Verschiedene: Die Gartenlaube (1886) | |
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Blätter und Blüthen.
Der Einzug Gustav Adolf’s in Nürnberg. (Mit Illustration S. 444. und 445.) Schwere Prüfungen brachte der dreißigjährige Krieg über die ehemalige Reichsstadt Nürnberg. Fortgesetzt zogen feindliche Truppen durch das Gebiet der protestantischen Stadt, welches sich bis an die Oberpfalz erstreckte. Die Kommandeure erhielten neben den von ihnen auferlegten schweren Kriegssteuern noch reiche Geschenke, um den Ausschreitungen ihrer barbarischen Truppen gegenüber den Unterthanen der Stadt außerhalb deren Ringmauern nach Möglichkeit Einhalt zu thun. Aber obwohl der Nürnberger Rath dem Herzoge von Friedland die Summe von 100000 Gulden für das Versprechen gezahlt hatte, sein Heer nicht durch das Terrain der Stadt marschiren zu lassen, so respektirten die Wallensteiner dieses Abkommen doch nicht besonders, und Opfer auf Opfer mußte seitens der Stadt gebracht werden, um ihre Unterthanen nur einigermaßen vor Raub und Plünderung zu schützen. So gab der Rath den hervorragendsten Schatz Dürer’scher Kunst, den die Stadt von ihrem größten Sohne besaß: die jetzt in der Pinakothek zu München befindlichen vier Apostel, dem Kurfürsten Maximilian I. von Bayern im Jahre 1627 auf sein wiederholtes Drängen hin, um das ausgesogene nürnbergische Gebiet von Truppendurchzügen verschont zu sehen. Die Noth der Stadt nahm mit jedem folgenden Jahre zu; das Landvolk flüchtete in Massen, Schutz begehrend, in die sicheren Mauern der Stadt. So standen die Sachen, als im Jahre 163l der zur Rettung der Protestanten herbeigeeilte König Gustav Adolf von Schweden seinen Siegeslauf durch Deutschland hielt. Von den nur noch wenige Stunden von Nürnberg entfernten Heerscharen Tilly’s bedroht, sandte der Rath der Stadt Hilfe suchend den Patricier Jobst Christoph Kreß mit mündlicher Instruktion an den König nach Obernburg bei Aschaffenburg, der ihn auf das Huldvollste empfing und der Stadt seinen vollen Beistand zusicherte mit der Mahnung, treu zum evangelischen Wesen zu halten. Am 20. März 1632 traf das schwedische Heer, 40000 Mann stark, bei Fürth ein, und Tags darauf hielt, von dem Rathe feierlich empfangen, der König seinen Einzug in Nürnberg unter dem unbeschreiblichen Jubel der Bevölkerung.
Diesen Moment hat der Künstler Paul Ritter als Staffage seines Architekturbildes gewählt. An der Spitze des Zuges sehen wir sechs schwedische Trompeter und einen Heerespauker. Inmitten des Platzes vor der Kirche steht, des Winkes des Königs gewärtig, der Hofmarschall Bernulph von Crailsheim[1], der, wie die Chronik sagt, durch sein einnehmendes Wesen Aller Herzen für sich gewann. Die ritterliche Gestalt des Königs auf seinem weißen Schlachtroß ist von einer Gruppe adeliger Damen und junger Patricier umgeben, die in ihm den Retter der Stadt begrüßen. Die Bürger erheben die Hand zum Schwur der Treue, und liebliche Kinder reichen dem Könige Sträuße und streuen ihm Blumen. Ringsum tönt der Jubel; Hüte werden geschwungen und in die Luft geworfen, und aus den teppichbehangenen Fenstern der Häuser wehen von zarten Händen weiße Tücher. Ein lahmer Greis wird auf einem Wagen herbeigefahren; auch er will den König sehen und sich an seinem Anblick ergötzen. Aber auch Feinde der protestantischen Sache waren in der Stadt. Einen Italiener Namens Benedikt Savioli ließ dieserhalb der Rath heimlich überwachen, und der städtische Spruchsprecher und Hochzeitlader Wilhelm Weber, welcher Spottlieder auf den König sang, wurde seines Amtes entsetzt. Diese Beiden hat der Künstler, rechts in der Ecke an einem Wagen stehend, dargestellt. Im Zuge, zur Linken des Königs, befindet sich der entthronte König von Böhmen, Friedrich von der Pfalz, ihm folgen Herzog August, Pfalzgraf zu Sulzbach, Markgraf Karl von Baden-Durlach, ein Herzog von Holstein, dann eine große Anzahl Officiere und Adeliger. Den Schluß bilden schwedische Dragoner mit einer Standarte, die ein gespaltenes blutrothes Kreuz und einen Todtenkopf mit kreuzweise gelegten Knochen, als Sinnbild menschlicher Vergänglichkeit, zeigt.
