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Seite:Die Gartenlaube (1887) 291.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

er seiner Schwiegermutter die Hand zu küssen verstand! Was, er sollte nicht zu erweichen sein, er sollte nicht dazu zu bringen sein, das unausstehliche Ding von einem Buchstaben gegen einen wirklichen Namen umzutauschen?

Eff eilte nach der Begrüßung seiner Schwiegermama auf seine Braut zu, doch der beabsichtigte Handkuß kam nicht zur Ausführung, er ward durch ein inniges Willkommen Lippe auf Lippe ersetzt. Die jungen Damen fanden mit jenem eigenartig übertriebenen Lächeln des Neides die Scene überaus reizend.

„Wo ist denn der Herr Schwager? Noch nicht da?“ wandte sich Eff an Lolo.

„Das Glatteis,“ lächelte diese etwas gezwungen, mit einem Zucken ihrer prächtigen Schultern.

„Das Glatteis,“ warf Perkisch mit der unbestimmtesten Betonung, aber mit einem halb unwilligen Blinzeln seiner farblosen Wimpern hin, als er von Frau Belzig wiederholt nach dem Verbleib des Grafen gefragt wurde.

Natürlich nur das! beruhigte sich die Fragende. Uebrigens ist ja Eff auch erst vor einer halben Stunde erschienen.

„Baptiste, servez le thé à monsieur Perkisch,“ rief sie mit dem Fächer winkend dem rastlosen Burschen zu, dessen purpurrother Uebereifer Heiterkeit zu erwecken begann. Dieser Baptist war eine ganz hübsche Errungenschaft, und die paar französischen Redensarten, die man gelegentlich in aller Nonchalance fallen lassen konnte, gaben dem einsprachigen Einerlei immerhin eine kleine Würze.

Teufel! sagte sich Perkisch, den Zucker in der Theeschale umrührend, der Graf wird doch keinen Unsinn machen? Er wird doch nicht die ganze Affaire durch einen seiner Streiche über den Haufen werfen! Man darf ihn nicht aus den Augen lassen – mein Gott, und er wäre doch alt genug, um sich selbst zu beaufsichtigen! Noch nie hat ihm ein Anderer solche Mühe und solchen Schweiß gekostet. Aber es ist das Glatteis – er wird schon heil hereinsegeln!

Bald hatte sich Perkisch an einen der Officiere festgehakt, dem er über die ersten gleichgültigen Gesprächsstoffe hinweg von den Vorzügen einer reichen einzigen Tochter, die er kannte, zu erzählen begann. Der Vater hat eine großartige Leim- und Gelatinfabrik vor dem Frankfurter Thor, er legt der Tochter sofort Hunderttausend als Hochzeitsgeschenk auf den Tisch. Der Officier blinzelte ironisch, strich sich aber mit einer eigenartig lüsternen Unruhe den Schnurrbart.

„Ze … ze … ze …“ Der Oberstlieutenant trippelte mit seinen kurzen, strammen, durchgedrückten Schrittchen auf das Brautpaar hin, die Hände, in deren einer er ein Paar flach zusammengelegte Militärhandschuhe hielt, wagerecht ausgestreckt. „Meine ergebenste … ze … ze … ze … meine herzlichste Gratulation!“

Er hatte Melitta wie der Familie schon bei einem besonderen Besuche gratulirt, Eff aber nicht getroffen. Nun schüttelte er dem Brautpaar gleichzeitig herzhaft die Hände. Dann Melitta’s Hand loslassend, umfing er mit seinen beiden Eff’s Rechte, ganz wie damals, als er sich unter dem vergoldeten Stiefel in der Derfflingerstraße den beiden Officieren empfahl. Sein ganzes Wesen strahlte von einer innigen Fröhlichkeit.

Niemand hatte sich mehr über die Verlobung gefreut, als er. Eff’s Adoption war sein Traum bei Tag und Nacht geworden. Nun schien sie gesichert und der kostbare Name geborgen. Nun hatte auch Olga ihren Hort gefunden, wenn er selbst zur großen Armee abrücken würde.

Da kam der liebliche Schmetterling herangeflattert. Wo Olga erschien, verbreitete es sich wie eine freundliche Sonnenstimmung, und vor ihren großen blauen Kinderaugen zerschmolzen die grämlichsten Gesichter und die ödesten Gespräche. Sie war in ein neues duftiges, zartblaues Kostüm gekleidet – „ihr Kostüm“, von dem sie Monate lang ihrem Papa vorgeplaudert; wie viel späte Abende der anstrengenden mechanischen Arbeit am Kolorirtische hatten dazu gehört, damit der Traum dieses Kostüms endlich in Mousselin und Spitzen zur Wirklichkeit wurde! Sie hatte sich vorgenommen, besonders heiter zu sein, sie, die immer Heitere, und sie begrüßte das Brautpaar mit ihrem herzigsten Geplauder. Freilich, ihre Röthe, von der sie selbst wie von einem schlimmen, unsichtbaren Leiden zu sprechen pflegte, vermochte sie nicht zu unterdrücken – es war ein Gedanke, der sie ihr immer wieder auf die Wangen trieb: ihr Bruder – ihr zukünftiger Bruder! Auch sie hatte in den stillen Stunden der Arbeit sich immer tiefer in diese Adoption hineingelebt. Sie wollte ihn fortan nur mit den Augen einer Schwester betrachten, ja sie gelobte sich insgeheim, ihnen beiden eine treue Schwester zu werden.

