Verschiedene: Die Gartenlaube (1887) | |
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„Da sind Sie vollständig im Irrthum,“ sagte ich so scharf wie möglich, „und ich verbitte mir jede solche Unterstellung Ihrerseits. Ich habe geweint, ja, weil – weil ich meine Eltern nicht an Weihnachten sehen werde, und …“ ich fühlte selbst, daß dies unglaubwürdig heraus kam und sah es auch an seinem Gesicht. Dabei fing mir die Stimme schon wieder an zu beben, ich machte also eine entschlossene Wendung: „Und nun spielen wir endlich, statt die Zeit mit solchen Reden zu verderben.“ Dabei gab ich ihm sein a an.
Er verneigte sich schweigend und griff nach der Geige; dann begannen wir unsere Sonate, es war die F-dur von Beethoven. Und nun siehst Du, Marie, es ist doch etwas Herrliches um die Musik! Wie der erste Satz frisch und freudig daherströmte, dann das süße Andante kam mit dem sehnsuchtsvollen Klang und hinterher das graziöse Scherzo – ich spielte mir das Herz immer leichter und hatte während des prachtvollen Finale’s das Gefühl, als bekäme ich die größten Herrlichkeiten geschenkt. Es ging brillant und als wir geendet hatten, sprach ich mein Entzücken aus. Er sah starr vor sich hin:
„Ja, Musik ist ein gutes Surrogat für Glück –“
„– sagt Heyse in einer seiner Novellen,“ fiel ich ihm sofort unerbittlich ein.
„Es sagen’s außer ihm noch Viele,“ erwiederte er großartig. „Sie freilich, die Sie glücklich zu sein behaupten, können darüber keine Erfahrung haben.“
Ich wollte ihm eben tüchtig erwiedern, da hörte ich ein Geräusch in dem dunklen Hintergrund des Zimmers und sah, mich umwendend, Hugo’s Mutter, schwarz und ernsthaft wie immer dastehen, als trete ein Gespenst ins Zimmer. Wir hatten über dem Spielen ihr Klopfen überhört, ich eilte auf sie zu, bat sie, abzulegen und zündete rasch die große Lampe an. Sonst bleibt sie nicht, wenn Hugo ausgegangen ist, diesmal aber legte sie ab, nahm den Thee an, den ich ihr anbot, und musterte, während wir tranken, mit ihren scharfen Augen den jungen Herrn, welcher, offenbar sehr geärgert über die Störung, in unartigem Schweigen dasaß und meine Versuche, ihn meiner Schwiegermutter einigermaßen näher zu bringen, hartnäckig ignorirte. Endlich stand er auf und ging mit einer kurzen Entschuldigung.
Kaum hatte sich die Thür hinter ihm geschlossen, so kam die strenge Frage. „Musicirt dieser Herr öfter mit Dir, Emmy?“
Nun sieh, Marie, es ist doch mit der Empfindlichkeit eine kuriose Sache. Warum ärgert Einen nun so ein Ton gleich bis ins innerste Herz hinein, daß man nicht anders kann, als auch gereizt erwiedern? Hugo hat mir wohl darüber schon gepredigt, aber das versteht er nicht, die Männer sind ja vollkommen harthörig für solche Stimmennuancen. Ja, ich gestehe es, ich bin empfindlich, aber das ist nun einmal meine Eigenthümlichkeit, also sollte man sie schonen, ändern kann ich mich darin nicht. Deßhalb erwiederte ich auch ziemlieh kühl:
„Jawohl, wir wollen jede Woche einmal spielen.“
„Dann solltest Du Dir Hugo’s Gegenwart ausbitten!“
„Warum? Es ist nichts Unrechtes dabei!“
„Es ist unschicklich,“ erwiederte sie jetzt auch scharf, „und eine junge Frau muß auch den leisesten Schein meiden.“
„Es fällt mir nicht ein, mich nach der Meinung dieses kleinen Nestes zu richten,“ fuhr ich heraus und bereute es eigentlich auf der Stelle. Denn statt nun auch loszulegen, sah sie mich nur einige Sekunden schweigend an, mit einem Ausdruck von Trauer, der mir schon öfter in ihrem Gesichte auffiel. Dann sagte sie in dem eisigen Ton, der mich immer und immer wieder von ihr abstößt:
