Verschiedene: Die Gartenlaube (1887) | |
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eigenen Schultern. Eine der zwei langen Kienholzfackeln schob er gleich einem Schwerte hinter den Leinengurt, die andere nahm er in die Rechte und entzündete sie an dem flackernden Spane, der den engen Raum erleuchtete. Als die Fackel mit heller Flamme brannte, hieß er Sanni vorangehen in den Flur – und als das Mädchen im Dunkel der Thür verschwand, schlich er lautlosen Trittes dem Ofen zu und riß die Leuchte aus der Klunse. „Alles – Alles, Herr – mein Weib – mein Haus – und mein Letztes!“ raunte er mit grinsendem Lächeln vor sich hin und stieß das brennende Ende des Spanes zwischen die Kotzen und das Heu seines Bettes. Ein rasches Feuer lief, die krausen Härchen der wollenen Decke sengend, über die ganze Länge des Lagers. Doch ehe noch aus dem Heu die helle Flamme aufwärts leckte über die Wand, hatte der Bygotter schon den Flur betreten und die Thür hinter sich ins Schloß geworfen. Da faßte er Sanni bei der Hand und zog sie an seiner Seite über die Hausschwelle.
Während sie hinaustraten in den grauenden Morgen, fiel es Sanni auf, daß der Vater Eines vergessen hatte, das ihm doch sonst bei jedem solchen Gange die Hauptsache war. Und damit ihn diese Vergeßlichkeit, wenn er sie wahrnähme, nicht erzürnen möchte, mahnte sie ihn mit schüchterner Stimme: „Vater – ’s Fetter hast, und ’s Holz, aber – aber –“
Der Vater schien sie zu verstehen, und es ward ihr so seltsam zu Muthe, als sie das starre Lächeln sah, mit dem er sagte: „Gedulde Dich, mein Kind – Gott wird sich sein Opfer ersehen!“
Sie schritten über den knirschenden Kies dahin. An der Stelle, an welcher der schmale Sandweg sich nach dem steinernen Tisch in die Wiese abzweigte, zögerte Sanni.
„Komm’ – es dehnet sich der Weg!“ hörte sie den Vater murmeln, der seine Hand noch fester um ihre Finger schloß, um sie in rascherem Gange mit sich fortzuziehen.
Und so durchschritten sie das Thor und wanderten durch die thaufeuchten Birkenbüsche dem Bache zu, den sie an seichter Stelle durchwateten. Dann ging es bergwärts durch den pfadlosen Tannenwald.
Von der brennenden Fackel des Bygotters qualmte der Rauch empor und scheuchte die kleinen Vögel, die mit erschrockenem Pispern durch das wirre Netz der Zweige flatterten. Einmal flog ein Häher auf und kreischte und gackerte wie in Zorn und Entsetzen. Die Fackelflamme loderte im thalwärts ziehenden Winde, und immer trüber wurde ihr röthliches Licht, je heller der Himmel durch die leise nickenden Zweige blickte.
Rastlos schritten die Beiden bergan. Sanni athmete schwer; aber sie hatte nicht den Muth, den Vater um kurze Ruhe zu bitten; er schien es so eilig zu haben.
Nun erreichten sie einen breiten Pfad, der in mäßiger Steigung zur Höhe führte. Ihm waren sie eine kurze Weile gefolgt, als der Bygotter jählings die Schritte verhielt. Zorn und scheue Furcht zugleich sprach aus den weit offenen Augen, mit denen er nach einer feuchten Stelle des Weges starrte, auf welcher sich die frische Spur eines genagelten Schuhes zeigte. Lauschend richtete er sich auf, schüttelte den Kopf, daß sein Bart in langen Wellen schwankte – und sie stiegen weiter zur Höhe. Doch immer wieder zeigte sich jene Fährte. Je häufiger sie erschien, desto mehr überkam eine zitternde Unruhe den Bygotter. Dann endlich blitzte es in wilder Freude aus seinen Augen; er hatte gewahrt, daß jene Spuren einem schmalen Steige folgten, der von dem breiten Wege seitwärts in den Hochwald lenkte.
Sanni war so erschöpft, daß sie auf einen Baumstock niedersank, während der Vater einige Schritte dem seitwärts ziehenden Steige folgte. Nun riß er sie am Arme empor. „Komm – komm – des Herrn Auge will erwachen!“ fuhr er sie mit heiserer Stimme an und zerrte sie mit sich fort.
Sie gelangten auf eine lichte Rodungsfläche und sahen ein Rudel Hochwild über Gestrüpp und dorrende Kräuter flüchten. Eine kurze Strecke ging es noch durch steilen Lärchenwald. Die Dämmerung hatte sich zum hellen Morgen gewandelt, als sie eine von welkem Gras übersponnene Kuppe erreichten, welche zwei bewaldete Schluchten von einander trennte und gegen die kahlen Wände des Sonnberges hin mit niederen, brüchigen Abstürzen in ein weites, von wirren Steinblöcken überstreutes Felsenkar verlief.
