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Seite:Die Gartenlaube (1888) 077.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

harmonische Wirkung zur Folge. Weiß auch unsere Maske derart zu tanzen? Wir setzen das als selbstverständlich voraus. Dagegen nehmen wir als ebenso sicher an, daß sie nur vom Hörensagen die Bälle kennt, welche dem Stifte des Künstlers Gestalten und Gruppen geliefert: den Wäschermädel-, den Fiaker- und den Lumpenball. Auf letzterem setzt Jeder sein Bestreben darein, so herabgekommen als möglich auszusehen. Wer sich dem Ideal der Zerlumptheit am meisten nähern kann, hat Hoffnung auf einen der ausgesetzten Preise. Die Entscheidung fällt ein Plebiscit: die Anwesenden geben mittels Stimmzettel ihre Meinung ab; es handelt sich also um ein fachmännisches Urtheil. Die grotesken Weiberfiguren, die dabei an Aufzügen teilnehmen, werden von verkleideten Männern dargestellt. Aber es erscheinen auch leibhaftige Frauen; trotzdem ist das Tanzen Nebensache, ein Tohuwabohu durcheinanderdrängender Gruppen belebt den Saal – und das Ganze wäre eigentlich für den Beobachter ein recht trauriges Vergnügen, wenn nicht das Erträgniß einem wohlthätigen Zwecke gelten würde. Aus dem bedeutenden Reingewinn werden im Winter Hunderte armer Kinder in ausgiebigem Maße beschenkt, und so mancher Junge hat es dem tollen Feste zu danken, daß er, vor Hunger und Kälte geschützt, die Schule besuchen kann. So legt sich der Abglanz der Menschenfreundlichkeit wie ein versöhnender Schimmer sogar auf den „Lumpenball.“

Von diesem machen wir einen Sprung zu den Gästen des Wäschermädelballs – unter ihnen fehlen nicht die „Deutschmeister“, auch „Edelknaben“ genannt, Soldaten vom Regimente „Hoch- und Deutschmeister“, urwüchsige Vertreter des unverfälschten, typischen Wienerthums – und so wie die Fiaker bei den Wäschermädeln nicht fehlen, so finden diese sich wieder bei den Fiakern ein. Ich möchte es nicht unternehmen, den Wiener Fiaker, über den schon so viel geschrieben wurde, wieder einmal zu entdecken. Nur nebenbei sei bemerkt, daß der Fiakerball sich noch ziemlich rein erhalten hat. Da sitzen wirklich die berühmten Kutscher und deren mit dicken Uhrketten und massiven Ringen geschmückte Gattinnen und die „Kavaliere“ – „Gaw’liere“ spricht der Fiaker aus – einträchtig beisammen. Die „Kavaliere“, das heißt die ständigen Fahrgäste der Zweispänner, zum Theile wirklich Männer von historischen Namen, behandeln ihre Lieblinge vom Kutschbocke kameradschaftlich; dagegen lassen die Fiaker sich nicht zweimal bitten sich im „Natursingen“ zu produciren, das heißt im Vortrage von Wiener Liedern derbkomischer Art, manchmal mit einem leisen sentimentalen Beigeschmacke.

Der Wäschermädelball wird von spekulativen Gastwirthen vielfach nachgemacht, und da keine gesetzlich geschützte Handelsmarke den echten kennzeichnet, gerathen Neugierige leicht in die Netze eines Unternehmers, der eine Imitation für das Urbild ausgiebt. Der Eingeweihte weiß den falschen vom echten zu unterscheiden. Dort treten so und so viel Mädchen in dem betreffenden Kostüme auf; hier hat man es wirklich mit jenen Wiener Wäschermädchen zu thun, deren Schönheit keine bloße Sage ist, und die namentlich durch die tadellos beschuhten, fein geformten Füßchen das Auge des Kenners entzücken.

Bei den Fiakern wie bei den Wäschermädchen spielen keine Orchester auf, sondern Terzette oder Quartette, welche ein eigenes Repertoire haben: halb von überschäumender Keckheit, halb von sinnlicher Schwärmerei. Einige dieser Terzette und Quartette machen ihre Sache meisterhaft und werden darum oft in Privathäuser bestellt. Für ihre Instrumente haben sie besondere Benennungen. Sie nennen die Violine „Raunzen“, die Guitarre „Klampfen“, das kleine Waldhorn „Posthörndel“ und die Ziehharmonika „Winsel“. Begleitet sie einmal ein Pianist, so figurirt das Klavier als „Wäschpracker“.

Die Musik, welche sie pflegen, trägt eine so ausgesprochene Lokalfarbe wie kaum irgend ein anderes künstlerisches Erzeugniß der Kaiserstadt an der Donau. Sie ist noch weit wienerischer als der Walzer von Strauß, der sich im Laufe von Jahrzehnten allüberall in der civilisirten Welt Bürgerrecht und eine von Beifall umrauschte, von zündender Wirkung getragene Geltung errungen hat. Während der Walzer ein Kosmopolit geworden ist, tönen uns hier Klänge entgegen, welche den unverfälschtesten Wiener Dialekt reden. Strauß spielt Tänze, die besagten Terzette und Quartette spielen Tanz (sprich: „Tahnz“ in der Einzahl wie in der Mehrzahl) – und ich müßte ein dickleibiges gelehrtes Kompendium, etwas streng Wissenschaftliches schreiben, um den Unterschied zwischen „Tänzen“ und „Tanz“ für den Nichtwiener klarzulegen. Zu den „Tänzen“ wird bloß getanzt, zu dem Tanz wird vom Publikum meist auch gesungen und im Takt mit den Händen geklatscht oder, wie es im Jargon heißt: „gepascht“.

Man dreht sich da mit entzückter Raserei bis in den hellen Tag hinein. Niemand kommt, um gesehen zu werden; Jeder und Jede will sich werkthätig unterhalten. Manche nicht eben salonfähige Bewegung mag mit unterlaufen. Beim Walzer schieben die Paare sich mehr, als sie sich drehen – sie tanzen den „Schieberischen“. An Grazie fehlt es aber auch den Tänzerinnen des Fiaker- und des Wäschermädelballes nicht; sie ist nicht sylphidenhaft genug für einen Eliteball, aber „fesch“ geht es da her, unbeschreiblich „fesch“, und nicht etwa, um mich damit zu brüsten, daß ich meine Dichter kenne, sondern weil es zur Sache gehört, citire ich aus einem der neueren Wiener Kouplets die paar Verse, welche – nicht nur für die unteren Schichten – während des Wiener Faschings in der Luft liegen:

     „Ja so a Weana Maderl[1]
     Hat an eig’nes Aderl
Für an Walzer, und den tanzt’s so gern,
Mit an wissen[2], sauber’n jungen Herrn,
Wia’s da g’wachsen san bei uns in Wean;
     Ja so a Weana Maderl
     Mit an sauber’n Kladerl,[3]
So a Bild zum Anschau’n is a Freud,
So was find’t ma’ net mehr weit und breit!“

Wiener Fasching: Maskenredoute in dem Sofiensaale.

  1. Wiener Mädchen,
  2. flotten,
  3. Kleidchen.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_077.jpg&oldid=- (Version vom 15.12.2017)
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