Verschiedene: Die Gartenlaube (1888) | |
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und ging so dem herankommenden Wagen entgegen. In ängstlicher Spannung zog er die dicken, gelben Brauen in die Höhe – kamen die dort vielleicht gleich mit, um ihren Antheil zu reklamiren?
Der Wagen hielt. Der alte Gärtner öffnete mit einem höflichen Gruß den Schlag; aber nur seine junge Herrin stieg aus. Beate blieb sitzen und reichte dem Kinde, das er auf dem Arme behalten hatte, die Erdbeeren hin. Mit Ueberraschung sah Claudine dabei ein schönes, zärtliches Lächeln über das ernste Gesicht der Pensionsschwester hinfliegen, und auch das Kinderherz mochte instinktmäßig herausfühlen, daß dieser Sonnenstrahl ein seltener sei; denn die Kleine reckte sich plötzlich hinüber und schlang die Arme um Beatens Hals; dann nahm sie, glückselig in sich hineinlachend, unbedenklich das Körbchen aus den „großen Händen“, die sie neulich ganz empört von ihrem Puppenliebling abgewehrt, und strebte, schleunigst von Heinemann’s Arm zu kommen, um nach dem Hause zu laufen.
Beate stellte „der Herrin vom Eulenhaus“ ihren Besuch für die allernächste Zeit in Aussicht, „auch solch eine Ankunft auf eigenen Füßen, einen Marsch, der den Haushaltungsärger wieder einmal aus dem Blute jage“. Gleich darauf wandte sich der Wagen und fuhr heimwärts.
Baron Lothar hatte kein Wort mehr gesprochen; aber er hatte sich mit einer tiefen Verbeugung von Claudine verabschiedet und dem alten Gärtner ein freundliches Wort zugerufen.
„Sapperlot, alles was wahr ist! Ich bin kein Freund von den Neuhaus’schen – ganz und gar nicht, im Gegentheil! Sie haben mehr Glück als Verdienst, und die Altensteiner müssen vor ihnen die Segel streichen – leider Gottes!“ sagte Heinemann, während er die Hand beschattend über die Augen hielt und der fortbrausenden Equipage mit langem Halse und höchstem Interesse nachsah. „Aber das muß ihm der Neid lassen, ein bildschöner Soldat ist und bleibt er, auch in dem müllergrauen Rock, dem simplen. Bin ja auch Soldat gewesen – ein forscher, gnädiges Fräulein – und weiß die Herren Officiere zu taxiren. Ich glaube, wenn der vor seiner Schwadron reitet, da halten sich die Kerls noch einmal so stramm und stolz auf ihren Pferden … Wie’s freilich inwendig aussieht, das weiß man ja – viel Uebermuth und ein krasser Dünkel auf die vornehme Heirath; und wie es mit dem da steht –“ er machte mit Daumen und Zeigefinger die Geste des Geldzählens und streifte mit einem ängstlich fragenden Seitenblick das Gesicht seiner jungen Herrin – „hm, da nimmt man wohl auch, wo es zu haben ist?“
Claudine lächelte. „Sie können ruhig sein, Heinemann, der Fund bleibt in Ihren Händen; Sie können damit thun, was Ihnen beliebt –“
„Was? Wirklich? Sie nehmen nichts, die da drüben?“ Er war nahe daran, einen Freudensprung zu machen. „Ein Stein ist mir vom Herzen – ein Centnerstein! Mir war zuletzt himmelangst, bis Sie kamen! Na, das wäre überstanden, Gott sei Dank! – Nun sollen Sie aber einmal sehen, was der alte Heinemann kann, gnädiges Fräulein! Dem Kerl da in der Stadt, dem reichen Bolz, dem die Bienenväter hier zu Lande nie Wachs genug schaffen können, dem will ich seine Sparpfennige aus dem Leibe pressen, daß er Ach und Wehe schreien soll! … Wir können’s brauchen, gnädiges Fräulein, können’s gerade jetzt gut brauchen, wo wir gewiß manchmal vornehmen Besuch kriegen. Und da darf es doch nicht zu armselig im Hause sein – beileibe nicht, das sind wir schon unserer guten gnädigen Frau in der Erde schuldig! Ich nehme morgen das gute Zinn gleich mit in die Stadt zum Zinngießer, es muß wieder einmal ein bischen aufgefrischt werden; einen neuen Sahnegießer zum Kaffeegeschirr brauchen wir auch; und wie wär’s denn, wenn wir in die gute Stube neue Vorhänge kauften? Fräulein Lindenmeyer hat nach der letzten Wäsche um all ihr Leben gestopft und geflickt, und wenn sie das auch pikfein macht, da und dort sieht man’s doch –“
„Aber, mein Gott, wozu denn das Alles?“ fragte Claudine erstaunt. „Fräulein Beate –“
„Ach, wer spricht denn von der? – Die flickt und stichelt ja selbst alle alten Lappen und Läppchen zusammen und hängt sie wieder an die Fenster; die ist gar häuslich und sparsam und spottet nicht über einen zugestopften Riß!“ Er zeigte mit dem Daumen über die Schulter nach Fräulein Lindenmeyer’s Eckstube. „Da drin sitzt sie, die Dorfklatsche, die Försterin aus Oberlauter, die alle neuen Nachrichten brühwarm aus der Residenz kriegt und sie nachher im Stricksack von Haus zu Haus trägt, bis es altbackene Semmeln sind. Wenn wir näher ans Haus kommen, da werden Sie’s riechen, gnädiges Fräulein – eitel Zimmet und Vanille! Fräulein Lindenmeyer hat nämlich vor Freude über den raren Besuch Chokolade gekocht, eine steife Chokolade – der Löffel bleibt drin stecken – Brr! Und morgen wird unser altes Mamsellchen wieder einmal auf der Nase liegen und ihre allerschönsten Magenschmerzen davon haben – na meinetwegen! Die Nachricht, die uns der brave Postillon im Weiberrock zugetragen hat, ist am Ende so ein bischen Schmerzen werth; unser Herzog hat nämlich unsern lieben, schönen Altensteiner Geroldshof gekauft.“
Claudine stand noch neben dem Eibenbaum am Eingang des Gartens. Mit einer jähen Bewegung griff sie in die Zweige des Bäumchens, als taste sie nach einem Halt. Das Blut stürmte ihr nach dem Kopfe und gleich darauf überzog eine tiefe Blässe ihr Gesicht.