Der König nahm sein Absteigequartier im Hause des Patriciers Wilhelm Imhof auf dem Egidienplatz, woselbst ihm der Rath vier Karthaunen, ein schönes Pferd (Rothschimmel) und zwei Pokale von Silber, in Gestalt eines Himmels- und Erdglobus zum Geschenk machte.
Was die Architektur des Ritter’schen Bildes anbelangt, so ist das in der Mitte desselben befindliche Gebäude, die alte Schau, eine Perle gothischer Baukunst, leider nicht mehr vorhanden. Es wurde zu Anfang dieses Jahrhunderts abgebrochen und an seiner Stelle steht jetzt die Militärhauptwache, ein dem damaligen Stile entsprechendes, nüchternes, schmuckloses Gebäude. Das „Schau-Ambt der löblichen Stadt Nürnberg“, wie die Inschrift des Gebäudes lautete, war aber die Probestätte der Arbeiten des Nürnbergischen Kunstfleißes, und gar manches Werk des berühmten Goldschmieds Wenzel Jamnitzer mag dort den Stempel auf echten Metallgehalt empfangen haben. Einen prächtigen Anblick gewähren auf dem Bilde der im Jahre 136l vollendete Ostchor der St. Sebalduskirche und die im Westen sichtbaren schlanken Thürme derselben.
Das Gemälde befindet sich gegenwärtig auf der Jubiläums-Ausstellung in Berlin und ist Eigenthum des Fabrikbesitzers Emil Seitz in Nürnberg. Der Künstler ließ es sich nicht nehmen, den ebenso bescheidenen wie trefflichen Mann, der eine große Sammlung von Gemälden der besten Künstler der Neuzeit sein eigen nennt, rechts in der Ecke des Bildes mit seiner Tochter in der Tracht damaliger Zeit zur Darstelluag zu bringen. Dem Meister Paul Ritter aber, den man mit Recht als den hervorragendsten Architekturmaler Deutschlands bezeichnet, wünschen wir, daß es ihm beschieden sein möge, noch viele derartige Werke zu schaffen!
Marcus Schüßler.
- ↑ Da von Bernulph von Crailsheim ein authentisches Bildniß nicht vorhanden ist, so hat der Künstler einen Nachkommen desselben, den jetzigen bayerischen Staatsminister Krafft Freiherrn von Crailsheim, an des Ersten Stelle portraitirt.
Zur Sprachreinigung. Diese Angelegenheit scheint immer mehr in ein gutes und richtiges Fahrwasser zu kommen. Von der von Hermann Riegel herausgegebenen „Zeitschrift des allgemeinen deutschen Sprachvereins“ (der hoffentlich eine noch immer weitere Ausdehnung gewinnen wird) sind die ersten Nummern erschienen, und in vielen Zeitschriften macht sich offenbar das Bestreben geltend, entbehrliche Fremdwörter durch rein deutsche Ausdrücke zu ersetzen. So findet sich z. B in der von
J. Neumann in Berlin herausgegebenen „Zeitschrift für Versicherungswesen“ vom 31. Mai ein Aufsatz von Dr. H. Zimmermann über „Verdeutschung der Fachausdrücke in der mathematischen Statistik", worin
z. B. für die hier noch viel gebrauchten Fremdwörter aktiv nebst Aktivität im Gegensatz zu invalide mit Invalidität die deutschen Bezeichnungen: arbeits- oder dienstfähig,
–tauglich, –unfähig, —untauglich nebst den Fortbildungen auf –keit empfohlen werden, ferner für Morbidität (falsch Morbilität) als „vorübergehende Arbeitsunfähigkeit“ auch Krankfälligkeit und Krankheit. Für weitere Anführungen aus dem sehr anregenden Aufsatz reicht der mir zugemessene Raum nicht aus; denn ich muß hier noch ein kleines eben erschienenes Heft (von 24 Seiten) erwähnen, das den Titel führt: „Verdeutschung der Speise-Karte so wie der hauptsächlichsten in der Küche und im Gastwirths-Gewerbe vorkommenden entbehrlichen Fremdwörter. Bearbeitet von dem Dresdener Zweigverein des allg. deutschen Sprachvereins in Verbindung mit dem Verein Dresdener Gastwirthe und dem Verein Dresdener Köche.“ Es ist gerade dies ein Gebiet, auf welchem die Sprachreinigung noch sehr viel zu schaffen hat. Das Heftchen ist jedenfalls als ein sehr erfreulicher Anfang zu begrüßen, wenn es auch (wie die Verfasser nach dem Vorwort sich selbst nicht verhehlen) noch in mancher Beziehung verbesserungsbedürftig ist.
Altstrelitz, den 10. Juni 1886. Daniel Sanders.
