Verschiedene: Die Gartenlaube (1887) | |
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Entdeckungsfahrten des deutschen Dampfers „Samoa.“[1]
Milne-Bai, eine im Südosten Neu-Guinea’s gelegene, etwa 20 Seemeilen lange und 10 Meilen breite Einbuchtung, war das Ziel der nächsten Expedition der „Samoa“. Ein Kranz von Koralleninseln, den Killertons, ist der Einfahrt in diese Bucht vorgelagert, und eine derselben, Aroani, war unser erster, keineswegs besonders geschützter Ankerplatz in diesem Theil des englischen Gebietes. Außer der englischen Flagge deuteten noch andere Merkmale darauf hin, daß wir uns den äußersten Grenzen, den Anfängen der Civilisation wieder näherten. Eingeborene, die in schlechten, nur aus einem ausgehöhlten Baumstamm bestehenden Canus ankamen, noch ehe der Anker gefallen war, begrüßten uns mit „Hallelujah! Jesus!“, „Me belong missionaly!“ („Ich bin Missionar!“) und verlangten nach Tabak. Kein Zweifel, wir befanden uns im Bereiche der Mission, und zwar der Gesellschaft von London, für welche Aroani den äußersten östlichen Posten an der Südostküste von Neu-Guinea bildet. Seit dem Jahre 1871 hat diese größte und reichste aller Missionsgesellschaften der Welt von Saibai an der Südküste bis hierher an 37 Stationen errichtet, von denen Port Moresby und Darnley-Insel in der östlichen Torresstraße die Centralstationen sind. Nur hier haben gebildete Weiße, Missionare in unserem Sinne, als Leiter des Ganzen ihren Sitz, während die übrigen Stationen von sogenannten Lehrern (Teachers), das heißt in der Missionsschule auf Norfolk-Insel erzogenen Farbigen aus Ost-Polynesien, geleitet werden. Und doch hat das Missionswerk diesen dunklen Sendboten des Evangeliums das Meiste zu verdanken; denn sie waren es, die gegen ein Entgelt von 20 Pfd. Sterling (400 Mark) jährlich Leben und Gesundheit im Dienste des Christenthums einsetzten. Und dieser Opfer sind gar viele! Die meisten der „Lehrer“ erlagen dem Klima; nur eine geringe Anzahl (höchstens sechs, und zwar bei dem bekannten Massacre 1882 in Kalau) fiel unter den Streichen der Eingeborenen. Die Missionsstation auf Aroani, einer früher unbewohnten Insel, besteht aus mehreren Häusern, unter denen die Kirche den hervorragendsten Bau bildet. Unsere Abbildung (S. 293) giebt eine Darstellung dieses eigenthümlichen Gebäudes.
Die Verzierung der Giebelfront stellt die Figur irgend eines Heiligen in roher Form dar und ist von Eingeborenenhand aus farbigen Blättern gearbeitet. Nach meinen Originalskizzen hat ferner unser Künstler ein lebendiges und sehr naturgetreues Bild der Eingeborenen entworfen, wie es sich an einem Sonntage vor der Kirche unseren Augen darbietet. Wie überall, so bildet auch hier das schöne Geschlecht den Haupttheil und zwar in den sonderbarsten Ausschmückungen der Mode, vom Grasröckchen der Eingeborenen bis zum Kattunjäckchen und Strohhut, auf dem Federn und künstliche Blumen paradiren. Es geht gar lebhaft her; denn ein großes Canu hat fremde Gäste gebracht, und zwar von Samárai (Dinner-Insel). Wir lernen dabei zuerst die reiche Tätowirung der dortigen Damenwelt kennen, die in Milne-Bai sonst nicht Sitte ist. Diese Tätowirung bedeckt in eigenthümlichem Grecmuster den ganzen Körper, Arme und Gesicht und dient, wie allenthalben, als eine die Kleider gewissermaßen ersetzende Verzierung des weiblichen Geschlechts, an die sich auch das Auge des Europäers bald so sehr gewöhnt, daß es sie schön findet.
Aroani ist ein armes Inselchen; das wurde mir auf meinen Jagdausflügen klar. In Begleitung des Lehrers unternahmen wir auch einen Ausflug in die Bai und zwar längs dem noch wenig bekannten nördlichen Ufer, an welchem sich noch eine zweite Missionsstation, Mieta, befindet. Je tiefer wir in die Bai gelangten, um so reicher fand sich die Kokospalme vor, die an manchen Stellen förmliche Wälder bildete. Wenn man den Berichten der Lehrer über die Ausdehnung dieses Kopragebiets Glauben schenken darf, so gehört es ohne Zweifel zu dem reichsten in ganz Neu-Guinea, obwohl es merkwürdigerweise bis jetzt noch ganz unausgebeutet blieb.