„Du lieber Gott, wie Sie das angreift!“ rief Heinemann erschrocken und griff zu, um sie zu halten. „Ich alter Tapps, daß ich auch so mit der Thür ins Haus fallen muß! – Aber an der Sache ist ja doch nichts mehr zu ändern“ – er schüttelte trübe den Kopf – „kein Titelchen! Und ist’s denn nicht doch tausendmal besser, der Geroldshof kommt in solche Hände, als daß vielleicht ein reicher Fabrikant in den Stuben und Sälen spulen und spinnen läßt? … Und Ihre schöne Jugend, gnädiges Fräulein! Fragen Sie doch die da unten“ – er zeigte auf den Boden unter seinen Füßen, den ehemaligen Kirchhof der Nonnen – „ob nicht eine Jede mit tausend Freuden wieder aus dem einsamen Walde entwischt wäre, wenn sich nur ein Schlupfloch in den himmelhohen Mauern gefunden hätte! … Sehen Sie, das ist ja das Schöne bei der Sache – Sie kommen wieder in Ihre Gesellschaft, in Ihr richtiges Element! Eine jede Blume will ja auch ihren besonderen Boden. Der ganze Hof zieht für den Sommer auf das Altensteiner Gut. Der Herzog will eine Milchmeierei extra für seine junge Frau einrichten; sie soll ja an der Schwindsucht laboriren, das arme Frauchen, und da soll nun die Luft im Kuhstall helfen.“ Er kratzte sich hinter dem Ohr. „Du lieber Gott, das ist auch so ein Nothbehelf, wie der Moschus, wenn’s Matthäi am letzten ist!“
Die junge Dame ging langsam und schweigend tiefer in den Garten hinein. Ihre erblaßten Lippen waren wie im Krampfe geschlossen. Heinemann sah sie scheu von der Seite an. In diesem sanften, schönen Gesicht, das er kannte, seit es zum ersten Mal die blauen, wundertiefen Augen aufgeschlagen, spiegelte sich ein Kampf ab, für welchen ihm das Verständniß fehlte. Das war nicht der Schmerz um das verlorene Vaterhaus, wie er anfänglich gemeint hatte; es sah vielmehr aus, als ringe sie innerlich mit einer unheimlichen Gewalt, die auf sie einstürme, als wechselten Rede und Gegenrede in der Seele, während die Lippen stumm blieben. Er sah es an dem Zurückwerfen des Kopfes, an den abwehrend ausgestreckten Händen. Seine Anwesenheit schien sie völlig vergessen zu haben.
Er sagte deshalb auch kein Wort mehr und machte sich am nächsten Gemüsebeet zu schaffen; und erst, als sie im Begriff stand, in das Haus zu gehen, kam er ihr nach und bat um Urlaub für den nächsten Tag, „von wegen des Wachshandels“. – Sie nickte ihm mit einem matten Lächeln gewährend zu und ging die Treppe hinauf.
Droben, in ihrem stillen Zimmer, sank sie auf einen Stuhl und schlug die Hände muthlos vor das Gesicht. … War alles umsonst gewesen? Durfte ihr wirklich die Versuchung nachschleichen, wohin sie auch flüchten mochte? … Nein, nein, ihre Lage war nicht mehr so schutz- und hilflos, wie noch vor wenigen Wochen! Stand nicht ihr Bruder neben ihr? Und durfte sie jetzt nicht auch sagen: „Mein Haus ist meine Burg – ich kann und will es vor Jedem verschließen, der meine Schwelle nicht betreten soll?“ …
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_058.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)