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Seite:Die Gartenlaube (1888) 068.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)


Unweit von Obermendig, wo die Landschaft ihren düsteren Charakter abgelegt hat und ein freundliches, anmuthiges Gesicht zeigt, liegt ein einsames Kirchlein, das den Namen „Frauenkirche“ führt. Hier befindet sich die Grabstätte der heiligen Genoveva und hinter dem Altare dieses kleinen Gotteshauses soll der Sage nach die Höhle gewesen sein, in welcher einst die Verstoßene gehaust hatte. Von der Burg Siegfried’s auf dem Hochsimmer ist freilich nichts mehr zu sehen; die Hauptperson der Sage aber gehört zu den rührendsten und poetischsten Gestalten unserer vaterländischen Sagendichtung, die selbst einen Ludwig Tieck und Fr. Hebbel zu dramatischer Bearbeitung zu begeistern vermochte.

Eisbrecher auf der Oder. (Mit Illustration S. 53.) Starr liegt, obgleich der Winter im Scheiden ist, noch die Eisdecke auf der Oder und dem Haff. Ungeduldig werden die Rheder und Schiffer in Stettin: die Frachten sind abgeschlossen, aber es ist wenig Aussicht, die Fahrt zu beginnen. In anderen Hafenstädten regt es sich schon längst und in dem Vorhafen Stettins, Swinemünde, sind Steamer von dorther eingetroffen – aber wie soll die Ladung in die Handelsstadt hinübergeschaft werden? Da dampft eines Tages ein eigenartig gebautes Fahrzeug in den Hafen; es ist telegraphisch hierher beschieden worden und wird mit Jubel begrüßt. Es ist ein starker Eisbrechdampfer, er trägt Schoonertakelung; Masten und ein Schornstein von mächtigem Umfang sind stark nach hinten geneigt. Vermöge seiner starken Maschinen und Kessel besitzt er eine bewältigende Kraft; die noch etwa 9 bis 10 Zoll starke Eisdecke ist fur ihn kein Hinderniß. Vier bis fünf Schiffslängen geht er vor derselben zurück; dann dampft er mit voller Kraft nach vorwärts, der mächtige Rumpf hebt sich aus dem Wasser und schiebt sich aufs Eis, das krachend unter so großer Last zusammenbricht. So geht es Schritt um Schritt weiter; eine breite Rinne bildet sich, in welcher die andern großen Dampfer dem bahnbrechenden Pionier folgen, und die Schifffahrt ist eröffnet. †     

Das entflohene Modell. (Mit Illustration S. 56. und 57.) Die ganze kleine Welt des Ortes, welcher der vortreffliche Maler Vautier die ausdrucksvollsten Züge verliehen, ist hinter dem Maler in das Zimmer eingedrungen, in welchem derselbe sein „entflohenes Modell“ sucht. Natürlich erregte Flucht und Verfolgung das größte Aufsehen in dem ganzen Orte, und es scheint, daß die kühne That des kleinen Mädchens bei den Altersgenossen und -genossinnen lebhaften Beifall findet. Da steht dasselbe hinter der Treppe, auf welcher ein neutrales Baby emporklettert und, unbekümmert um den Lärm, dem Maler freiwillig ein Modell darbietet, das sich allerdings nicht für eine geflügelte Amorette eignen würde. Die Schuldige selbst, mit ihrem ängstlichen und lieblichen Gesicht, den scheuen Blick auf den Verfolger gewendet, den Tragkorb neben sich, mit dem sie wahrscheinlich in verschiedenen unbequemen Stellungen dem beobachtenden Blick des Künstlers Stand halten mußte, mag von diesem schmerzlich vermißt werden, denn sie ist in der That ein reizendes Kind. Der Maler verhandelt über das Geschäftliche mit der Mutter; denn die kleine Kunstschülerin ist vielleicht gegen eine vorausbezahlte Summe verhandelt worden und hat sich eines schnöden Kontraktbruches schuldig gemacht, der das Einnahmebudget der Familie zu gefährden droht. †     

