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Seite:Die Gartenlaube (1887) 300.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Mit tiefer Verbeugung begrüßte der Thorwart den Fremden und geleitete ihn in den Garten. Franz Werner war ein schlanker Jüngling, mit feurigen, aber unruhigen Augen und dunklem Haar, das sich ungepudert unter dem keck aufgestülpten Dreispitz ringelte. Auch sein nach vornehmem Zuschnitt gefertigter Anzug wollte gar nicht zu einem hilfsbedürftigen Bittsteller passen.

Franz Werner begrüßte die Fürstin mit einer ceremoniellen tiefen Verbeugung. Als er das Haupt wieder erhob und Frau Mathilde voll ins Auge faßte, flammte es verrätherisch über sein Antlitz. Wohl hatte er die Prinzessin sich aus dem Sinn zu schlagen versucht. Er hatte sogar nach anderen Sternen ausgeschaut – um leichter zu vergessen, wie sich der zum Selbstbetrug nur zu geneigte Jüngling vorspiegelte. Bei alledem blieb das Bild der liebreizenden Prinzessin stets seinem Herzen und noch mehr seiner verletzten Eitelkeit gegenwärtig. Als Dritte im Bunde war seine Phantasie stets geschäftig, Luftschlösser zu bauen, auf deren Höhe sich das stolze Fürstenkind und der Gärtnersohn begegnen könnten. Aber in dem Moment, da nach langer Trennung die Prinzessin schöner als je vor Franz Werner stand, zerstoben alle Phantasien vor der holden sinnberückenden Wirklichkeit.

Die junge Stiftsmutter hatte wohl geglaubt, einen matronenhaften Eindruck zu erzielen durch die Art, wie sie sich zu der Audienz gekleidet. Aber die schwarzseidene Robe mit weißem Spitzenausputz und der lang wallende dunkle Schleier brachten das zarte Inkarnat ihres Angesichts erst recht zur Geltung. Prinzessin Mathilde sah heute verführerischer aus als in großer Staatstoilette. Auf ihrem Antlitz lagerte ein Hauch von Befangenheit, welche Franz Werner in seiner allzeit gefälligen Einbildungskraft zu seinen Gunsten deutete. „Wenn sie trotz alledem mich doch geliebt hätte – mich noch liebte?“ fuhr ihm blitzschnell durch den Sinn.

Die Aebtissin hatte die kleine Verlegenheit rasch überwunden. „Sie wünschen mich zu sprechen, Werner,“ nahm sie mit Hoheit das Wort. „Ich habe diesen Wunsch in Erinnerung an unsere frohen Kindertage gern erfüllt.“

„Tausend Dank für so viel unverdiente Huld, durchlauchtigste Prinzessin,“ entgegnete der Jüngling lebhaft. „Ich wußte ja, daß ich an Ihr edles Herz nicht vergebens …“

„Keinen Dank, Werner,“ unterbrach ihn die Aebtissin. „Lassen Sie mich lieber hören, wie es Ihnen ergangen ist seit jenem … seit wir uns nicht mehr gesehen,“ verbesserte sie sich.

„Ach, was ich auch immer erlebt haben mag – wie ausgelöscht erscheint mir Alles jetzt, da mir ein Glück beschieden, welches ich nicht zu träumen gewagt. O, dürfte ich diese hohe Gunst als freundliches Vorzeicheu deuten, daß durchlauchtigste Fürstin mir nicht mehr zürnen und ...“

Hier hielt Werner plötzlich inne; seine Blicke fielen auf Fräulein von Elmenau, welche bei Annäherung des jungen Mannes einige Schritte zur Seite getreten war und angelegentlich einen Oleanderstrauch betrachtete. Frau Mathilde bemerkte wohl die Ursache von Werner’s Zögern.

„Vor meiner lieben Benigna von Elmenau dürfen Sie offen reden, vor der bewährten Freundin habe ich kein Geheimniß; sie weiß sogar, was Sie hierhergeführt – und was sich ehedem zugetragen.“

„Und dürfte ich dennoch die verwegene Bitte aussprechen, mir nur ein paar Minuten Gehör für mich allein zu schenken, Durchlaucht?“

Frau Mathilde blickte fragend auf Werner. Seine Haltung war anscheinend gelassen und ehrfurchtsvoll.