Die Häuser in dem Küstenland von Milne-Bai stehen auf sehr hohen Pfählen und unterscheiden sich in manchen Stücken, sowohl in Bauart wie Material, von den bisher gesehenen. Ueberraschend war es für mich, hier jene Art von Baumhäusern zu finden, die mir aus dem Innern von Port Moresby bereits bekannt waren. Meine Skizze (vergl. S. 289) stellt ein solches im Bau begriffenes Haus dar. Diese Bauten dienen weniger Wohnungszwecken, sondern sind mehr Warten oder Festungen, in welche sich die Eingeborenen bei einem Angriffe zurückziehen. Das einzige Geräth, welches sich daher im Inneren dieser luftigen Baumnester findet, sind Waffen, vor Allen Steine und Speere. Die Eingeborenen von Milne-Bai sind, wie Hunstein, der früher hier längere Zeit als Sammler lebte, auf das Bestimmteste versichert, Kannibalen, welches Laster sich von hier über die gesammten Inseln und die Louisiade zu erstrecken scheint; diese Gegend bildet bis jetzt das einzige sicher nachgewiesene Menschenfressergebiet in Neu-Guinea.
Nach den Killertons zurückgekehrt, dampften wir der kaum mehr als eine englische Meile breiten China-Straße zu, welche liebliche Partieen ausweist, aber die Hoffnungen eines kürzeren Seeweges nach China nicht erfüllt hat.
Bald sahen wir Samárai (Dinner-Insel) vor uns, ein ziemlich in der Mitte der Straße gelegenes Inselchen, welches als Station der Londoner Missionsgesellschaft für dieses Gebiet eine gewisse Bedeutung beanspruchen darf. Vorher unbewohnt, ist Samarai seitdem der Sammelpunkt einer kleinen Gemeinde von etlichen 30 Eingeborenen geworden, die zum Theil als Bekehrte gelten und von den benachbarten Inseln herstammen. Da gerade Sonntag war, so fand sich, als wir landeten, das ganze Völkchen am Strande versammelt; bald ging es an ein Händeschütteln, wobei Mancher neben seiner Grußformel „denani“ bereits einen leisen Wunsch nach Tabak äußerte. Man erzählte uns von einem „Dimdim“ (weißen Mann), als seltenem Gast der Insel, und bald begrüßte uns derselbe in englischer Sprache. Er hatte sich seit kurzer Zeit hier niedergelassen, um Kopra und Trepang zu machen, und nannte sich „Smith“! Als er sich aber angelegentlich nach unserer Flagge erkundigte und erfuhr, daß es die deutsche sei, da entpuppte er sich als guter Danziger, der auf einmal deutsch sprach, auch nicht „Smith“, sondern ganz anders hieß. So werden unsere braven deutschen Landsleute zuweilen unter ganz anderem Namen in der Welt umhergeschleudert und – manche haben Ursache zu solcher Neubenennung. Der Genannte, seines Zeichens ein Seemann, war früher an Bord des berüchtigten Arbeiterschiffes „Hopeful“ gewesen, das im Jahre 1884 in jenem Gebiete Gräuelthaten verübte, die wirklich einmal zur Untersuchung gelangten, welche mit einem Todesurtheil gegen den Kapitän, Steuermann und Arbeiteragenten endeten. Nebenbei bemerkt, wurde dieses Urtheil nicht vollzogen, weil die öffentliche Meinung in Queensland es nicht zu fassen vermochte, daß Weiße wegen einiger „Niggers“ die wohlverdiente Strafe erleiden sollten.
Außer der Tätowirung der Frauen, welche Sitte selbst die Mission noch nicht auszurotten vermochte, ist im Uebrigen bei den Eingeborenen alle Originalität bereits verschwunden. Doch eilten die Bewohner der Nachbarinseln herbei und brachten mir Allerlei, darunter manches Eigenthümliche, zum Kauf: große viereckige Holzschilde, Armbänder aus einem menschlichen Unterkiefer, und selbst Menschenschädel! – angeblich Trophäen erschlagener Feinde vom Festlande her, mit denen die Insulaner früher in steter Fehde lebten, sich gegenseitig überfielen und – aufaßen! War mir auch Manches neu auf Samárai, so hatte ich doch einen alten Bekannten zu begrüßen, den „Baubau“, wie dieses eigenthümliche Rauchgeräth in Port Moresby und an der Südostküste heißt. Der Baubau, hier „Kirä“ genannt, ist ein Stück Bambu mit einem kleinen Loch zur Aufnahme einer primitiven Cigarrette, mit einem Decker aus einem Baumblatt. Wie die beigegebene Abbildung (S. 296) der rauchenden Weiber zeigt, wird zunächst das Bamburohr mit Rauch gefüllt, und letzterer alsdann aus dem kleinen Loche gesogen; eine Rauchmethode, die an kraftvoller Wirkung alle anderen übertrifft. Man sieht zuweilen, daß Männer schon nach wenigen Zügen wie betäubt umfallen.
Wir beschlossen, Chas oder Teste-Insel, diesen am weitesten nach Südost vorgeschobenen Posten des Archipels, anzulaufen. Der Glockenfels (Bell-Rock), ein isolirter steiler Felsenkegel, ist der Wegweiser für die Insel, welche einem langgestreckten, grünen Hügel ähnelt, aber viel bestelltes Land aufweist. Wir ankerten an der unbewohnten Nordseite der Insel. Aber bald
- ↑ Vergl. Jahrgang 1886 der „Gartenlaube“.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_295.jpg&oldid=- (Version vom 8.5.2023)