Eine seltsame Audienz. Der Zar Peter der Große hatte am Hofe von St. James schon wiederholt den Wunsch zu erkennen gegeben, mit England einen Handelsvertrag abzuschließen; aber letzteres zögerte, auf dieses Verlangen einzugehen, weil es fürchtete, damit die heimische Industrie zu schädigen. Endlich aber gab die britische Regierung dem Verlangen des Kaisers nach und sandte eine Gesandtschaft an denselben ab, um den Vertrag zum Abschluß zu bringen. Der Zar ließ die Engländer sehr lange warten, ehe er die nachgesuchte Audienz bewilligte; schließlich aber erhielten sie die Mittheilung, daß der Kaiser bereit sei, sie zu empfangen, aber auf einem im Hafen liegenden Dreimaster. So eigenthümlich auch der Ort gewählt war, so mußten die Gesandten sich doch fügen, und sie fanden sich daher zur bestimmten Stunde auf dem Schiffe ein. Wie erstaunten sie aber, als man ihnen sagte, Seine Majestät befinde sich oben im Mastkorbe des Besanmastes und lasse sie ersuchen, sich dort oben ihm vorzustellen. Was war zu thun? Der mächtige Zar ließ nicht mit sich spaßen und unverrichteter Sache durften sie nicht nach England zurückkehren; sie mußten sich daher wohl oder übel der Grille des Kaisers fügen, der gewöhnt war, unbedingten Gehorsam zu finden. Zitternd vor Angst machten sich die Gesandten, die wohl das Parkett des Windsorpalastes, aber nicht die schwankenden Strickleitern eines mächtigen Segelschiffes kannten, auf den Weg, und nach einer bangen Viertelstunde waren sie oben in schwindelnder Höhe auf dem engen und schmalen Platz angelangt. Würdevoll, als sitze er auf seinem Throne, empfing sie Peter, vernahm ihre Anrede und erwiederte dann in Ausdrücken, die für England und dessen König außerordentlich schmeichelhaft waren. Aber einen Zug von Schadenfreude vermochte er nicht zu unterdrücken, und als endlich Alle die gefährliche Reise abwärts glücklich zurückgelegt und auf dem Verdeck wieder festen Boden unter den Füßen hatten, da erklärte ihnen der Kaiser lachend, daß die kleine Prüfung, welche er ihnen auferlegte, eine Strafe fur ihre verspätete Ankunft gewesen sei. Der Handelsvertrag aber kam zu Stande, und zwar unter Bedingungen, die für England sehr vortheilhaft waren, so daß die Gesandten entschädigt für die ausgestandene Angst und befriedigt von dem Erfolg in ihre Heimath zurückkehrten.

Papierne Kleider im Jahre 1718. Auch die Papierwäsche, die wir als eine Errungenschaft unserer Zeit betrachten, hat schon ihre Vorgänger gehabt. Eine Nachricht vom Ende des Monats Juni des Jahres 1718 meldet aus Paris: „Zu Paris tragen die Dames bei dieser Sommerzeit Kleider von Indianischem Papiere, welche aber nicht länger als einen halben Tag halten. Es hat diese Façon von Kleidern der Spitzenhändler Boileau erfunden, welcher selbige mit allem, was darzu gehörig, als Manteaus, Jupes, Jupons, Corsets, die allein mit Leinwand gefüttert, Band und dergleichen für fünfundzwanzig Livres verkauft.“ In der „Allgem. Kammer der Kauffmannschafft“, dessen 3. Theil (Leipz. 1742) wir diese interessante Mittheilung entnehmen, ist beigesetzt, daß das indianische Papier ohne Zweifel chinesisches oder japanisches war. „Es mag allerdings diese Art Kleidung bei heißer Sommerzeit dem Frauenzimmer eine gar angenehme Art von Wedeln geben, nur daß sie, wegen allzukurzer Dauer, dem Beutel etwas beschwerlich fallen dürfte.“ Einige Jahre vorher hatte man in Frankreich Versuche gemacht, Stoffe und Kleidungsstücke von der Seide der Spinneneier herzustellen. Der Erfinder dieser Seide, Kammerpräsident Bon zu Montpellier, hatte im Jahre 1710 dem König Ludwig XIV. eine Weste und der königl. Gesellschaft der Wissenschaften ein paar Strümpfe aus dieser Seide verehrt. Letztere wogen nur 21/4 Unzen. Eine im Jahre 1711 zu Leipzig erschienene Schrift: „Curieuse Nachricht von einer neuen Art Seide, welche von den Spinneweben zubereitet wird, und davon der jetzige König Ludovicus XIV. eine Weste trägt“ befürwortete die Nachahmung dieser Industrie in Deutschland. Allein weder hier noch in Frankreich hatte die Sache Bestand, was sehr erklärlich wird, wenn man das Rechenexempel des berühmten Physikers Réaumur hört, nach welchem zu einem Pfund „Spinnenseide“ nicht weniger als 55 296 der größesten Spinneneier nothwendig sein würden.


Kombinirte Damen- und Springer-Aufgabe.

