Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1887) 265.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

mich nun hier aufzustellen und nach diesem lebhaften, farbenreichen, wahrhaft imposanten Bilde meinem Auge ein anderes, neues: das Massenbild der großartig stummen Huldigung vor dem Kaiserpalais, zu verschaffen.

Abfahrt der Hofwagen nach der Beglückwünschung des Kaisers.0 Originalzeichnung von E. Thiel.

Und in der That! Ein außerordentlicher Anblick bot sich mir, aber ich mußte auch längere Augenblicke eine mehr als beklemmende Unbequemlichkeit in den Kauf nehmen.

Als ich die Richtung nach der Universität nahm, eröffnete sich an der Frontseite noch ein verhältnißmäßig bequemer Durchgang. Als nun aber die letzten Wagen des Zuges vorüber waren, schob sich plötzlich der Menschenstrom zusammen, und es entstand ein furchtbares, für Schwache und Kinder lebensgefährliches Drängen.

Ich war froh, als ich den freien Platz wieder gewann, über den ich mich, den Linden hier ausweichend, nach der Ecke der Linden- und Friedrichstraße zu begeben beschloß. Hier fand ich zu meiner Befriedigung einen Omnibus und auf diesem einen noch unbesetzten Platz hoch oben. Da derselbe wegen der eingetretenen Stockung fast zehn Minuten Unter den Linden halten mußte, hatte ich Gelegenheit, gleichsam einen Blick aus der Vogelperspektive zu werfen über das ganze wogende Getriebe.

Vom Brandenburger Thor bis an das Schloß ein dichtes Meer von Menschen! Nicht eine Person schien mehr Platz zu finden, ganz Berlin sich hier zusammen gefunden zu haben. Und unter den Hunderttausenden die wundervollen Farben der Kostüme, das glitzernde Silber und Gold der Uniformen, Helme und Waffen und Blumengewinde, rothe Rosen, blaue Kornblumen, an den Häuserfaçaden reiche bunte Teppiche, Dekorationen, Fahnen in jeglichem Kolorit – und darüber das Licht, das goldene der Sonne, die Alles durchglänzte und verschönte und gleichsam mitwirken zu wollen schien bei dieser grandiosen Feier.

Und jetzt drangen, da eben die ersten Auffahrten für die Gratulation begannen, die brausenden Hochrufe zu mir herüber; wie ein aus Tönen bestehender gewaltiger Strom ging’s durch die Luft, verhallte oder hob, immer stärker und stärker anschwellend, von Neuem an.

Das Auge konnte nicht lassen von den wechselnden Bildern. Unter den Tausenden von Köpfen tauchten die Galawagen auf, die roth, blau und weiß schimmernden Livréen, die silbergeschirrten Pferde, die Kutscher mit den Dreieckhüten und den gepuderten Perücken.

Und jetzt Bewegung, Zuströmen, Weichen, Hälserecken, emporgehobene Hände! Immer neue Bilder dort und zu meinen Füßen: der Strom der Menschen, das Drängen, Schieben und Stoßen. Wagen, Equipagen, Tausende von Männern, Kinder, Frauen auf den breiten, dreifachgegliederten Linden, und in den Häusern aus den Fenstern, auf den Dächern und Vorsprüngen unzählige Menschen. Hüteschwenken und Taschentücherwehen, Hurrahs und Begeisterung! Und gleichsam als Grundton des Ganzen ein einziges murmelndes Geschwirre und Gesumme der sprechenden, fragenden, gestikulirenden und sich bewegenden Massen.

Nur einmal habe ich in Berlin etwas Aehnliches erlebt und gesehen, an dem Ehrentage des großen Kanzlers beim Fackelzug der Zehntausend, und doch bot auch an diesem Tage der Abend und die Nacht ein Bild von Berlin, das die Chronisten kommender Zeiten so gut verzeichnen werden, wie die große Huldigung selbst.

Berlin schwamm in einem Feuer- und Lichtmeer. Von den Spitzen der Häuser, Paläste, Kirchen und öffentlichen Gebäude fiel das Licht herab und ward aufgefangen von dem Licht. Von droben auf den Thürmen bot sich ein Anblick, als ob ganz Berlin brenne und der Wiederschein die Gestirne verdunkeln solle. Flammengarben züngelten, elektrische Sonnen sprühten ihre Ströme aus.

Das Portal der Reichsbank lag in einem Meer von blauen Sternen, und leichter Wind blies hindurch und rauschte eine seltsame Musik. Der Rathhausthurm wogte und leuchtete in dunkelrother Gluth. Das Brandenburger Thor stieg hell auf wie ein vom Mondschein umflutheter Tempel. An den beiden

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 265. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_265.jpg&oldid=- (Version vom 22.4.2023)
OSZAR »