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Seite:Die Gartenlaube (1887) 268.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


Herzenskrisen.

Roman von0 W. Heimburg
(Fortsetzung.)


Tante Dettchen war in das Wohnzimmer der Schwägerin getreten, in dem zu Ehren der festlichen Vorbereitung drei Lampen brannten und eine geradezu erstickende Wärme herrschte, durchduftet von Mandelseife, frisch geplätteten Unterröcken, Pomade und Parfüms zweifelhafter Güte, Maiglöckchen und white rose. Fräulein Selma machte ein verdrossenes Gesicht, sie war von ihrer Mutter gescholten worden. Als nämlich die Friseurin kam, die es natürlich heute furchtbar eilig hatte, war sie nicht zu finden gewesen und erschien just in dem Augenblicke, als die des Wartens nicht gewohnte Dame gehen wollte mit dem Bemerken, ob sie später wiederkommen könne, wisse sie nicht.

Sie habe doch nur ein wenig Talkum aus der Apotheke geholt, entschuldigte sich das junge Mädchen, damit sich die Handschuhe leichter anzögen.

„Schon wieder in der Apotheke!“ tadelte die Frau Steuerräthin, „was Du für Geld dahin trägst, ist nicht zu sagen, Selma! Vorgestern hast Du erst Brausepulver geholt und vorvorgestern Hoffmannstropfen. Ich begreife nicht, daß Du das erlaubst,“ wandte sie sich an die Mutter Selma’s, „nebenbei ist das Mediciniren auf eigene Faust so unpassend, noch obendrein, wo der Arzt so zu sagen zur Familie gehört.“

„Tante,“ sagte Fräulein Selma unter dem Kamme der Friseurin, „Du trinkst doch selber Königstrank, ich hab’s gesehen, und im Keller stehen vier leere Flaschen.“

Frau Steuerräthin ward dunkelroth, aber sie erwiederte nichts. „Wart’ nur,“ dachte sie, „Du sollst wohl ducken, wenn Alfred erst Dein Mann –.“

In diesem Augenblick brachte das kleine Dienstmädchen ein großes Bouquett herein aus rothen Kamelien und weißen Primeln, mit rother Atlasmanschette. Fräulein Selma ward so roth wie die Farbe des Straußes.

„Wer schickt das?“ fragte Frau Steuerräthin und rauschte in ihrem Grauseidenen an die Thür.

„Ein Mann hat’s gebracht; er sagte nicht, von wem.“

Frau Adler hielt den Strauß nachdenklich in der Hand. „Ich begreife Alfred nicht,“ flüsterte sie Dettchen zu, „er hat doch gewußt, daß Selma ein grünes Kleid anzieht! Nun sieh diese Zusammenstellung, als wenn die Bauern Hochzeit hielten. Aber nehmen muß sie es.“

Dettchen schüttelte ungläubig den Kopf. „Von Alfred?“ fragte sie zweifelnd, „er ist doch gar nicht so – so –“

„Er wird Dich wohl vorher fragen, Dettchen! So was thun die Männer heimlich.“

Und indem die Frau Steuerräthin die Blumen aus einer Wasserkanne besprengte, sagte sie laut zu Selma’s Mutter, die eben vor dem Spiegel ein paar große, mit Brillanten besetzte Ohrringe einhäkelte. „Sieh mal, liebe Mähnerten, schön ist eigentlich anders, aber wenn’s Herz nur gut ist.“

„Das Bouquett ist sehr schön!“ fiel Fräulein Selma gereizt ein mit ihrer eigenthümlich tiefen, etwas rauhen Stimme. Und sie richtete sich in ihrer ganzen Höhe empor; denn die Friseurin hatte eben die letzte Nadel in die vielen blonden Haarpuffen gesteckt.

Die Mutter sagte gar nichts. Sie war eine kleine starke Person mit kurzem Athem und wäre viel lieber zu Bette gegangen als auf den Ball, wie sie heute Abend schon hundertmal versichert hatte.

Dettchen quälte sich weidlich bei der Toilette der jungen Dame; bald stieg sie auf eine Fußbank, bald hockte sie an der Erde. Und endlich stand die „Wasserjungfer“ fertig da, wie das kleine Dienstmädchen bewundernd ausrief, der bei Wasserrosen, Schilfblättern und Wachsperlen nichts Besseres und Schlechteres einfiel. Es galt nur noch, mit den weißen Atlasschuhen in die dicken wollenen Strümpfe des seligen Herrn Steuerraths zu schlüpfen, und um diesen in ein paar respektable Holzpantoffeln, den poetischen Kopfputz mit einem Tuche und die grüne Gazewolke mit dem Mantel zu verhüllen. Und nun wanderten die drei Damen, begleitet von Tante Dettchen, deren Weg an der „Goldenen Krone“ vorüberführte, und gefolgt von dem kleinen Dienstmädchen, die das Bouquett, Tücher und Pelzkragen trug, dem Balllokale zu.