Arzt und Spaßmacher. Zu der Zeit der Geheimen Sanitäts- und Medicinalräthe und der Hochwürdenträger der medicinischen Fakultäten an den Hochschulen muß es einen befremdlichen Eindruck machen, wenn wir erfahren, wie die ärztliche Praxis am Schluß des 17. Jahrhunderts aussah. Da zogen die Aerzte mit Pferd und Wagen auf den Jahrmärkten umher, ausgestattet mit kaiserlichen Privilegien, die ihnen das Recht einräumten, als Aerzte, Zahnbrecher, Okulisten, Bruchschneider und sonst zur Hebung menschlicher Gebrechen, wo es ihnen genehm war, ihre Bude aufzuschlagen; auch bedienten sie sich zur Anlockung des Volkes der Pickelheringe und Hanswürste, deren Treiben oft so ausgelassen war, die sich oft in so groben Zoten ergingen, daß mehrfach, auch in Leipzig, Verordnungen erlassen wurden, welche den Aerzten dieses Mittel der Reklame untersagten. In späterer Zeit gab es allerdiags eine Sorte von Aerzten, welche sich selbst als Spaßmacher zu empfehlen suchten, und manche dieser medicinischen Hauskomiker, die immer für ihre Patienten ein Späßchen, ein Geschichtchen in Bereitschaft hatten, gewannen eine große Praxis; jetzt sind unsere Aerzte ernste Naturforscher geworden und haben die Hanswurstiaden dem Quacksalberthum überlassen, das bei der heutigen Gewerbefreiheit zum Theil noch in recht unerfreulicher Blüthe steht. G.
Jubelfeier der Schützengilde in Schweidnitz. Die schlesische Stadt Schweidnitz, die nach manchem herben, ihre Entwickelung immer wieder hemmenden Geschick, das sie im Laufe der Jahrhunderte erfahren, nunmehr, nachdem ihre Festungsmauern gefallen, zu einer in fröhlichem Aufblühen begriffenen Wohnstätte einer lebhaft thätigen Bevölkerung geworden, feiert in der Woche vom 11. bis 18. Juli d. J. das 600jährige Jubiläum ihrer Schützengilde zugleich mit einem Volksfeste, weil einer Tradition nach der mit dem Beinamen Bellicosus belegte schlesische Herzog Bolko I. es gewesen, der das Schießen unter den Schweidnitzer Bürgern (Armbrustschießen) im Jahre 1286 eingeführt hat.
Unter Anderem ist auch ein historischer Festzug vorbereitet worden, in welchem der erwähnte Herzog in schwerer Eisenrüstung, hoch zu Roß, umgeben von seiner Gemahlin, seiner Tochter und dem fürstlichen Hofstaat erscheinen wird. Eine Festschrift, herausgegeben von dem Verleger des Tageblattes, Otto Maisel, und eine Festzeitung – von A. Schreyer – bilden die litterarischen Spenden der Jubelfeier. M. H.
Gehalt der Schauspieler im Ciceronischen Zeitalter. Aus der Rede, welche Cicero, zur Vertheidigung seines Freundes, des Schauspielers Quintus Roscius hielt, ersehen wir nicht nur, daß die Vorurtheile, welche die Römer in den früheren Zeiten der Republik gegen den Staad der Schauspieler hegten, zu Cicero’s Zeit verschwunden waren, sondern wir erhalten zugleich Aufschluß über das Gehalt, welches Schauspieler von Ruf bezogen. Cieero sagt in der erwähnten Rede, daß Roscius 6 Millionen Sestertien, die er in 10 Jahren auf die ehrenvollste Art hätte verdienen können, ausgeschlagen habe. Diese Summe, welche Cicero selbst sehr groß nennt, würde nach unserem Gelde 750000 Mark betragen und mithin ein Jahresgehalt von 75000 Mark voraussetzen. Nach Plinius VII. 30. belief sich des Roscius Jahresgehalt nur auf etwa 62490 Mark, dagegen bestimmt Makrobius Lib. II, 10. das tägliche Gehalt auf 1000 Denare oder 4000 Sestertien, was nach unserem Gelde ein Jahresgehalt von mehr als 180000 Mark ausmachte.
Das Beispiel des Roscius steht in dieser Hinsicht keineswegs vereinzelt da. Makrobius berichtet, daß der Schauspieler Aesopus seinem Sohn ein Vermögen von beinahe 3 Millionen Mark, die er nur durch seine Kunst erübrigt, hinterlassen habe. Bedenkt man, daß die Schauspieler damals ebenso wenig wie jetzt Meister in der Sparsamkeit waren, so scheint dieser Aesopus allerdings eine recht schöne Summe eingenommen
zu haben, und wir würden es keinem unserer Schauspieler verübeln, wenn er dem bescheidenen Wunsch nach der Rückkehr jenes goldenen Zeitalters Ausdruck gäbe. E. R.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 459. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_459.jpg&oldid=- (Version vom 4.6.2024)