„Was hätte ich auch zu befürchten?“ sagte sie beruhigend zu sich selbst und erwiederte mit scherzendem Ausdruck. „Wenn Sie mir etwa das Vertrauen schenken, Ihre Beichte zu hören, Werner, so läßt uns wohl meine liebe Benigna ein wenig allein. Aber auf ein paar Minuten nur, länger wird das Sündenregister wohl nicht währen,“ setzte die Aebtissin mit einem bezeichnenden Blick auf Fräulein von Elmenau hinzu. Diese verbeugte sich mit verständnißvollem Lächeln und begab sich auf die nahe gelegene Terrasse, welche Aussicht über den See bot.

Die Prinzessin setzte sich auf eine Marmorbank nieder und hieß Werner auf einer anderen Bank Platz nehmen.

„Nun erzählen Sie mir, wie sich Ihr Leben gestaltet hat, seit Sie Walding verlassen,“ begann sie mit freundlicher Würde, doch nicht mit ganz sicherem Tone. Es vermehrte ihre Beklommenheit, da sie bemerkte, wie Werner’s Blicke mit dem alten unseligen Feuer verzehrend auf ihrer Gestalt hafteten, und vollends, da sie das erregte Beben seiner Stimme vernahm.

„O durchlauchtigste Prinzessin – hieße es nicht die kostbaren Minuten vergeuden, die mir zugemessen sind, wenn ich von mir erzählen sollte, von dem inhaltlosen Dasein, das ich gefristet, seit ein Engel mit dem flammenden Schwert mich aus dem Paradiese verstoßen?“

„Wenn ich Sie ferner anhören soll, Werner, so bitte ich dringend – um unserer Jugendfreundschaft willen –: kein Wort von dem, was vergeben und vergessen sein soll!“

„Vergessen – wie vermöchte ich das, wenn im Wachen wie im Traume nur Ein Bild vor meiner Seele steht, den Frieden meiner Tage und die Ruhe meiner Nächte stört, mich gegen alle bessere Vernunft mit trügerischen Hoffnungen umgaukelt …“

„Halten Sie ein, Herr Werner, ich glaubte Sie gereifter zu finden, sonst hätten Sie mich nie mehr gesehen. Ist dies der Dank, daß ich so bereitwillig Ihre Bitte erfüllt?“

Bei diesen Worten hatte sich die Aebtissin rasch erhoben. Die hochaufgerichtete schlanke Gestalt erbebte. Aus dem gluthübergossenen Gesicht leuchteten die tiefblauen Augen theils in Zorn theils in Mitleid mit dem Unseligen, der noch immer im Bann seiner hoffnungslosen Leidenschaft sich quälte. Aber wie schön war sie in dieser Erregtheit! Franz Werner, das haltlose Kind des Augenblicks, fand nicht die Kraft, solchen Reizen gegenüber sich zu beherrschen. In der Bewegung der jungen Fürstin glaubte er nur allzu hoffnungsvoll zu lesen, daß unter der Maske stolzer Abweisung doch ein wärmeres Gefühl sich berge. Und wäre es auch nur die holde Täuschung eines Moments – dieser Moment sollte ihm gehören. Wenn er nur einmal die süße Gestalt umfangen durfte in seliger Trunkenheit – mochte dann geschehen was wolle.

Ehe sich’s die Prinzessin versah, lag Werner ihr zu Füßen und umklammerte ihre Hand, die er mit heißen Küssen bedeckte, während er sich in hastigen, unzusammenhängenden Worten mühte, seinem heißen Begehren, seinem sinnlosen Hoffen Ausdruck zu verleihen. Vor Schreck und Entrüstung drängte sich Mathilden alles Blut zum Herzen und pochte dann wieder stürmisch an die Schläfen. Kaum vernahm sie mehr die sich überstürzenden Worte;

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 300. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_300.jpg&oldid=- (Version vom 8.5.2023)
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