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Seite:Die Gartenlaube (1887) 258.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Daneben lag eine russische Grammatik nebst einem Uebungsheft aufgeschlagen. Aber auch Strategie und Gefechtswisssenschaft kamen zu ihrem Recht. Ueber einen Nebentisch lag eine große Karte gebreitet, auf der die einzelnen Truppenpositionen durch niedliche Stecknadelfähnchen bezeichnet waren, die neueste vom Feldmarschall selbst gestellte Uebungsaufgabe, über die sich alle Streber in der Armee augenblicklich die Köpfe zerbrachen.

Einige Briefe hatten sich nebst der Zeitung eingefunden. Der eine, von altmodischer länglicher Form, zeigte die wenig ausgeschriebenen Schriftzüge seiner guten Mutter. Zuerst, ohne den Paletot abzulegen, erschloß er das große feierliche Quartkouvert des anderen. Der vergoldete preußische Adler schimmerte ihm von der starken Kartonkarte entgegen, die „Das königliche Hofmarschallamt“ unterzeichnet war. Sie enthielt eine Einladung für den achtundzwanzigsten Januar zu Kour und Ball im königlichen Schlosse.

Ein Schimmer der Befriedigung glitt über sein Gesicht wie ein Abglanz aus dem lichterstrahlenden Ballsaal dort bei Hofe. Ah, aber er mit seinem Eff – mit seinem Buchstaben? Was soll er dort, wo nur die glänzenden Namen ihre Triumphe feiern? Gleich verflog der Schimmer von seinem Antlitz. Mühüller’s Ausruf: „Ein verteufelt guter Name!“ klang ihm im Ohr. Auf der Schule hatten sie ihn mit seinem Buchstaben geneckt, später, als jungen Lieutenant, stach ihn zuweilen, bei Vorstellungen, eine thörichte Scham. Nun, darüber ist er längst hinaus – zum Glück ist das „suum cuique!“ keine hohle Devise in Preußen. Er weiß, er wird auch mit seinem Einsilber und trotz desselben nicht in der Masse stecken bleiben, er hat Vertrauen zu seiner Tüchtigkeit. „Vorwärts!“ lautet seine Parole – aber nicht vorwärts mit Katzenbuckeln!

Doch wie kam er zu solchen Betrachtungen? Hatte Mühüller Recht und lugte durch den „Scherz“ von Frau Belzig wirklich eine tiefere Absicht?“ War es möglich, daß dessen Andeutung, Perkisch und den Grafen betreffend, eine Spur von Wahrheit enthielt? Ihnen Allen, den Kameraden, die dort verkehrten, war der Parvenühauch, der das Haus Belzig durchwehte, nicht ganz geheuer – aber vor dem Zauberglanz der beiden Sterne verblaßte jede Kritik.

„Ich liebe das herrliche Wesen – ich muß sie erringen! Sie muß mein sein! – Der Name, was hat der Name mit dieser Liebe zu thun? Und wenn diese Liebe das Opfer meines Namens forderte, wie Mühüller anzudeuten scheint? – Nein, nicht das! Nicht um diesen Preis! Auch Melitta nicht!“

Mit einer Bewegung, als begänne die Karte ihm in der Hand zu glühen, ließ er sie auf den Tisch fallen. Dann entledigte er sich mit nachdenklicher Langsamkeit seines Paletots und Degens, zündete eine Cigarre an und schmiegte sich in einen Polsterstuhl, um den Brief der guten Mama mit Behaglichkeit zu genießen.

Der aromatische Geruch des Lavendels, der die gewaltig massiven Schränke der verwittweten Steuerräthin Eff zu erfüllen pflegte, wehte ihm daraus entgegen. Und dieser Geruch zauberte die Erinnerung an die elterliche Wohnung zu Erfurt vor seine Augen. Die niederen, nicht streng quadratischen, durch Treppchen und Rampen verbundenen Zimmer, die kleinen klirrenden Fenster mit den steifen Zugjalousien; nach der Stille des Hofes, den das grüne Dunkel einer mächtigen Linde beschattete, das Arbeitszimmer seines Vaters, wo vor dem geräumigen tannenen Schreibtisch noch der glänzend glattgesessene Lehnsessel stand: alles altfränkisch, echt Erfurtisch, aber lieb und von naiver Traulichkeit.

Er sah sein Mütterlein, die kleine Dame mit dem ängstlichen Gesichtchen, stets in abgetragene Seide gekleidet, mit Staubtuch und Federwedel lautlos huschend durch die Räume walten. Er sah sie an den Nachmittagen am Fenster sitzen, dem grauen Spiegelglase des „Spions“ gegenüber. An dem anderen Fenster, der Mutter gegenüber, pflegte sein Schwesterchen Adelheid zu sitzen, der Riesenteppich, an dem sie schon seit Jahren mit Unterbrechungen stickte, war immer noch nicht fertig, seine Farben drohten zu verblassen, und die Blüthe des zarten Antlitzes reifte immer mehr einer resignirten Duldermiene entgegen.

Eff hatte die Weihnachtsfeiertage zu Hause verbracht. Der Brief zehrte noch von der Erinnerung an diesen Besuch. Walther hatte zu Hause von seinen Arbeiten, seiner Stellung, vom Generalstab, von Moltke, von seiner Zukunft ausführlich erzählen müssen, und nun brach der Mutterstolz immer wieder durch die Zeilen.