„Für eine erwachsene Person sprichst Du manchmal noch sehr unvernünftig. Uebrigens muß ich jetzt nach Hause. Hugo, scheint’s, kommt doch nicht mehr.“
Ich holte ihre Kleider, dabei trat sie an den Flügel und sah den noch dastehenden Karton. Sie warf einen ganz entsetzten Blick hinein, nahm dann das schillernde Müffchen heraus, vorsichtig, als könne es beißen, und sagte, es hoch haltend, mit einem langsamen, vernichtenden Kopfschütteln: „Unglaublich! Das willst Du doch hoffentlich nicht anschaffen?“
„Ich thäte es sehr gerne, wenn ich konnte,“ erwiederte ich, trotz aller guten Vorsätze doch wieder spitz, „aber es ist mir zu theuer.“
„Du würdest auch allgemein damit auffallen.“
„Daran läge mir nichts,“ wollte ich schon wieder losfahren, besann mich aber und sagte nur: „Ich werde auch meinen Hut weitertragen, obgleich er zu dem neuen Kleid nicht paßt!“
„Du könntest Dir ja einen neuen dazu machen,“ erwiederte sie nun auch mit einer Anstrengung zur Freundlichkeit. „In meiner Jugend machten wir uns Alles selbst (lieber Gott, das sieht man ihrem Hut heute noch an), und es schiene mir eine sehr große Wohlthat für die Gesellschaft, wenn alle Frauen des Mittelstandes, statt Schneiderrechnungen zu bezahlen, die weit über ihre Verhältnisse gehen, sich ihre Kleider mit einer einfachen Hilfe im Haus arbeiteten. So macht man’s hier, liebe Emmy, und es sollte mich sehr wundern, ob Dir nicht bald diese gute Sitte des ‚kleinen Nestes‘ nachahmungswerth vorkommen wird.“
Ich dachte an die Vogelscheuchen, die hier in guter Sitte auf allen Straßen wandeln, und that nur innerlich einen hohen Schwur! Aber ich schwieg und begleitete die alte Frau mit dem Licht hinaus. Nie, nie werden wir uns innerlich nahe kommen!
Ich wollte Dir den Weihnachtsabend erzählen, liebste Marie, und bin so ins Plaudern gerathen. Aber das thut nichts. Der Brief bleibt bis morgen liegen, und ich opfere der Freundschaft eine Zwanzigpfennigmarke, um Dich für den verlorenen mündlichen Herzenserguß zu entschädigen! Für heute adieu!
Blätter und Blüthen.
Thomas Carlyle’s Gattin. Ueber Dichtergattinnen und Schriftstellerfrauen berichtet die litterarische Chronik wenig genug. Solche sensationelle Ereignisse, wie der Selbstmord der geistreichen Charlotte Stieglitz, die damit ihren Gatten zu dichterischem Schaffen anspornen wollte, haben sich in neuerer Zeit nicht zugetragen. Damals in der jungdeutschen Zeit folgte ein Essay auf den andern, welche alle die That jener eigenartigen Dichterfrau beleuchteten. Die Gattinnen von Schriststellern kommen neuerdings fast nur in Betracht, wenn sie selbst zur Feder greifen und im Litteraturkalender neben ihren Männern in Reih und Glied stehen.
Eine Ausnahme macht die Gattin Thomas Carlyle’s, welche in den vierbändigen „Memoiren über Carlyle’s Leben“, die J. A. Froude herausgab, eine hervorragende Rolle spielt. Carlyle selbst, einer der begabtesten Schriftsteller Englands, wird auch von seinen Gegnern, trotz seiner Eigenart und mancher Schrullen in Sinnes- und Schreibweise, als einer der besten Köpfe Albions anerkannt. Uns Deutschen hat er stets die wärmste Sympathie entgegengebracht, besonders unserem Goethe, und seine umfangreiche Geschichte Friedrich’s des Großen beweist zur Genüge, wie angelegentlich er sich mit Studien über unsere politische und geistige Entwicklung befaßt hat. Ja, sein Stil hat etwas Jeanpaulisirendes und weist auf die deutsche Quelle hin, aus welcher er so manche Anregung geschöpft hat.