Beispiel mit 4 Damen und 2 Springern.
SCHWARZ

WEISS

Auf Seite 716 des Jahrgangs 1884 brachten wir eine Rössel-Aufgabe als Seitenstück zu dem bekannten Problem der Aufstellung von 8 Damen. Die Aufgabe, welche wir heute unseren Lesern vorlegen, verknüpft in gewisser Beziehung die beiden früheren Ideen: es sollen nämlich a) 4 Damen und 1 Springer, b) 4 Damen und 2 Springer, c) 4 Damen und 3 Springer, d) 4 Damen und 4 Springer, e) 4 Damen und 5 Springer, f) 4 Damen und 6 Springer, oder g) 4 Damen und 7 Springer derartig auf dem Schachbrette aufgestellt werden, daß 1. weder unter einander noch gegenseitig die Damen und Springer sich schlagen können, und daß 2. in keiner Position ein Feld frei bleibt, welches noch mit einem Springer besetzt werden könnte, ohne daß man dabei gegen die Bedingung zu 1) verstößt. (In obigem Beispiele darf z. B. auf c 3 kein weiterer Springer stehen, weil er einerseits sowohl vom S e 4 als auch von der D a 1 geschlagen werden kann, und weil er andererseits zugleich die D b 5 bedrohen würde) –

Auch mit diesem Problem hoffen wir unseren Lesern einen ansprechenden Unterhaltungsstoff für manches Musestündchen geboten zu haben.


Kleiner Briefkasten.

(Anonyme Anfragen werden nicht berücksichtigt.)

M. P. in Altona. Der Lauf des Amazonenstromes wird auf 5000 Kilometer, der des Kongo auf 4500 Kilometer geschätzt – Die größten Wassermassen entsendet zum Meere der Amazonenstrom. – Der Niagarafall besteht aus zwei Armen, von denen der eine 330 Meter breit und 47 Meter hoch, der andere 578 Meter breit und 44 Meter hoch ist. Man nimmt an, daß in diesen Fällen stündlich 100 Millionen Tons Wasser hinabstürzen. Der Rival Niagaras, der berühmte Wasserfall des südafrikanischen Sambesistromes, wird von den Engländern Victoria-Fall genannt, im Munde der Eingeborenen heißt er Mosiwatunja, das heißt „donnernder Rauch“; er ist 900 Meter breit und etwa 100 Meter hoch.

Karl B. in Hamburg. Sie wünschen von uns die Bezeichnung eines Reisewerkes, „das nicht im trockenen Docentenstil geschrieben ist und den Leser nicht nur belehrt, sondern ihn zugleich auch angenehm unterhält.“ Derartige Werke giebt es nicht eben viele. Lesen Sie aber: Carletto, „Von Leipzig nach der Sahara“ (Leipzig, Schmidt und Günther) und wir glauben, Sie werden mit uns Friedrich v. Hellwald zustimmen, der im Vorwort zu diesen reich illustrirten Reiseschilderungen aus Frankreich, Spanien, Algerien und den Ziban-Oasen sagt: „Der liebenswürdige Plauderer hat ein gut Stück Welt gesehen und seinen Blick geschärft für Menschen und Dinge. Er ist ein guter Beobachter, ein lebhafter Schilderer. Und noch eins! Die Wahrheit des Erlebten, des Geschauten leuchtet aus jeder Zeile hervor!“ Der Verfasser, der sich bescheiden unter einem Pseudonym verbirgt, ist übrigens ein bekannter Leipziger Buchhändler.

Dr. P. H. S. in A. Die unter dem Namen „Venus von Milo“ bekannte altgriechische Statue wurde im Jahre 1820 auf der Insel Milo (im Alterthum Melos) gefunden und durch König Ludwig XVIII. von Frankreich dem Louvre überwiesen. Statuen, welche im Motiv gleich oder ähnlich sind, sind mehrfach erhalten, z. B. die durch Gypsabgüsse bekannte sogenannte Venus von Capua im Neapeler Museum. In den römischen Museen giebt es deren eine ganze Menge.

H. W. Die Manuskripte stehen zu Ihrer Verfügung. Wir ersuchen um Angabe der Adresse.



Inhalt: Das Eulenhaus. Hinterlassener Roman von E. Marlitt. Vollendet von W. Heimburg (Fortsetzung). S. 53. – Jaki’s Erziehung und Unterricht. Von Dr. Karl Ruß. Mit Abbildung. S. 59. – Das neue Hofburgtheater in Wien. Von Ferdinand Groß. S. 60. Mit Illustration S. 61. – Die Todteninsel. Von Richart Voß (Schluß) S. 62. – Galanterie auf dem Eise. Illustration S. 65. – Unfall-Meldestellen. S. 66. – Blätter und Blüthen: Eine Jugendliebe Emanuel Geibel’s. S. 67. – Eine klassische Stätte. S. 67. – Eisbrecher auf der Oder. S. 68. Mit Illustration S. 53. – Das entflohene Modell. S. 68. Mit Illustration S. 56 und 57. – Eine seltsame Audienz. S. 68. – Papierne Kleider im Jahre 1718. S. 68. – Kombinirte Damen- und Springer-Aufgabe. S. 68. – Kleiner Briefkasten. S. 68.



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_068.jpg&oldid=- (Version vom 6.12.2022)
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