:Die Gartenlaube (1885) 842.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


Edelweißkönig.

Eine Hochlandsgeschichte. Von Ludwig Ganghofer.
(Fortsetzung.)


Grollend rollte der Hall des Schusses empor über den Berghang und brach sich mit dumpfem Widerhall an den finster ragenden Felsen.

Da fuhr auch jener einsame Träumer, der immer noch, seitdem ihn Jörg verlassen, regungslos auf dem Steine saß, empor aus seinen tiefen Gedanken.

„A Schuß? Wer kann jetzt g’schossen haben – mitten in der Nacht? Da muß ’s was ’geben haben!“ raunte er vor sich hin und spähte thalwärts über die dunklen Latschen.

Da sah er über den Höllbach her eine grelle Röthe durch die Bäume leuchten und züngelnde Flammen aufschlagen über die schwarzen Lärchenwipfel.

„Ja lieber Herrgott im Himmel, was kann denn das sein? Um Gotteswillen doch net – ja, ja! dem Gidi sein’ Hütten is’s! Da hat’s an Unglück ’geben! Und er is heroben, er – er und der Gidi! O grundgütiger Herrgott! Laß mich nur g’rad jetzt net z’spät kommen!“

Das waren nicht mehr Gedanken, es waren stammelnde Schreie – und der sie ausstieß, stürzte in rasendem Laufe thalwärts, immer entlang dem jäh abstürzenden Ufer des Höllbachgrabens, der Gefahr nicht achtend, die ihm bei jedem Schritte drohte, oft in mächtigem Sprunge hinwegsetzend über Steinblöcke und wirres Buschwerk. Als er den Steig erreichte und hinweg eilte über den schwankenden Balken, der den Höllbach überbrückte, hörte er schon das Krachen des brennenden Gebälks, das Rauschen der lodernden Flammen und zwischenein das Mark und Bein durchdringende Geheul des Hundes.

So grausig diese Laute seinem Ohre klangen, sie gaben ihm Hoffnung, sie sagten ihm, daß in der Hütte das Leben noch nicht zur Unmöglichkeit geworden wäre.

Nun stand er vor dem brennenden Hause, sah, wie der Rauch in dicken Stößen aus den offenen, eng vergitterten Fenstern quoll, und sah die Flammen empor- und niederlecken über die geschlossene Thür. Wie diese Thür öffnen? Mit verzweifelten Blicken starrte er umher. Kein Balken, kein Pfahl, kein Scheit! Aber dort – dort unter einer Lärche stand der schwere Eichenblock, der als Hackstock diente. Auf den stürzte er zu, riß ihn mit Ueberspannnug aller Kräfte empor und schleuderte ihn wider die glimmende Thür! Krachend flogen die Bretter aus einander und während der Block zurückrollte von der Schwelle, sprang schon der Hund mit heiserem Gewinsel durch die eröffnete Lücke, stand mit hängender Zunge und weit geöffnetem Rachen, schüttelte die Funken von seinem Felle und stürzte aufheulend davon, zwischen den Bäumen verschwindend.

Ein Ruck der kräftigen Arme, die den Block geworfen, und die klaffenden Bretter der Thür flogen vollends zur Seite. Ein röthlich beleuchteter Qualm schlug dem Eindringenden entgegen und trieb ihn für Sekunden wieder zurück über die Schwelle. Unter einem tiefen Athemzuge hob sich seine Brust, dann stürzte er wieder vorwärts, hinein in den von aufzuckender und erlöschender Helle und von dichtem Rauch erfüllten Küchenraum. Da stieß sein Fuß wider eine weiche Masse – „O lieber Herrgott!“ schrie er auf, warf sich nieder auf den gepflasterten Boden und fühlte unter seinen Händen einen wie leblos hingestreckten menschlichen Körper. Den riß er empor an seine Brust und wankte mit ihm ins Freie. Aufathmend stand er stille und starrte in die bleichen, regungslosen Züge – in Luitpolds Gesicht. „Er is’ – er!“ brach es mit dumpfen Lauten von seinen Lippen, und seine Augen hingen wie gebannt an dieser weißen, von der breiten Narbe durchzogenen Stirn. „Aber – der Gidi – o mein Gott, der Gidi!“ fuhr er plötzlich auf, ließ die Last seiner Arme niedergleiten in das Moos und wandte sich wieder der brennenden Hütte zu. Schon stand er auf der Schwelle, da stürzte ein qualmender Pfosten vor ihm nieder, und krachend neigte sich die eine Seite des Gebälkes, dessen Klammern das Feuer schon gebrochen hatte. Aufstöhnend taumelte er zurück. „Aus is – da giebt’s kein Retten nimmer! Armer Kerl – unser Herrgott sei Dir gnädig!“ Mit zitternder Hand bekreuzte er sich und starrte mit nassen Augen in den wüsten, glostenden, rauchenden Haufen. Nun schrak er aus seinem Brüten auf, fuhr sich mit den Händen über die Stirn und eilte zu jenem zurück, den er auf seinen Armen aus Rauch und Flammen getragen. Er warf sich zu ihm nieder, riß ihm die Joppe auf, die Weste und das Hemd, griff nach der Stelle des Herzens – und fühlte unter seinen Fingern ein mattes Pochen.

