Verschiedene: Die Gartenlaube (1887) | |
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Zwei gelungene Portraits.
Allbekannt sind zwar die Augenblicksphotographien des Hexenkünstlers Ottomar Anschütz, und es haben besonders die Storchbilder und die Manöverbilder seinen Ruf bis in die entferntesten Theile unserer Heimath getragen. Die Wenigsten wissen jedoch, wie dergleichen Bilder zu Stande kommen, und man hat im Allgemeinen keine Ahnung von der Mühe, welche solche Aufnahmen nach der Natur verursachen. Der Photograph hat hier nämlich nicht mit Menschen zu thun, die unter Aufbietung aller Willenskräfte es über sich gewinnen, einige Sekunden lang auch nicht mit den Wimpern zu zucken. Bald gilt es, den Verlauf äußerst rascher Bewegungen in einer Reihe von Bildern auf die Platte zu bannen – so bei den Aufnahmen nach galoppirenden Pferden, Springern, Diskuswerfern –; bald steht der Photograph vor der womöglich noch schwierigeren Aufgabe, die besonders charakteristische Stellung eines Thieres zu fixiren. Dazu gehören aber nicht bloß ausgezeichnete Apparate mit Verschlüssen, welche die lichtempfindliche Platte nur während des kleinsten Bruchtheils einer Sekunde bloßlegen; dazu gehört auch künstlerischer Geschmack oder wissenschaftlicher Sinn, um die vortheilhafteste Stellung des aufzunehmenden Thieres zu ermitteln; dazu gehört endlich eine Engelsgeduld, um abzuwarten, bis das Thier so gefällig ist, sich in der gewünschten Stellung zu zeigen. Auch muß der Augenblicksphotograph sich einen kleinen zoologischen Garten mit passenden Gehegen halten und sich auf die Ablichtung der Insassen für seine Zwecke verstehen.
Diese Eigenschaften und Erfordernisse besitzt nun Ottomar Anschütz in Lissa (Posen) wie wohl keiner unter den Mitstreitern auf dem Gebiete der Augenblicksphotographie. Das beweist unter Anderem der nebenstehend abgebildete Fuchs. Dieses hervorragende Exemplar des listigsten aller Thiere hat freilich zu dem Zwecke seine Freiheit einbüßen müssen; doch hat dies anscheinend seiner Munterkeit bisher keinen Eintrag gethan, und Meister Reincke ist nach wie vor bereit, Alles zu übertölpeln und auch Alles zu würgen und zu morden, was ihm in den Wurf kommt. Bis zur Wiedererlangung der goldenen Freiheit sitzt er in dem Anschütz’schen „Atelier“, das heißt in einem Zwinger, in dessen hohe Wände an einer möglichst versteckten Stelle eine Oeffnung angebracht ist, gerade groß genug für das Glas des Photographischen Apparates. Vor dieser Oeffnung sitzt nun der Photograph geduldig und unbeweglich wie die Katze vor dem Mauseloch, und wartet den Augenblick ab, wo das Wild, nach welchem er mit seiner Linse zielt, entweder von selbst oder durch einen Helfershelfer gereizt, sich zu einer Stellung bequemt, in welcher es sich vom künstlerischen oder wissenschaftlichen Standpunkt aus vortheilhaft darstellt. Lange braucht das Thier jedoch nicht zu „stehen“. Es genügt im günstigsten Falle ein Tausendstel Sekunde zu der Aufnahme, und sein Bild ist für alle Zeiten auf eine Platte gebannt, nach welcher es ein Leichtes ist, Tausende von Exemplaren anzufertigen.
Leichter war die Photographie des Vorstehhundes anzufertigen, welche unsere zweite Abbildung wiedergiebt. Immerhin bedurfte es aber besonderer Vorkehrungen, um den getreuen Nimrod in die gewünschte Stellung des einer Wildfährte nachspürenden Jagdhundes zu bringen. Herr Anschütz verfuhr hierbei in folgender Weise: er schleifte mit einem todten Hasen oder irgend einem anderen Wild über die Bahn des Zwingers und ließ dann den Hund los, welcher sofort die Spur verfolgte. Diesen Augenblick benutzte nun der Photograph, um den Apparat einzustellen, worauf der Verschluß desselben geöffnet und nach etwa ein Fünfhundertstel Sekunde auf elektrischem Wege geschlossen wurde.
Das Hundebild wie auch das Fuchsbild gehören zu einer größeren Reihe von Augenblicksaufnahmen nach Hunden, Katzen, Affen und Rehen. Sobald sich Herrn Anschütz eine sichere Aussicht bietet, eine Entschädigung für seine großen Opfer zu finden, gedenkt er auch eine größere Katzenart in den Bereich seiner Thätigkeit zu ziehen, über welche die von ihm herausgegebenen kleinen Musterkarten eine bequeme Uebersicht gewähren. G. van Muyden.
Das Scherenrecht.
Von den vielen im Jahre 1780 in Deutschland regierenden Häuptern war Aebtissin Mathilde wohl das geringste an Machtfülle, gewiß aber das liebreizendste. Sie stammte aus fürstlichem Geschlecht und regierte seit wenigen Monaten ein reichsunmittelbares adeliges Stift am Bodensee. Wer sich eine Aebtissin nur als gestrenge Matrone in düsterer Ordenstracht vorstellen konnte, mochte nicht wenig überrascht sein, wenn ihm die Gebieterin des Stiftes vor Augen trat. Zählte doch die
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 297. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_297.jpg&oldid=- (Version vom 8.5.2023)