Die Bekanntschaft, welche Carlyle 1821 mit Miß Jane Welsh, der Tochter eines Arztes in Haddington, machte, der früh ein Opfer seines Berufes geworden, wurde entscheidend für sein ganzes Leben. Nicht als ob der Liebe Götterstrahl, wie es bei dem Dichter heißt, gleich in die Herzen geschlagen wäre, getroffen und gezündet hätte: dazu war die Persönlichkeit Carlyle’s wenig geeignet, denn seine Gestalt war eckig, sein Kopf äußerst lang, sein Haar dicht und buschig; nur seine tiefblauen Augen hatten etwas Gewinnendes. Von Miß Welsh wird berichtet, daß sie schwarze Haare, dunkle große Augen, die von leisem Spott glänzten, eine blasse Gesichtsfarbe, eine breite Stirn hatte und den Eindruck großer geistiger Lebendigkeit machte. Doch bei ihrer ersten Begegnung mit Carlyle gehörte ihr Herz ihrem Lehrer Irving; dieser erwiederte zwar ihre leidenschaftliche Neigung, aber er hatte sich für ein anderes Mädchen, eine Miß Martin, so interessirt, daß er sein Herz nicht mehr frei fühlte – und Fräulein Welsh weigerte sich, andere Worte von ihm zu hören, als die eines Freundes, nachdem er ihr erzählt, daß er das Herz jener Miß Martin mit Hoffnungen und Wünschen erfüllt habe. Obschon sie also nach dieser Seite keine Aussicht hatte für einen lebenslänglichen Bund, konnte sie doch anfangs für Carlyle, „den großen knochigen Mann mit der ehernen Stirn“, der in das Haus ihrer Mutter eingeführt worden und an Irving’s Stelle als Mentor auf dem Gebiete der neuen Litteratur getreten war, keine Liebe empfinden.
Im Jahre 1823 schrieb Miß Jane ihm einen Absagebrief. „Mein Freund, ich liebe Sie, ich wiederhole es, obschon der Ausdruck unvorsichtig ist. Die besten Gefühle stehen mit der Liebe zu Ihnen in Beziehung. Aber wären Sie mein Bruder, so würde ich Sie gleichfalls lieben. Nein, ich will ihre Freundin sein, ihre treueste, ergebenste Freundin, so lange ich die Lebensluft athme, aber ihre Frau – niemals. Niemals, und wären Sie so reich wie Krösus, und so geehrt und berühmt, wie Sie es noch sein werden.“
Was es mit diesem „niemals“ bei den Ablehnungen leidenschaftlicher Freier oft für eine Bewandtniß hat, das wurde auch hier bald klar; denn im Jahre 1826 schon wurde Miß Welsh die Frau Carlyle’s. Die Mutter war gegen die Ehe: doch Jane hatte ihr schon früher ihr ganzes Vermögen auf Lebenszeit zugesichert. Erst allmählich hatte Jane sich zu dem Versprechen herbeigelassen, sie wolle, wenn der Freund als Schriftsteller Glück mache, es mit ihm theilen.
Ob die Ehe eine glückliche war? Carlyle bekannte zwar, daß er, wenngleich Andern gegenüber so eigensinnig wie ein Maulthier, doch seiner Frau gegenüber lenksam und willig sei, und von der hohen Meinung, die sie von ihm hatte, legt ein Brief Zeugniß ab, den sie kurz vor der Verheirathung an ihre Tante schrieb: sie nennt ihn darin einen der gescheitesten und abgeklärtesten Männer ihrer Zeit; „er besitzt alle die Eigenschaften, die ich bei meinem Gatten für nöthig erachte: ein warmes treues Herz, um mich zu lieben, einen gewaltigen Verstand, um mich zu beherrschen, und eine Feuerseele, um der Leitstern meines Lebens zu sein. Ausgezeichnete Gaben dieser Art erfordern aber immer schon einen gewissen Grad von überlegener Einsicht bei denen, die sie gehörig zu würdigen wissen. In den Augen der Kanaille, der armen seelenlosen elenden Kerle, sind dieselben bloße Thorheit, und es ist ja lediglich die Kanaille, die über anderer Leute Angelegenheiten schwatzt. Das ist also mein zukünftiger Gatte, kein großer Mann nach des Wortes gewöhnlichster Bedeutung, aber wahrhaft groß in dem ursprünglichen natürlichen Sinn des Wortes: ein Gelehrter, ein Dichter und Philosoph, ein reicher und edler Mensch, der sein Adelspatent vom allmächtigen Gott verliehen erhielt und dessen hohe Männlichkeit nicht nach dem liliputischen Zollstabe gemessen werden darf.“
In dieser Charakteristik hat Miß Welsh ihrer eigenen geistigen Bedeutung ein schönes Zeugniß ausgestellt; doch sollte es in der Ehe nicht an Irrungen und Störungen fehlen, obgleich dieselbe, nach dem Tode der Mutter, auf einer festen finanziellen Grundlage ruhte. „Seitdem Du berühmt geworden,“ hatte Miß Welsh zu ihrem Gatten gesagt, „macht man Dich zum Centrum aller Verrückten.“ Vornehme Damen machten ihm den Hof, vor allem eine geistreiche Weltdame, Lady Harriet Ashburton, die seine Gloriana, Königin seines Feenreichs, wurde und im
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 303. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_303.jpg&oldid=- (Version vom 14.5.2023)