Verschiedene: Die Gartenlaube (1888) | |
|
Alexis die intime Beziehung zwischen Darstellern und Zuhörern; er sagt: aus einem Berliner Parterre plötzlich in das Wiener getreten, glaube man sich in ein Land der „Unschuld“ versetzt. „So giebt hier alles Achtung, freut sich, nickt und blickt dem Schauspieler, dem Dichter, dem Drama zu.“
Daß am gedeihlichsten sich hier das Konversationsstück entwickelte, liegt in dem Charakter der Wiener wie in der Eigenart der Räumlichkeit, in welcher auch nicht die feinste, leichtest hingeworfene Bemerkung ungehört verhallt.
Als im Jahre 1876 das Burgtheater seinen hundertsten Geburtstag beging, fühlten alle Klassen der Gesellschaft sich angeregt, an der Feier theilzunehmen. Damals erschien eine mit Fleiß und Sachkenntniß gearbeitete „Chronik des Hofburgtheaters“ aus der Feder des verdienstvollen Intendanzbeamten, Regierungsrathes Wlassack.
An einer pragmatischen Geschichte des bedeutenden Instituts fehlt es aber noch immer, und gerade die Eröffnung des neuen Hauses wäre der richtige Anlaß, um die Annalen des alten festzustellen, auf daß sie nicht in Vergessenheit gerathen. Wir, deren beste Jugenderinnerungen sich an diese Stätte knüpfen, möchten wenigstens ihre Lebensbeschreibung besitzen, wenn schon die Stätte selbst uns entrissen wird. Ich hebe diese Momente hervor, um dem Nicht-Wiener wenigstens einigermaßen begreiflich zu machen, warum ein Theil der Bevölkerung der Kaiserstadt mit gemischten Gefühlen das alte, unzulängliche, aber so überaus liebgewordene Theater durch das neue verdrängt sieht. Ein kommendes Geschlecht, frei von unseren Reminiscenzen, wird sich des köstlichen Besitzes allerdings unbeirrt freuen. Als ein solcher darf der Bau bezeichnet werden, den Freiherr von Hasenauer mit edler Hingebung durchgeführt hat.
Das neue Hofburgtheater, in üppig heiterem Renaissancestil gehalten, steht auf einem der architektonisch prächtigsten Plätze des verjüngten Wien. Es bildet direkt das Gegenüber zu dem Rathhause, Friedrich Schmidt’s bewundernswerthem Werke; zu nahen Nachbarn hat es die Votivkirche und die Universität Ferstel’s, das Parlament Hansen’s, den Justizpalast Wilemans’. Es leuchtet weithin in sonnigem Frohsinn, seiner hohen künstlerischen Sendung sich bewußt. Es trägt dem Grundsatze Rechnung, daß ein Bau sich aus sich selbst erklären, die Form dem Inhalte entsprechen müsse. Niemand kann sich darüber unklar sein, daß er ein Theater und nichts Anderes als ein Theater vor Augen habe. Bühne und Zuschauerraum sind im Aeußeren deutlich markirt, und wo der Architektur das Wort zur Erklärung versagt, da greift die Plastik helfend ein.
Von den Giebeln der großen Fenster des hohen Mittelbaues grüßen neun Dichterbüsten: Goethe, Shakespeare, Schiller, Lessing, Grillparzer, Hebbel, Halm, Molière, Calderon. Unter jeder dieser Büsten vertreten zwei Zwickelfiguren wichtige Gestalten aus den Werken des Poeten. Sagt der Architekt: dies ist ein Theater, so fügt der Bildhauer hinzu: es ist dem Kultus der edelsten Gattungen der Bühnendichtung gewidmet.
Von der Erscheinung des Hauses giebt der Stift des Zeichners einen viel anschaulicheren Begriff, als die beschreibende Feder dies vermöchte. Der Grundriß ist treffend mit einer Armbrust verglichen worden. Der Schaft besteht aus dem Hauptgebäude: dem höheren Bühnenhause und dem in sanfter Neigung zeltartig abfallenden Zuschauerraum, welchem Foyers und Logengänge vorgelegt sind und der in der Façade als Halbkreis abschließt. Rechts und links liegen Flügeltrakte, welche die großartigen Treppenanlagen enthalten. Diese gliedern sich dem Mittelbau organisch an, bewahren ihm aber dadurch, daß sie ihm so wichtige Bestandtheile abnehmen, jene volle Freiheit, welche die mehr massige und gedrückte Hofoper schmerzlich vermissen läßt. Schwung und Freiheit kennzeichnen überhaupt den Bau, der Schimmer einer begeisterten und begeisternden Freudigkeit liegt auf diesen Säulen und Balustraden, auf Attica und Kuppel, auf Maß- und Gesimswerken, auf all den hundert und hundert Einzelnheiten, aus denen solch ein vielverzweigtes Gebäude sich zusammensetzt. Kein Theilchen widerspricht dem Ganzen, jedes fügt sich harmonisch dem Gesammtbilde ein. Die Plastik hat für das neue Burgtheater mehr als für ein anderes Wahrzeichen des modernen Wien geleistet. Giebelgruppen, Reliefs, Friese, überlebensgroße Statuen allegorischen, mythologischen und theatergeschichtlichen Inhaltes, Figuren für Piedestals und für Blendnischen wechseln mit einander ab, und die besten Wiener Bildhauer haben ihr Bestes geboten: Benk, Meyer, Kundmann, Tilgner, Costenoble, Silbernagel, Hofmann etc. Man käme nicht zu Ende, wollte man es unternehmen, auch nur das Wichtigste von dem anzuführen, was die Plastik da für die theuere Schwesterkunst gethan hat. Macht schon der Bau an und für sich einen herzerquickenden Eindruck, so wird dieser durch die Mithilfe der Bildhauerei noch erheblich vermehrt.
Das Innere steht dem Aeußeren keineswegs nach. Der zweitausend Personen – also um 500 weniger als das Opernhaus – fassende Saal wird einen blendenden Eiudruck machen. Wie für die Eleganz, so ist aber auch für die Sicherheit in vollstem Maße gesorgt. Das Theater kann sich innerhalb weniger Minuten entleeren, so daß ein etwa ausbrechender Brand keine Katastrophe im Gefolge haben wird. Zu dem Parquett muß man allerdings 25 Stufen emporsteigen, aber dem Publikum stehen sechs breite Treppen zur Verfügung. Eisenkonstruktionen und elektrische Beleuchtung sorgen ferner für die Beseitigung von Gefahr. Der scenische Dienst vollzieht sich mittels hydraulischer Maschinenwerke. Mit unglaublicher Schnelligkeit kommen und verschwinden ganze Koulissenkomplexe. Es wird dies für die Stammgäste des alten Burgtheaters eine Ueberraschung sein; denn in letzterem wird im Falle von Verwandlungen bei offener Scene ein Krönungssaal hübsch langsam emporgezogen, während ein Wald eben so langsam
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_061.jpg&oldid=- (Version vom 10.7.2016)