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Seite:Die Gartenlaube (1887) 266.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Kirchthürmen auf dem Gendarmenmarkte hingen silberhelle elektrische Glocken, und die Häuser und monumentalen Bauten, das Kaiserpalais, die Akademie der Künste, das Denkmal Friedrich des Großen unter den Linden, die Gebäude der Friedrichstraße, der Leipzigerstraße, der großen nahegelegenen Plätze, der Voßstraße versanken in brennendem Licht und lichtvollen Farben.

Und in den Straßen, trotz des Regens, der gegen Nachmittag seine ersten Spuren zeigte, wälzte sich eine halbe Million Menschen. Die Stadtbahnhöfe glichen Jahrmarktsplätzen; das kam und ging und rief und stieß, und hoch oben brausten die Eisenbahnzüge vorüber, wie Schlangen mit hundert glühenden Augen, und drunten hielten stockend – wie am Alexanderplatz und an der Siegesallee – Tausende von Droschken, angefüllt mit Neugierigen.

Aber auch die großen und kleinen Straßen der Metropole hatten dieses strahlende Lichtgewand angelegt. Selbst aus dem kleinsten Keller drang ein Flämmchen hervor.

Und die unzähligen öffentlichen Lokale, die Restaurants, die Cafés, waren vollgepfropft mit Menschen; Korporationen, Gilden, Gesellschaften, Vereine feierten besondere Feste in den Hôtels, den Klubs und Gesellschaftshäusern. Die reichste Fülle des Frohsinns war über Berlin gekommen am 22. März 1887, und bis in die späte Nacht pilgerte die Bevölkerung zu des gefeierten Kaisers Palais, aus dessen Fenstern das Licht, das Gold und Roth der Tapeten, die glitzernden Flammen der Kandelaber in vornehmer Schönheit herausdrangen.

Und oft am Tage erschien der große, greise Held, umgeben oder soeben beglückwünscht von Fürsten und Herren des Hofstaats, – aufrecht, gütig, milde – nie ermüdet – ein erhabener Riese an Kraft und Frische – und freundlich herabgrüßend zu seinem Volke, das ihn, welcher Parteistellung auch angehörend, verehrt und bewundert wegen seiner ruhmvollen Thaten und großen menschlichen Tugenden!




Gründet billige Volksbäder!

Wo sind die Zeiten hin, da in Deutschland nicht nur größere Städte öffentliche Badeanstalten besaßen, sondern in fast jedem Dorfe sich eine öffentliche „Badstube“ befand und der Bader durch Trompetenschall auf den Straßen zum erfrischenden Bade die Einwohner einlud? Sitten und Gewohnheiten wechseln im Laufe der Jahrhunderte, und nicht immer ist bei diesen Wandlungen ein Fortschritt zum Besseren zu verzeichnen. Im Leben der Völker treten Katastrophen ein, welche auch die guten Errungenschaften vernichten, und eine solche Katastrophe bildete für das deutsche Volk der Dreißigjährige Krieg. Durch ihn wurde reicher Wohlstand zerstört, die Blüthe des Kunstgewerbes gebrochen; in seinen Wirren und Gräueln ging auch die althergebrachte Sitte des Badens zu Grunde.

Volksbrausebad nach Dr. O. Lassar.

Es kamen Jahrhunderte, in welchen es um die Pflege der Haut, eines der wichtigsten Organe unseres Körpers, traurig bestellt war, und der Rückschritt, den die Kultur auf diesem Gebiet damals gemacht hat, ist noch heute nicht eingeholt worden. Wohl sind in den letzten Jahrzehnten, Dank den Bemühungen gemeinnütziger Vereine und praktischer Unternehmer, unsere Großstädte mit Badeanstalten, Schwimmhallen etc. versehen worden; wohl sind in Folge ärztlicher Anregung zahllose Kurbäder in grünen Bergkesseln und am Strande der See aus dem Boden gewachsen, aber trotzdem können wir viele Meilen des platten Landes durchreisen, an den Wohnungen von Hunderttausenden vorübergehen, ohne eine Badeanstalt zu finden. Die Statistik des Badewesens in Deutschland enthüllt uns beschämende Thatsachen. Es giebt viele Kreise von 50000 und 60000 Einwohnern, in welchen nicht eine einzige Badeanstalt vorhanden ist!

