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Seite:Die Gartenlaube (1886) 458.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Die bayerische Königstragödie.

1. An der Todesstätte König Ludwig’s II.
Von R. Artaria.


Abfahrt   in Starnberg.

Schloß Berg.

Aus den lichtgrünen Wassern des Starnberger Sees ansteigend, von dichten, köstlichen Laubmassen umgeben, hebt Schloß Berg seine hellglänzenden Zinnen in den Himmel hinein – ein Aufenthalt für Glückliche, die schönste Ruhestätte eines jungen poesievollen Königs. Und heute liegt dieser König nach einem gräßlichen Ende todeskalt und starr in dem schönen Schloß; die Fahne, die sonst lustig über seinem Haupte in den blauen Himmel flatterte, hängt auf Halbmast, und Gruppen schreckensbleicher Menschen umstehen die See-Ufer, wo das Furchtbare geschah, und strömen hinauf, um zum letzten Mal den König zu sehen, der bei seinem Regierungsantritt geliebt und gefeiert war, wie wenige Herrscher. Man sah ihn so gern, den wunderschönen Jüngling, wenn er am See-Ufer entlang im Mondschein ritt und seine großen dunkeln Augen zauberhaft aus dem blassen Gesicht herausglänzten, während das reiche Lockenhaar im Winde flog.

„Wie ein Märchenprinz!“ sagten die Leute, wenn er auf seinem leichtfüßigen Roß vorüberstob und die Hufschläge fern in der Sommernacht verhallten. Und ganz leise wurde hinzugesetzt, daß der Mondschein ihn locke, daß man ihn habe wandeln sehen im Park von Berg, im Krönungsornat mit dem langen, blauen silberverbrämten Mantel und der Krone auf dem Kopf, die im Mondlicht funkelte, bald da, bald dort in den Waldschatten auf- und niedersteigend ... Aber es waren nur Wenige, die dies gesehen, und sie wagten viel dabei, denn der Park, der unter König Max Allen offen stand, war nun streng verschlossen, und wehe dem Neugierigen, der den König in seiner Märchen-Einsamkeit belauschte! Sie hat ihn immer tiefer umsponnen, die gefährliche, verführerische Einsamkeit, unheimlich wuchsen die Wahnvorstellungen in dem mehr und mehr sich umnachtenden Geist, und seit Jahren war es den Anwohnern des Sees kein Geheimniß, daß im Schloß von Berg allerhand Sonderbares und Unheimliches vorgehe.

Und doch standen in diesem Schloß für seinen Bewohner so heiter-schöne Erinnerungen! Als der unglückliche König noch ein munterer, schlanker Knabe war, fuhr er im Frühjahr mit den Eltern heraus und nahm Theil an dem fröhlichen, Allen zugänglichen Treiben auf Schloß Berg, dessen Räume nicht ausreichen wollten, alle Die zu fassen, die der gastliche König zu sich einlud. Maximilian II. war ein Freund feinen, geistigen Lebensgenusses, er hat es, wie wenige Hochgestellte, verstanden, dem Glanz des Königthums noch den schönsten Reiz menschlicher Existenz hinzuzufügen, und er verstand es auch, den Dichtern und Gelehrten, die er um sich versammelte, das Leben auf seinen Schlössern genußvoll zu gestalten.

Neigte sich die Sonne den Höhen über Possenhofen zu, so bevölkerte sich der Seespiegel vor dem Schloß mit Gondeln, oder das Dampfschiff fuhr an den Steg, um den König und seine schöne und liebenswürdige Gemahlin und das Gefolge nach der Roseninsel überzusetzen, wo eine ganz von Rosen umhegte Villa steht. Dort war auf der Terrasse ein ländliches Abendessen gerichtet, das unter Scherz und Heiterkeit verfloß, und dann, während der Mond über die Höhen heraufkam und die Sommernacht sich duftend ausbreitete, entspannen sich zwischen dem König und seinen Genossen die langen und interessanten Gespräche, die er wie Einer ihres Gleichen mit ihnen führte und die Alles berührten, was der Kreis menschlichen Wissens einschließt. Zu früh hat dieses gütige Herz aufgehört zu schlagen, zu früh vor Allem für den Sohn, der, bisher vor jeder Berührung mit der Außenwelt ängstlich gehütet, in keiner Weise für seinen schwierigen Beruf vorbereitet war. Und doch hat er in verhängnißvoller Stunde diesen Beruf königlich ausgeübt, und Deutschland wird ihm ewig Dank wissen für die männliche That, mit welcher er ihm zum Sieg und zur Wiedergeburt in schwerer Entscheidungsstunde verhalf, und die Erinnerung an ihn ewig in Ehren halten.

In den bangen Augusttagen 1870 klopften hier in Berg rastlos die telegraphischen Apparate, eine Siegesnachricht um die andere verbreitete sich vom Schloß aus um den See, und endlich hallte er wider von der großen Kunde des 2. September, und des Königs Wagen wurde, wo er sich zeigte, jubelnd umringt.

Das sind Erinnerungen, die sich heute mit Macht aufdrängen, aber sie sind nicht die einzigen, die an Schloß Berg haften. Vor 200 Jahren hielt dort und in Starnberg Kurfürst Ferdinand Maria Hof mit seiner prachtliebenden Gemahlin Adelheid, und damals hatte der See eine Glanzzeit, die von der unserigen kaum wieder erreicht ist. Wo heute das große Dampfschiff „Bavaria“ kreuzt, schwamm einst in stolzer Majestät das kurfürstliche Prachtschiff „Bucentaur“, hochragend und goldstrahlend wie die Fahrzeuge der Dogen von Venedig. Ein Fries von Tritonen, Nereïden und Sirenen umschlang das ganze Schiff, am Vorderende ragte Neptun empor, am Hinterende Minerva, im Halbrund lief eine Galerie für Trompeter und Pauker, 16 Feldstücke gaben weithin dröhnende Salven ab und ein Geschwader von Gondeln und Lastschiffen voll geputzter Leute zog rechts und links und hinterher, den fürstlichen Herrschaften das Geleite gebend. Doch Alles wandelt und wechselt. Der „Bucentaur“ ist längst dahin, eine einzige Laterne nur blieb erhalten von all der Pracht. Der See gerieth in Vergessenheit und war Anfangs des Jahrhunderts, wo Tegernsee in Flor kam nur den Wenigsten bekannt. Von den vierziger Jahren an aber entdeckten ihn die Künstler wieder, kam er in Aufnahme, und heute umgiebt ihn ein Kranz von Dörfern und Villen, die Tausenden Genuß und Erholung bieten.

Ueber dem Seegelände aber stehen hoch und klar die leuchtenden Alpengipfel, und sie werden ruhig und unverändert stehen, wenn längst keine Spur mehr übrig ist, weder von dem idyllischen Glück an den Ufern des Sees, noch von dem furchtbaren Leid, welches heute, von Schloß Berg ausgehend, jedes Herz aufs Tiefste erschüttert.


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 458. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_458.jpg&oldid=- (Version vom 4.6.2024)
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