„Gott segne Dich, mein Sohn!“ schrieb die brave Dame. „Tante meint und wir freuen uns Alle so, daß Du dem guten Namen unserer Familie solche Ehre machst.“

„Tante meint …“ dies kennzeichnete die Autorität, welche die Schwester des verstorbenen Steuerrathes in der Familie genoß. Immer wieder: „Tante meint – Tante hat gesagt – Tante will es so“ – nichts Wichtiges, das beschlossen wurde, ohne daß man den Rath der kleinen rundlichen, quecksilbernen Wittwe in Anspruch nahm, die auch ohne ihr bedeutendes Vermögen sich ihre Hauptrolle in der Familie bewahrt hätte, denn unter ihrer polternden Tyrannei verbarg sich ein Goldherz, das nicht müde wurde zu geben und, wo es nöthig war, zu vergeben.

Die eben ausgesprochene Zuversicht erhielt dadurch noch mehr Nachdruck, daß unmittelbar ein Stoßseufzer folgte, der Adolf, dem älteren der beiden Brüder, galt. Adolf hatte die technische Hochschule besucht und war dann abseits der großen Heerstraße einer regelrechten Anstellung auf den Irrpfad der Erfindungen gerathen. Er betrieb eine „Idee“ nach der andern, von der eine jede Ruhm und Reichthum bringen sollte, stand mit allen Patentämtern der Welt in Verbindung und wurde von den gelegentlichen Kompagnons seiner Pläne weidlich ausgebeutet. Zudem hatte er voreilig geheirathet und saß nun, nachdem die unseligen Erfindungen das kleine Vermögen seiner Frau aufgezehrt hatten, im Elend.

„Adolf ist im Begriff, wie er uns mittheilt, in Berlin eine Fabrik für seine neueste Erfindung einzurichten,“ schrieb die Steuerräthin; „er hat uns den Plan in seinem Briefe ausführlich aus einander gesetzt, ich habe es wie gewöhnlich nicht verstanden. Du guter Gott, was soll dies wieder bedeuten?“

Und gleich darauf, als müßte die Schreiberin sich wieder an etwas Erfreuliches klammern: „Mein lieber Walther, Tante behauptet fest, daß Du Aussicht hättest, eine gute Partie zu machen. Hast Du ihr eine Andeutung gemacht? (Die gute Frau stand so gern hinter der allmächtigen Tante zurück) Wie sehr wir uns Alle freuen würden, kannst Du Dir denken. Ich bin überzeugt, daß Du Deine Wahl nicht zu bereuen haben wirst.“

Er fuhr empor – wer hatte das gesagt? Wie kam Tante dazu, das zarte Geheimniß seines Herzens in solch greifbarer Gestalt ans Licht zu zerren?

Ah, nun erinnerte er sich. Die „Autorität“ hatte ihn mit ihren nadelspitzen Fragen, die überall umherstachen, auch nach seinen gesellschaftlichen Beziehungen gefragt. Und er hatte ihr Haus für Haus, wo er verkehrte, schildern müssen. Da mochte er wohl die Familie Belzig am Lützow-Ufer mit etwas wärmeren Farben herausgestrichen haben: das liebenswürdige gastliche Haus, die exquisiten Diners, die interessante Gesellschaft, die man zuweilen dort träfe – und ganz zuletzt, ganz nebenher die beiden bildschönen Töchter.

„I sieh einmal!“ Und die grauen Augen der Tante glitzerten noch lebhafter als sonst. „Du bist verliebt in eine von ihnen!“ Lachend wehrte er ab. „Ich sage Dir, Du bist verliebt in eine von ihnen! Du wirst Dich mit einer von ihnen verloben!“

In einem köstlichen tyrannischen Befehlton kam es heraus. Er zwirbelte mit etwas listigem Schmunzeln das Musterstück seines prächtigen Schnurrbartes. Das mochte sie als eine Bestätigung aufgefaßt haben. –

Nachdem er den Schluß des Briefes nur flüchtig durchflogen, sprang er auf. Ja, wie gern gab er der Tante Recht: „Ich liebe Dich! Ich liebe Dich, Melitta, Du Herrliche, Einzige!“ hätte er fast laut ausgerufen. Und in einem Sturm der Begeisterung, der ihn in dem Gedanken an sie erfaßte, rannte er die Stube auf und ab.

„'err Leut', il y a un monsieur qui désire parler 'err Leut'!“ meldete Baptist.

Eff hatte nicht einmal gemerkt, wie der Bursche eingetreten war. In einem leichten Unmuth über die Störung fuhr er ihn an.

Baptist blieb unbeweglich, nicht die Spur einer Regung in dem frischrothen, von Gesundheit strotzenden Musketiergesicht.

Da pochte es auch schon an die Thür, zwei heftige Schläge; daran hätte Eff schon seinen Bruder erkannt. Ohne das „Herein“ abzuwarten, trat Adolf in die Stube, eine große Papierrolle unter dem Arm; selten sah man ihn ohne diese Rolle.

Adolf war eine kleinere, weniger hübsche und elegante Ausgabe des jüngeren Bruders. Auch kontrastirte sein nervöses hin- und herfahrendes Wesen gegen die vornehme und sichere Ruhe des Officiers. Er sah älter aus als die etlichen dreißig Jahre, die er zählen mochte; Haar und Bart waren leicht ergraut, und die Züge schienen mit ihren zahlreichen Falten gleichsam Buch zu führen über die „Ideen“, die in seinem Hirn umherwühlten.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_258.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)
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