Dettchen verabschiedete sich, „viel Vergnügen“ wünschend und der Frau Steuerräthin versprechend, den etwa säumigen Doktor zur rechten Zeit nach der „Krone“ zu expediren, und ging nun durch die schlüpfrigen Straßen, von denen allenthalben der Schnee verschwunden war und sich in Schmutz verwandelt hatte, ihrer Wohnung zu. Wahrhaftig, Alfred hatte noch Licht in seinem Arbeitszimmer! Eilig schritt die kleine Tante durch den Garten in das Haus und klopfte an seine Stubenthür.

„Aber, Alfred!“ rief sie dem eifrig Schreibenden zu, „in der ‚Krone‘ tanzen sie schon die Polonaise, und Du sitzest noch hier im Hausrock und vergißt Alles! Und ich habe Dir doch Wäsche und Kravatte und Frack so schön zurecht gelegt in Deiner Stube!“

Er sah sie in der That ganz verdutzt an.

„Ist es schon so spät, Tante? Na, dann muß ich wohl Ernst machen. Es ist aber wirklich ein Entschluß! Ich kann Dir sagen, Tante Dette: ich führe heute Abend lieber noch drei Meilen über Land –.“

„Na, mach’ nur, mach’ nur, Alfred!“

„Warst Du bei Mademoiselle, Tante?“

„Ja!“

„War’s nett?“ Er räumte bei dieser Frage seine Bücher zusammen und schloß den Schrank.

„Ach ja, Alfred, zuerst, und als wir da im Dunklen uns etwas erzählten – aber dann –“

„Nun?“

Sie war näher zu ihm getreten und hatte die Hände in einander gelegt.

„Ach Gott, Alfred, was ist aus dem Mädchen geworden! So blaß, so mager und so groß die Augen – arme kleine Lucie!“

Er steckte die Schlüssel hastig in die Tasche.

„Wozu erzählst Du mir das, Tante?“ fragte er ruhig, „laß es doch, das ist vorbei. Uebrigens, ich habe dieselbe Bemerkung heute früh gemacht und wünsche von Herzen, daß ich es nicht wieder sehen muß. Wir können ihr ja doch nicht helfen; ihr Wille ist ja geschehen.“

„Es dauert mich nur so,“ sagte Dettchen sich abwendend und zupfte an der Decke auf dem Tische und bückte sich nach einem Stückchen Kohle, das vor dem Ofen lag, und dann klinkte sie leise die Thür auf und ging hinaus, indem sie sich verstohlen die Augen wischte.

Er brauchte heute eine Ewigkeit für seine Toilette. Einmal ertappte er sich, die Kravatte in der Hand, vor dem Spiegel und mußte sich mühsam besinnen, was er eigentlich vorchatte.

Als er in die Saalthür der „Goldenen Krone“ trat, wirbelten die Paare schon in einem flotten Walzer an ihm vorüber. Blendendes Licht, luftige bunte Gewänder, lachende Augen und rosige Wangen unter Blumenkränzen, und dazu die leichte Melodie aus der „Fledermaus“: das war es, was er zunächst sah und hörte. Dann erblickte er die Mutter, quer durch den Saal auf sich zusteuernd, mit lächelnder festlicher Miene und fliegenden rosa Haubenbändern.

„Alfred, willst Du nicht die Mähnerten begrüßen? – Alfred, Du hast doch Selma zu Tische engagirt? Da Du nicht tanzest, ist es das Einzige, was –“

Er nickte zerstreut und folgte ihr, den tanzenden Paaren mit Mühe ausweichend, zu den Sofas an der Hinterwand des Saales, wo die Ballmütter in langen Reihen saßen.

„Was ist das für ein kleiner zudringlicher Herr, der mit meiner Tochter schon zum zweiten Male tanzt?“ fragte ihn Frau Mähnert schläfrig.

„Es ist der erste Provisor aus der ‚Elefanten-Apotheke‘, ein netter Mensch –“

„Hm! Kaum drei Käse hoch – wie das aussieht!“ murmelte ärgerlich die Mutter.

Frau Steuerräthin hatte die Lorgnette vor den Augen und folgte der großen grünen Gestalt, die ihr kleiner Tänzer leicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_268.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)
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