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Seite:Die Gartenlaube (1886) 631.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Jedem Ihrer Bedienten hätten Sie die Vertheidigung gestattet, Ihr Enkel aber galt Ihnen ohne Weiteres für einen Verbrecher. Ja, ich griff damals nach dem Ersten, Besten, das mir als Waffe dienen konnte; ich wußte ja nicht, daß es mein eigener Großvater war, der mir den Schimpf anthat, aber von der Stunde an, wo ich das erfuhr, da lebte in mir nur das glühende Verlangen nach Vergeltung.“

„Michael!“ fiel ihm der General drohend in die Rede. „Nicht ein Wort mehr in diesem Tone, der weder dem Chef noch dem Vater Deiner Mutter gegenüber am Platze ist. Ich verbiete es Dir, und Du wirst gehorchen!“

Wenn Graf Steinrück in dieser Art sprach, hatte er noch stets Gehorsam gefunden; hier zum ersten Male versagte die Macht seiner Persönlichkeit. Selbst Raoul, der doch wahrlich nicht zu den Furchtsamen gehörte, beugte sich vor dem Zornesblitz dieser Augen, aber Michael beugte sich nicht. Wohl zwang er sich auf jene Mahnung hin gewaltsam zur Ruhe, aber wenn seine Stimme auch kälter und beherrschter klang, sie hatte nichts von ihrer Energie verloren.

„Zu Befehl, Excellenz! Ich habe diese Unterredung nicht gesucht, sie wurde mir aufgezwungen, aber ich denke, Sie sind jetzt von der Furcht befreit, daß ich jemals einen verwandtschaftlichen Anspruch geltend machen könnte. Sie dünken sich so erhaben über die gemeine Menschenwelt, mit Ihrem uralten Stammbaum; Sie haben das einzige Glied Ihres Hauses, das dem Ahnenstolz zu trotzen wagte, mit eiserner Hand ausgestoßen und ausgestrichen aus Ihrem Leben! Aber Ihr Wappenschild steht nicht so unerreichbar hoch wie die Sonne am Himmel; es kommt vielleicht ein Tag, wo es einen Flecken trägt, den Sie nicht auslöschen können. Dann werden Sie fühlen, was es heißt, mit einem glühenden, leidenschaftlichen Ehrgefühl in der Brust die Schuld und Schmach eines Anderen büßen zu müssen, wie Sie mich jetzt das Andenken meines Vaters büßen lassen; dann werden Sie es begreifen, welch ein erbarmungsloser Richter Sie meiner Mutter gewesen sind! – Darf ich mich nun als entlassen betrachten, Excellenz?“

Er stand wieder da, in der starren Haltung des Soldaten. Der General antwortete nicht, es wehte ihn wie ein Schauer an bei diesen Worten, die fast prophetisch klangen; einen Augenblick lang tauchte Etwas vor ihm auf, noch dunkel und gestaltlos, aber wie die Ahnung eines kommenden Unheils, dann sank es wieder zurück in die Nacht. Stumm winkte er dem jungen Officier, sich zu entfernen, und dieser ging, ohne einen Blick zurückzuwerfen; in der nächsten Minute schloß sich die Thür hinter ihm.

Als Steinrück allein war, begann er heftig und ruhelos im Zimmer auf- und niederzugehen, aber dabei kehrte sein Auge immer wieder zu einem Bilde zurück, das ihm gegenüber an der Wand hing, und das ihn selbst als jungen Officier darstellte. Nein, es war keine Aehnlichkeit vorhanden zwischen diesem schönen Kopf mit den edlen, regelmäßigen Linien und jenen charakteristischen, aber unschönen Zügen, nicht die geringste! Und doch waren es dieselben Augen gewesen, die dem Grafen aus jenem Antlitz entgegenflammten, doch war es seine Stimme, die er aus jenem Munde gehört hatte, und sein war auch der unbeugsame Stolz, die eiserne Energie, die den Kampf mit dem Schwersten nicht scheute – nicht in den Zügen, im Blick und in der Haltung lag die Aehnlichkeit.

Das drängte sich mit unabweisbarer Gewalt dem Manne auf, der so düster und unverwandt auf sein Jugendbild blickte. Er war empört, beleidigt, und dennoch zog Etwas durch seine Seele, das er nie gekannt und das er oft genug schmerzlich vermißt hatte bei dem Sohne und Enkel, die seinen Namen und seine Grafenkrone trugen: das Bewußtsein, daß es einen Erben seines Blutes und Charakters gab. Er hatte sich vergebens gemüht, in Raoul auch nur einen Zug davon zu entdecken, umsonst! Aber der verleugnete Sohn der verstoßenen Tochter, der als ein Fremdling von der Schwelle ging, der hatte dies Blut in den Adern, und der Großvater fühlte durch all den Haß und Kampf hindurch, daß er ein Reis war von seinem Stamme.


Professor Wehlau bewohnte im westlichen Theile der Stadt eine nicht allzu große, aber sehr hübsche Villa, an die sich ein ziemlich ausgedehnter Garten schloß, und die behagliche und geschmackvolle Einrichtung derselben zeigte, daß sich die strenge Wissenschaft keineswegs ablehnend verhielt gegen die Annehmlichkeiten des Lebens.