Der Bygotter entzündete die zweite Fackel an dem niedergebrannten Stumpfe und stieß sie aufrecht in eine morsche Stelle des Grundes. Dann warf er von seinem Rücken die Fichtenscheite auf die Erde und nahm die Späne von Sanni’s Schulter.
Athemlos und vor Ermüdung am ganzen Leibe zitternd kauerte sich Sanni auf den kalten Boden. Mit verlorenen Blicken schaute sie zum zerrissenen Grat des Sonnbergs auf, der schon in röthlichem Lichte glühte. Sie schaute über Wälder und Wälder in die weite Ferne, wo der Himmel mit langgestreckten, in bunten Farben leuchtenden Wolken überzogen war. Sie blickte nieder ins Thal, das noch im grauen Morgenschatten lag und von weißen Nebelstreifen übersponnen war, die in trägem Zuge die winzigen Häuser des Dorfes enthüllten und wieder verbargen. Ihre Blicke wanderten aufwärts über die tausend Wipfel und irrten über die zu ihrer Linken liegende Waldschlucht nach dem jenseitigen Gehänge, durch dessen gelblich grüne Lärchen sie das steinbeschwerte Schindeldach einer Holzerhütte gewahren konnte. Dann wieder folgte sie mit müden Blicken dem Vater, der aus dem Felsenkar in keuchender Eile Steine um Steine schleppte, die er auf der Höhe der Kuppe zu einem breiten, ebenen Sockel an einander reihte. Ueber diese Steine schichtete er im Geviert die schweren, langen Fichtenscheite, und beinahe kindisch war die emsige Genauigkeit anzusehen, mit welcher er die in der Mitte gebrochenen Späne in die Lücken des Holzstoßes vertheilte.
Da fluthete eine grelle, warme Helle über den Grund – hinter den fernen Bergen war die Sonne aufgetaucht. In wirren Stößen wechselte der Wind; er trug den Glockenschlag der sechsten Stunde vom Thal herauf und machte die trübe, qualmende Fackelflamme lodern und rauschen.
Fröstelnd, die Arme um die Kniee geschlungen, saß Sanni auf der Erde. Mit nassen, traumverlorenen Augen starrte sie in die Sonne. Sie sah nicht, wie der Vater mit seinem seltsamen Werke zu Ende gedieh, wie er ein Bündel Stricke vor den Holzstoß legte und ein großes, blitzendes Messer zur Bereitschaft in eines der obersten Scheite stieß. Sie fühlte nur plötzlich, wie er sie am Arme faßte und emporzog. Als sie zu ihm aufschaute, erschrak sie bis ins Herz vor seinem Gesichte und seinen Augen, und da folgte sie ihm willenlos zur Höhe der Kuppe.
„Kniee nieder,“ keuchte er, „und ich will Dir sagen, wie Du beten sollest.“
Zitternd that sie, wie er wollte, und sprach in stotternden Lauten seine Worte nach.
„Gott ist mein Hirt,“ so betete er mit heiserer Stimme vor, „auf grünem Anger lagert er mich – und meine Seele erquicket er. Auch wenn ich wandle – durch ein Thal des Todesschattens – fürchte ich – nichts Uebles – denn Du, Herr, bist bei mir – ich stütze mich auf Deinen Stecken! Du rüstest mir – ein Mahl – salbest mit Oel mein Haupt – mein Becher fließet über –“
„Mein Becher – fließet über –“ stammelte Sanni; während dieser Worte glitten ihre Blicke nieder ins Thal, und Entsetzen lähmte ihre Zunge, als sie an einer Stelle des ebenen Waldes schwarze, von rothen Flammen durchzüngelte Rauchwolken in die Lüfte steigen sah.
„Und ich wohne – in Deinem Hause immerdar!“ betete der Bygotter.
Da raffte sich Sanni von der Erde empor, krampfte die eine Hand in die Schulter des Vaters, streckte die andere nach dem Thale und kreischte in verzweifelter Angst: „Jesus Maria – Vater – da – da schau – brennen thut’s – unser Haus brennt – unser Haus!“
Sie wollte thalwärts stürzen, doch mit eisernem Griffe fühlte sie sich von den Händen des Vaters gefangen.
„Laß brennen!“ keuchte er, „laß brennen! Gott wird Deinem Vater Paläste bauen! Laß brennen – und – und nicht warten soll er – er sehnet sich – seines Opfers –“
Mit jähem Griffe zerrte er die Zöpfe von ihrem Haupte, daß sie aufschrie in Schmerz und Angst. Mit beiden Händen riß er ihr das Mieder vom Leibe – und da begann sie mit schlagenden Armen sich zu wehren und kreischte und lallte: „Um Herrgottswillen – Vater – laß mich doch gehn – Jesus Maria – Vater – was thust denn – Vater!“
Er aber hörte ihr Flehen nicht, gewaltsam sprengte er die Nesteln ihres Gewandes, zerriß das Linnen an ihrem Halse und
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 754. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_754.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)