Verschiedene: Die Gartenlaube (1887) | |
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Ein gewaltiges Rauschen und Rascheln von Kleidern folgte diesem Kriegsruf. Ja, er klang wie ein solcher.
Friedrich war sofort wie hinweggehext. Als er gleich darauf mit den Bouillontassen erschien, zeigte sein linkes Auge eine leichte Verkleinerung. Diese Verkleinerung pflegte sich bei ihm einzustellen, wenn stürmische Krisen die herrschaftliche Atmosphäre aus dem Gleichgewicht brachten.
Während des Entrées herrschte völliges Schweigen. Das Gewitter zuckte in stummen wetterleuchtenden Blitzen auf. Frau Belzig hatte offenbar ihr „letztes Wort“ gesprochen, doch pflegte diesem letzten noch eine tagelange Fluth allerletzter Worte zu folgen. Und der „Herr des Hauses“ war jedenfalls mehr denn je von der Angst besessen, daß ihm die Aufregung gerade jetzt, in der Höhe seiner Brunnenkur, einen verhängnißvollen Schaden zufügen könnte.
Endlich unterdrückte er diese Angst und, die Gabel voll junger Erbschen, die kurgemäß besonders für ihn zubereitet waren, in der halberhobenen Linken, den Blick auf den winzigen Wiederschein des Fensters an der Weinkaraffe gerichtet, sagte er:
„Was dem Einen recht ist, ist dem Andern billig, und ich. dächte, wenn man die Beiden abwöge …“
„Weiß ich, weiß ich ganz genau, brauchst Du mir erst nicht gar aus einander zu setzen,“ fuhr Frau Belzig in seine Worte. Sie athmete auf – Gottlob, daß dies stumme Wetterleuchten ein Ende hatte!
„Ich weiß so gut wie Du, Otto (sie nannte ihn nur selten bei seinem Vornamen), daß ‚er‘ mit Schulden gespickt ist und daß wir tüchtig werden bluten müssen.“
Sie meinte natürlich den Grafen; sie war so voll von diesem „er“, daß alles Andere hinter der kleinen Silbe verschwand.
„Das gehört übrigens der Vergangenheit, und es geht uns eigentlich Nichts an. Das Bischen Schulden wird uns nicht umbringen. Wir werden ihm nichts nachtragen. Junge Leute sind leicht, und solche Namen sind allerlei Gefahren ausgesetzt! Wir sind eben in der Lage, uns solch’ einen kostbaren Schwiegersohn anzuschaffen. Wir können es und werden es. Er hat übrigens bewiesen, daß er im Stande ist, Vergangenes wieder gut zu machen, sonst hätte er nicht seit drei Jahren wie ein Einsiedler auf seinem Vorwerk gesessen und Gänse gemästet. Er ist ein Charakter so gut wie ein Anderer.“
„Es blieb ihm einfach nichts übrig, wenn er es nicht vorzog, bei anderen Leuten Holz zu hauen,“ unterbrach sie Belzig trocken, aber immer, ohne seine Frau anzusehen.
„Es ist nicht zu glauben, wie Du redest,“ brauste diese auf. „Du hast keinen Respekt, Du hast keinen Verstand, Du hast keinen Ehrgeiz! Das kommt von Deinen Demokratenblättern, die Du liesest. Aber gerade diese Schreier sind die ersten, die, wenn es darauf ankommt, sich vor einem Namen oder Titel bücken. Der Name ist das Einzige, was bleibt. Dein Geld kann Dir jeden Augenblick mit einem Krach auffliegen. Aber ein Name ist sicher vor Dieben und Motten.“
Für sich schaltete sie ein: „Die Schulze und Lehmann mögen Biederleute sein, und ich verkehre ganz gern mit ihnen, aber für meine Töchter – Hand davon! sag’ ich.“ Und wieder laut: „Ich bleib’ dabei, für den Grafen ja! für den Eff nein!“
„Du hast übrigens ganz vergessen, zum Generalstab zu gratuliren, Bella,“ sagte der Unzerreißbare mit einer Ruhe und Langsamkeit, die bestimmt schienen, jene zu reizen. Gleich hinterher aber, auffahrend gegen den Diener gewandt:
„Friedrich, sagen Sie doch in der Küche, ob es denn wirklich nicht möglich ist, die Koteletts magerer zu bereiten. Wie oft soll man es denn befehlen!“
„Paperla –“
Frau Belzig mißhandelte eben mit dem Messer eines von den gesundheitsmörderischen Koteletts.
Generalstab hin, Generalstab her! Wer hat in solchen Momenten Lust, an Lappalien zu denken! Gewiß. ich habe Nichts gegen diesen – Eff.“ Der Name schien ihr jedesmal Schwierigkeiten in der Kehle zu machen. „Er ist mir lieb als Gesellschafter, ich achte ihn hoch als Charakter. Ich weiß, Melitta könnte nicht besser aufgehoben sein. Aber – Eff! Ich bitte Dich – Eff! Und nun erst Frau Eff! Ich sage es gerade heraus, ich habe eine unüberwindliche Antipathie gegen den Namen. Aber selbst als General Eff, als Excellenz Eff – man wird ihn natürlich als Excellenz nicht so blank herumlaufen lassen – aber selbst eine Excellenz von Eff – ich kann nicht anders: der Name ist mir einfach entsetzlich, er ist mir ein Gräuel; er macht mich nervös, und wenn Du nicht willst, daß ich krank werde, so laß mich damit in Ruhe!“
Sie prustete vor Erregung, und das Messer in ihrer fleischigen, mit tiefen Grübchen gezeichneten Hand klirrte laut auf dem Messerbänkchen.