Der Winter war zum größten Theile vergangen, man befand sich im Anfange des März und im Freien begannen sich schon die ersten Vorboten des Frühlings zu zeigen. Im Wehlau’schen Hause aber herrschte immer noch eine etwas gewitterschwüle Temperatur: die Spannung zwischen Vater und Sohn war noch keineswegs ausgeglichen und das „Donnergewölk“, wie Hans sehr respektwidrig die Stimmung seines Vaters nannte, hing oft genug drohend über ihm. Das war auch heute der Fall, wo der junge Künstler sich im Studirzimmer des Professors befand, der wieder einmal die volle Schale seines Zornes auf den ungehorsamen Sohn ausgeschüttet hatte.

„Sieh Dir Michael an!“ schloß er endlich seine Rede. „Der weiß, was Arbeit heißt, und der kommt auch vorwärts im Leben. Mit neunundzwanzig Jahren ist er schon Hauptmann geworden – was bist Du dagegen?“

„Ich wollte, Michael machte einmal einen grenzenlos dummen Streich!“ sagte Hans mißvergnügt, „dann brauchte ich nicht immer und ewig von seiner Vortrefflichkeit zu hören. Du siehst in dem neugebackenen Hauptmann schon den künftigen Generalfeldmarschall, der die sämmtlichen Schlachten unseres Landes gewinnt, und Deinem eigenen leiblichen Sohn, der doch zweifellos ein angehendes Genie ist, traust Du gar nichts zu. Papa, eigentlich ist das himmelschreiend.“

„Schweig’ mit Deinen Possen,“ unterbrach ihn Wehlau in übelster Laune. „Und dabei willst Du mir noch einreden, daß Du ‚fleißig‘ seist! Jawohl, was die Herren Künstler so nennen! Den halben Tag lang umherlaufen und sich amüsiren, unter dem Vorwande Studien zu machen, und während der anderen Hälfte allerhand Tollheiten in den Ateliers treiben! Dazu kommt dann die unvermeidliche Reise nach Italien, wo das Amusement mit frischen Kräften fortgesetzt wird, natürlich auch nur zum Studium! Und das heißt bei Euch arbeiten! Aber dies Leben ist gerade so recht nach Deinem Geschmack; es ist überhaupt wohl das einzige, wozu Du taugst.“

Die Vorwürfe brachten leider gar keine Wirkung hervor. Hans setzte sich wieder rittlings auf einen Stuhl und erwiderte ganz unbekümmert:

„Zanke nicht, Papa! Oder ich male Dich in Lebensgröße, schenke das Portrait der Universität und lasse mir eine Dankadresse votiren. Ich habe Dich schon längst fragen wollen, ob Du mir nicht einmal sitzen willst.“

„Das fehlte noch!“ brauste der Professor auf. „Ich verbitte es mir ernstlich, daß Du Deine Farbenkleckserei an meiner Person versuchst.“

„So sieh Dir wenigstens einmal mein Atelier an, Du hast ja noch keinen Blick auf die ‚Farbenkleckserei‘ geworfen.“

„Nein,“ grollte Wehlau. „Ich will mich nicht von Neuem ärgern: verrückte idealistische Richtung – abgeschmacktes sentimentales Zeug – höchstens einmal eine Karikatur, über die man sich dann auch wieder ärgert – etwas Anderes bringst Du nicht zu Stande, das weiß ich im Voraus. Ich will nichts sehen und hören von der ganzen Geschichte.“

„Nun, gehört hast Du doch schon davon!“ triumphirte der junge Künstler. „Als ich das Portrait meines Lehrers, des Professor Walter, im Kunstverein ausstellte, sprachen sämmtliche Zeitungen darüber, und eine derselben brachte sogar eine höchst wohlthuende Variation auf das stehende Thema von dem ‚Sohne unseres berühmten Forschers‘, sie sagte: ‚der geniale Sohn eines berühmten Vaters!‘ – gieb Acht, Papa, ich werde einst noch Deinen ganzen naturwissenschaftlichen Ruhm verdunkeln. Aber, darf ich mich jetzt beurlauben? Mir ist hoher Besuch angesagt.“

Wehlau zuckte spöttisch die Achseln.

„Das wird was Rechtes sein!“

„Bitte, die Gräfinnen Steinrück.“

„Und die kommen zu Dir?“ Der Professor maß seinen Sohn mit einem höchst erstaunten Blick.

„Natürlich! Man fängt an berühmt zu werden, man empfängt die Aristokratie in seinem Atelier, man ist ja nicht umsonst der geniale Sohn eines ausgezeichneten Vaters – willst Du mir wirklich nicht zu einem Bilde sitzen, Papa?“

„In des Kuckucks Namen, nein!“ schnaubte der Professor.

„Gut, dann male ich Dich hinterrücks, ohne Dein Wissen, und schicke Dich meuchlings auf die Ausstellung. Adieu, Papa!“

Und mit dem liebenswürdigsten Lächeln, als ob zwischen ihm und dem Vater das beste Einvernehmen herrsche, entfernte er sich. Draußen vor der Thür traf er mit Michael zusammen.

(Fortsetzung folgt.)


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 631. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_631.jpg&oldid=- (Version vom 27.9.2022)
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