„Leben thut er noch – leben! Und kein Wasser net da, kein Tröpferl Wasser!“

Rathlos starrte er eine lange Weile um sich, dann sprang er in die Höhe, raffte den Körper des Bewußtlosen empor auf seine Arme und eilte mit seiner Last in keuchendem Laufe dem Steige zu.

Als er den Höllbach überschritten hatte, stand er einen Augenblick stille. „Zur Alm hin brauch’ ich a halbete Stund’, wenn’s gut geht,“ stammelte er, „na – na – ich muß ihn zu mir ’nauf tragen!“

Noch hatte er diese Worte nicht ausgesprochen, da stieg er schon vom Pfade hinweg, empor über den steinigen Berghang, wo ihn bald die dichten Büsche verschlangen.

Er sah nicht mehr den zitternden Fackelschein, der sich auf dem Almensteig hastig einherbewegte durch den Wald, und vor dem Rauschen des Höllbach’s hörte er nicht mehr die ängstlich rufende Mädchenstimme, die zwischen den Bäumen erscholl.

„Da bin ich, Dori – da – da!“

„Ja, Enzi, ich sieh Dich schon!“ klang tiefer aus dem Walde die Antwort des Burschen, der in hastigem Laufe der Dirne folgte. „Was is denn?“

Es muß ’was ’geben haben! Ja – weißt – a Stund kann’s her sein, da bin ich auf amal derwacht, und da is mir’s g’wesen, als hätt’ ich Schritt’ g’hört vor der Hütten –“ daß sie Gidi’s Schritte erkannt und gleich darauf den schönen Edelweißbuschen vor ihrem Fenster gefunden hatte, das verschwieg sie, „– und da hab’ ich nimmer einschlafen können – ja – und auf amal, da hab’ ich an Schaß g’hört! Uad gleich hab’ ich mir ’denkt, da muß ’was net in der Ordnung sein – weißt – ’leicht mit’m Jaager! No – angehn thut er mich freilich nix – der Jaager – aber – a Mensch is er ja doch!“

„Freilich, freilich!“ stotterte Dori und schielte, während er mit der Dirne kaum Schritt zu halten vermochte, nach ihrem blassen, von der Fackel grell beleuchteten Gesichte, dessen Lippen zuckten und zitterten, dessen nasse Augen ängstlich ausspähten in die dunkle Nacht.

„Und drum hat’s mir kein’ Ruh’ nimmer g’lassen, drum hab’ ich mich gleich in d’ Höh’ g’macht und –“

Mit einem kreischenden Aufschrei verstummte Enzi. Irgend ein erschreckendes Etwas war dicht an ihren Röcken vorübergefahren. „Was is denn das jetzt g’wesen?“ stammelte sie und neigte die Fackel zur Erde.

„Da – da – dem Gidi sein Hundl is!“ schrie Dori und deutete dem Thiere nach, das mit gesenkter, suchender Nase über den Steig dahinschoß und nun vom Pfade hinweg sprang zwischen die thalwärts ziehenden Büsche.

„O heilige Mutter! Jetzt is g’wiß! Jetzt is ihm ’was g’schehen!“ schluchzte Enzi auf und fing zu laufen an, daß dem folgenden Dori schier die langen Beine zu kurz wurden.

Nun erreichten sie die Höhe einer Bergrippe, über welche der Steig hinwegführte – und da leuchtete ihnen die helle Röthe des Brandes entgegen.

Enzi stand wie gelähmt und brachte kein Wort hervor. Dori aber schrie: „O du mein Gott – da schau – d’Hütten brennt – dem Gidi sein Hütten!“ Dann riß er der Dirne die Fackel aus der Hand und stürzte davon, in athemlosem Laufe dem Steige folgend. Erst als er vor dem glühenden, rauchenden Trümmerhaufen stand, der einst das schmucke freundliche Häuschen gewesen, erinnerte er sich wieder der Dirne, und da sah er sie plötzlich an seiner Seite, mit todtenblassem, verzerrtem Gesichte, mit starren Augen auf die glostenden Trümmer stierend.

„Enzi – was sagst?“ glitt es mit versagender Stimme von den schreckensbleichen Lippen des Burschen.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 842. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_842.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2024)
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