Der gerade Eff aber mochte wohl in seinem Glücke nicht ahnen, welch’ ein Gewebe verschiedenartigster Gedanken, Gelüste und Intrigen den alten guten, ehrlichen Namen seiner Väter immer zudringlicher zu umstricken begann.

Eff und Melitta bewegten sich nun durch die Reihen der Gäste, die offenen wie die stummen Huldigungen der Worte und Blicke entgegennehmend. „Welch ein herrliches Paar!“ flüsterte die aufrichtige Bewunderung und tuschelte die Heuchelei des Neides.

Frau Belzig aber wollte Nichts von dieser Herrlichkeit wissen. Es war ja fast wie eine Kour, welche die Beiden entgegennahmen. Die Rolle gebührte doch dem andern Paare! Aber wo blieb er? Wo steckt er? Wir sind zwar bloß Belzig, aber es ist doch seine Braut! Es ist doch sein Verlobungstag – er hätte längst hier sein können! Und eine Ahnung dämmerte in ihr auf, daß sie von dieser Neungezackten noch manche Ueberraschung zu gewärtigen hätten. Unterdeß ließ Herr Belzig nochmals Sand streuen als gelänge es dadurch, den Säumigen herbei zu locken.

Es war das Glatteis. Noch immer wollte sie sich damit beschwichtigen, aber mit jedem Oeffnen der Thür, da er sich immer noch nicht einstellen wollte, nahm die Röthe des wachsenden Unmuths auf ihrem Gesicht um eine Nüance zu. Die Räume hatten sich gefüllt und das Glatteis hatte eigentlich seine lächerliche Rolle ausgespielt. Man mußte es nun künstlich, so zu sagen, immer wieder aufwärmen, um das Nichterscheinen des Grafen zu masciren. Selbst Eff äußerte sein Befremden, daß Jener nicht erscheinen wollte. Der Schwager erfreute sich nicht seiner Sympathie. Die Erregtheit dieser Tage hatte zwar einen leidlich kordialen Verkehr zwischen ihnen hervorgerufen. Er bedauerte jedoch Lolo; denn Mühüller’s Andeutungen betreffs der zweideutigen Rolle Perkisch’ beunruhigten ihn.

Immer noch trafen neue Gäste ein, Persönlichkeiten ohne besondere Bedeutung, es folgten auch einige glänzende Nummern, doch der Haupttreffer blieb aus. Die Generalsfamilie erschien; er graufarbig und steinern, nur die Worte höflich, nicht das Gesicht, sie eine schmächtige gelbliche Person, voll Ballmütterangst ihr stark abblühendes Töchterchen hütend.

Eine andere Glanznummer war eine bekannte Sängerin von berauschender Schönheit und möglichst tief ausgeschnittener Taille. Sie verursachte einen Aufruhr bei den Herren, die sich herbeidrängten, um das klassische Wunderstück ihrer marmornen Schultern zu bewundern. Einige der Besitzerinnen von Töchtern wandten sich mit Empörung ab über den „Skandal“.

Unter den Nachzüglern befand sich auch Adolf Eff nebst seiner Frau. Der Generalstäbler stellte ihn halb unwillig zur Rede über sein Zuspätkommen.

„Meinst Du denn, es wäre ein Leichtes gewesen, einen Frack für mich aufzutreiben bei dem Glatteis?“ antwortete ihm der Erfinder grinsend.

Und seine arme kleine tapfere Frau, der die Noth und Sorge fahl genug aus dem ehemals wohl hübschen Gesichte sah, bestätigte mit ihrer gedrückten Stimme, wie sie seit halb neun Uhr von Geschäft zu Geschäft, förmlich mit Lebensgefahr „bei dem Glatteis“, gerutscht, um einen passenden Frack für Adolfs breite Schultern aufzutreiben. Sein eigener Frack war zum Besten eines Patents in Buenos-Ayres längst versilbert worden. Das ganze Elend des Erfinders in seiner schönsten Blüthe!

„Na, Dein Schwager-Graf ist doch auch noch nicht da!“ fügte Adolf trotzend hinzu.

„Schwager-Graf“ – Walther runzelte die Stirn wegen des unangenehmen Ausdruckes und wandte seinem Bruder den Rücken.

Immer noch keine Spur von dem Grafen! Die Unruhe des Gastgebers begann sich den Gästen mitzutheilen; man munkelte; hämisch neugierige Blicke flogen nach Lolo hinüber, die sich aber tapfer hielt und nur übertrieben lebhaft lachte und plauderte.

Perkisch fing nun auch an, aufgeregt zu werden. Er hatte den Vertrieb der einzigen Gelatinfabrikantentochter einstweilen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 291. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_291.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2023)
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