Herr Belzig war wider Erwarten zähe: „Ich dächte doch,“ sagte er, die einzelnen Theile seiner Sätze durch eine gesteigerte Thätigkeit im Kauen und Schlucken unterbrechend, als wollte er sich dadurch Muth machen – „ich dächte doch, wir wären schließlich so situirt – daß wir unsere Töchter – nach ihrem Herzen wählen lassen könnten. Und wenn Melitta das – Unglück gehabt, sich in den Besitzer – solch häßlichen Namens zu – verlieben –“
Friedrich nahte eben mit dem nächsten Gang, und Belzig hielt vorsichtig inne. Seine Frau aber vermochte nicht abzuwarten, bis der Gang servirt war. Vor einem ihrer Blitzesblicke verwehte Friedrich.
„Glück – Unglück! Glück und Unglück sind Begriffe!“ rief Frau Belzig. „Wir wissen, was für eine Art Glück für unsere Kinder paßt. Man will weder Lo noch Litta einen Mann aufzwingen, den sie nicht leiden können. Auch soll dieser – Eff! nicht ein- für allemal abgewiesen werden. Man wird ihn schon acceptiren – nur nicht so wie er ist. Ich bitte Dich – Eff! Es geht wirklich nicht, es ist unmöglich! Mag er doch sehen, wie er den Namen embellirt.“
Belzig blickte mit einem Ruck auf.
„Nun so, warum soll man nicht davon reden? Mag er sich doch umtaufen lassen! Was ist an einem Namen gelegen?“
Die Spur eines feinen Lächelns, die das graue Guttapercha von Belzig’s Hypochondergesicht belebte, deutete doch nicht etwa auf den Widerspruch hin: vorhin war der Name Alles und jetzt ist er Nichts?
Sofort schlug sie den Versuch eines solchen Hinweises mit dem entrüsteten Ausruf nieder:
„Eff ist überhaupt kein Name! Ich vergebe meine Tochter nicht an einen Buchstaben!“
Er nickte mit einem ironischen Schmunzeln in den Teller hinein.
„Du scheinst nicht zu verstehen, Belzig! Man muß Dir mit dem Scheunenthor winken. Als wenn nicht die schönste Gelegenheit vorhanden wäre! Da ist doch unser Oberstlieutnant. Er wird sich glücklich schätzen, seinen Namen abzugeben und jeder Andere als dieser Hartkopf von einem Eff, der so thut, als verstände er nicht, würde glücklich sein, einen solch hübschen Namen einzustreichen.“
„Du willst doch nicht, daß wir uns lächerlich machen sollen, Bella!“
„Das zu verhüten kannst Du getrost mir überlassen!“ Sie sprühte und funkelte.
„Eff ist ein Ehrenmann, er ist ein Kavalier durch und durch. Er wird sich auf solche Scherze nicht einlassen.“
„So liebt er Melitta nicht!“ dekretirte sie. „So soll er sie nicht haben! Was, er sollte nicht einmal das Bischen Opfer bringen können? Uebrigens, was steht da wider den Ehrenmann und Kavalier? Natürlich, Deine Demokratenblätter wissen das am besten! Uebrigens,“ fuhr sie nach einer kurzen Pause fort, die der Wirkung ihrer Worte gewidmet war, „kann die Sache auf die denkbar einfachste Weise angefaßt werden. Lolo ist die Aelteste; es ist selbstverständlich, daß ihr der Vorrang gebührt. Man giebt nicht beide Töchter, unsere einzigen Kinder, auf einmal weg. Melitta ist erst achtzehn Jahre alt. Man kann warten und sich gefälligst gedulden. Monsieur Eff wird sich dann besinnen müssen. Einstweilen muß es dabei bleiben: für den Grafen ja! für Eff nein! – Friedrich, noch eine Flasche Apollinaris!“
„Wenn nun aber Lo für den Grafen – nein! sagt?“ Es schien ihm eine Herzensfreude zu machen, mit dieser Bemerkung das ganze Netz ihrer Pläne zu zerschneiden.
„Ah!“ – Es war ein Unsinn, das anzunehmen. Es war nicht denkbar. Sie hielt es nicht der Mühe werth, dagegen etwas einzuwenden.
Da klingelte es zweimal rasch hinter einander im Flur. Es waren die Beiden; der elektrische Apparat schien noch einmal so fröhlich unter dem Druck solcher Finger zu arbeiten.
„Sie sind es, Belzig. Du wirst Lolo in Kenntniß setzen, ich werde Melitta auf mich nehmen – das arme, gute Kind!“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 262. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_262.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)