Unter solchen Umständen ist es kein Wunder, daß viele sonst in ihrer Kleidung reinliche Leute die Sitte des Badens nur vom Hörensagen kennen, daß man den Grundsatz aufstellen konnte: der Bauer badet nicht! In den warmen Sommermonaten ist der Uebelstand geringer; die klaren Flußläufe, die Seen und Teiche laden wohl zu erfrischendem Bade ein; aber dieses natürliche Bad kann in unserem rauhen Klima ohne Schädigung der Gesundheit nur in etwa einem Viertel des Jahres genossen werden; in der übrigen langen Zeit fehlt breiten Volksschichten jede oder mindestens jede genügende Badegelegenheit.

Volksbrausebad nach Dr. O. Lassar (Grundriß).

Es ist gewiß eine gerechte gesundheitliche Forderung, welche Dr. O. Lassar vor Kurzem in die Worte zusammenfaßte: „Jedem Deutschen wöchentlich ein Bad!“ In den weniger civilisirten Ländern des Orients ist dieselbe so gut wie erreicht, bei uns aber stellen sich ihr unüberwindliche Hindernisse in den Weg. Damit jeder Einwohner eines Bezirkes, beispielsweise von 1000 Einwohnern, wöchentlich einmal warm baden könnte, müßte in demselben die Gelegenheit gegeben sein, jährlich 52000 Bäder zu verabreichen, und eine sachverständige Berechnung ergiebt, daß zur Erreichung dieses Zweckes für je 1000 Einwohner eine irgend wie eingerichtete Badeanstalt vorhanden sein müßte. Von diesem Ideal sind wir jedoch himmelweit entfernt. Mit Hilfe der Aerzte hat Dr. Lassar eine Statistik der Warmbäder in Deutschland zusammenzustellen versucht; die von ihm neuerdings veröffentlichten Daten beziehen sich auf 311/4 Millionen Einwohner des Reiches, und das Ergebniß der Erhebungen zeigt uns, daß wir auf 30000 Einwohner durchschnittlich nur eine Warmwasser-Bade-Anstalt besitzen!

Prüfen wir aber die Vertheilung dieser Zahl über die einzelnen Städte und Landstriche, so gelangen wir zu noch traurigeren Schlüssen: in zwei Dritteln des preußischen Königreiches muß sich die gesammte Landbevölkerung durchweg ohne jedwede öffentliche Badeanstalt behelfen; von den zur Statistik herangezogenen 338 Kreisen Preußens ist in 96 Kreisen, also 30 Procent, thatsächlich keine Badeanstalt vorhanden! Außerhalb Preußens aber entbehren 80 Kreise, das Wohnungsgebiet von 2,4 Millionen Menschen, jeder öffentlichen Bade-Einrichtung.

Daraus ist zu schließen, daß mindestens ein Sechstel der Einwohnerschaft des Reiches gänzlich außer Stande ist, jemals ein warmes Reinigungsbad zu nehmen. Dieser Ausspruch erleidet durch einen Hinweis auf etwa vorhandene Hausbäder nur geringe Einschränkung, denn schon in den besser situirten Familien dürften Bade-Einrichtungen zum seltenen Luxus in der Wohnungsausstattung zählen, und in den unteren Klassen wird man sie schwerlich finden können.

Kein Wunder, daß unter diesen Umständen das Badebedürfniß in den Volkskreisen nicht genügend empfunden wird. Dort, wo für Fabrikarbeiter von humanen Leitern besondere Badeanstalten gegründet wurden, verging stets eine geraume Zeit, bis die Leute die ihnen gebotene Wohlthat würdigen lernten. Das Volk muß so zu sagen erst zum Baden durch Belehrung herangezogen werden.

Die Volksschulen, in welchen jetzt hier und dort Schulbäder eingeführt wurden, sowie die Kasernen bilden in dieser Hinsicht treffliche Hebel zur Förderung dieser Bewegung auf dem Gebiete der Gesundheitspflege. Vor allen Dingen müssen aber ausreichende und billige Badegelegenheiten geschaffen werden.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 266. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_266.jpg&oldid=- (Version vom 22.4.2023)
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