Verschiedene: Die Gartenlaube (1888) | |
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von Nickel- und Silbermünzen den Eltern erpreßt, aber einem dunkeln Gerücht zufolge auch in Eßwaaren entgegen genommen wurden. Ja, man sagt sogar, daß die Amicitia sich einmal gegen eine Düte Pfeffernüsse nicht ganz ablehnend verhalten habe – aber es wird so viel geredet – man muß auch nicht alles glauben!
Käthe galt von der ersten Stunde an als Schutzpatronin und Huldin des Vereins, der meistens in Karl’s Stube tagte. Sie hatte den Mitgliedern Ordensabzeichen gestickt, die quer über die Weste getragen wurden und Uhrketten heuchelten – sie hatte zur Einweihungsfeier fünf Pfannkuchen geschenkt, an denen sogar Eduard participirte, der sonst seines zarten Alters wegen von den Freuden und Ehren des Bundes ausgeschlossen war, und sie nannte die Mitglieder ausnahmslos „Sie“, was für dieselben noch den Reiz der Neuheit hatte.
Was Wunder, wenn sämmtliche Genossen der Amicitia ein mehr oder weniger still glimmendes Flämmchen für das reizende Mädchen in ihren Herzen entzündeten und Karl als glücklicher Besitzer dieser Schwester noch eine weit angesehnere Lebensstellung im Verein einnahm, als ihm ohnedies zu Theil geworden wäre.
Als er nun vollends durch einige geheimnißvolle Andeutungen Käthe als von den Werbungen Herrn Grauberg’s bedroht dargestellt hatte, flammte die Begeisterung der Jungen hell auf, und es wurde eine Extrasitzung anberaumt, in der man gegen „das Scheusal“, wie der beklagenswerthe Freier officiell in der Bundessprache genannt wurde, Maßregeln zu ergreifen beschloß, die vorläufig in sehr unklaren, aber fürchterlichen Racheschwüren gipfelten.
Wissenschaftliche Bestrebungen blieben übrigens auch durchaus nicht ausgeschlossen in der Verbidung. Nachdem die Freuden einer Elektrisirmaschine ausgekostet und sämmtliche Mitglieder des Haushaltes bis zur Köchin herab sich als willige und unwillige Opfer den damit angestellten Experimenten hatten unterwerfen müssen, begann man der Chemie seine Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Furchtbare Elixire wurden gebraut, die dem Erfinder Unsterblichkeit verhießen, wenn er je einen leidenden Nächsten dazu bewegen konnte, sie einzunehmen, was zum Wohl der Menschheit nie gelang. Eine selbst fabricirte Salonrakete, von der Karl die feierliche Versicherung abgab, daß sie gänzlich ungefährlich sei, wurde dann im Wohnzimmer zur Probe losgelassen, wo sie leider so unfreundlich war, doch zu platzen und sich noch dazu als höchst ungeeignete Lokalität dafür den netten Sommermantel der Mutter ersah, in dem sie ein faustgroßes Loch hinterließ. Die schwer gereizte Besitzerin vergaß angesichts dieses Unfalls jede Achtung vor dem heranwachsenden Geschlecht und verhieß sämmtlichen Angehörigen des Vereins ein paar Ohrfeigen, wenn sie je wieder eine Rakete ins Haus brächten.
Einen Zündstoff anderer Art aus der Nähe zu entfernen, hatte die vorsorgliche Mutter aber leider verabsäumt, und so konnte es geschehen, daß Eduard als kindlicher postillon d’amour mit einem unsäglich mühsam zusammengequälten Akrostichon auf Käthe betraut wurde und dasselbe auch richtig an seine Adresse brachte. Von dem Verfasser, dessen Namen wir aus Zartgefühl verschweigen wollen, auf wörtliche Wiedergabe des Urtheils der Angesungenen vereidet, mußte der Kleine die etwas rauhen Worte wählen: „Sie hat gesagt, ‚er ist wohl verrückt?‘“ was aber den anspruchslosen Dichter immer noch zu der gewiß bescheidenen Aeußerung veranlaßte: „Es ist doch etwas!“
Käthe hielt sich übrigens von da an eine Zeit lang fern von der Amicitia, bis der dichtende Sünder ihr feierlich gelobt, so etwas nie wieder zu thun, worauf sie ihm „noch einmal“ verzieh und sogar beim Lesen mit vertheilten Rollen diejenige der Thekla im „Wallenstein“ übernahm, zu deren Darstellung ihre Mitwirkung als unerläßlich gefordert wurde. Daß der zu ihr gehörende Max gerade in dem mehr für niedere Komik geeigneten Stadium sich befand, wo die Stimme zwischen piepsender Kindlichkeit und brummendem Baß ohne mildernden Uebergang hin und her schwankt, nahm den Liebesscenen viel von ihrem gefährlichen Zauber, da die allgemeine Heiterkeit immer wieder die Oberhand gewann, was den armen Max recht kränkte.
Daß die Poesie überhaupt in einem so absolut jugendlichen Kreise ihr Recht forderte, bedarf wohl kaum der Erwähnung. Der Verein bestand denn auch noch nicht acht Tage, als sich das unabweisbare Bedürfniß geltend machte, ein litterarisches Organ für die Amicitia zu gründen.
Roth galt in der Klasse für riesig „genial“ und hatte sogar einmal eine Ballade verfaßt, welche die ergreifenden Worte enthielt:
„Und als die rothe Sonne sah
Wohl durch der Wolken Herzen,
Da lag der Ritter Bodo da
Und fühlte keine Schmerzen.“
In dieser fraglos beneidenswerthen Situation war der Ritter Bodo denn bis heute verblieben, ohne daß die Ballade einen Schluß bekommen hätte. Eben so bruchstückweise endete ein kritisirender Aufsatz über „Faust“. Derselbe enthielt in einem ungeheuer dicken, eigens zu dem Zwecke angefertigten Heft nur die bedeutungsschweren Worte: „Faust ist eine Tragödie in – Akten.“ Weiter ging es nicht, da Roth in der seligen Trägheit der großen Ferien es zu mühsam gefunden hatte, sich von der Aktzahl des zu besprechenden Dramas zu überzeugen, worauf denn das große Unternehmen an diesem kleinen Uebelstande Schiffbruch litt.
Aber der Verein Amicitia sollte dem Dichterberuf Roth’s zur Blüthe verhelfen, und die jungen Herren gründeten ein Blatt „Das Epheukränzchen“, welches unsere schwächlich gewordene Gegenwartslitteratur auf die Füße zu stellen bestimmt war. Die erste Nummer des „Epheukränzchens“ war bereits im Manuskript fertig gestellt und enthielt außer einem Aufsatz über die wunderbare geistige Befähigung eines Karl gehörigen Dompfaffen, der „klüger als ein Mensch“ war, ein Gedicht an das „Scheusal“ mit dem reizvollen Anfang: „Weh Dir, weh Dir, dreimal wehe!“ – Karl begab sich mit dieser Nummer zum Vater, um diesen als ersten und, wie zu hoffen stand, folgenschweren Abonnenten zu gewinnen, legte ihm das Probeheft vor und bat um seine freundliche Kundschaft.
Der Vater las prüfend und sagte dann etwas absprechend: „Das scheint mir allerdings der größte Blödsinn zu sein!“ fragte aber dann doch nach dem Preise der Vierteljahrsschrift.
„Monatlich zehn Pfennig,“ erwiederte Karl hoffnungsvoll glühend und streckte die Hand aus.
„Monatlich?“ wiederholte der Vater gedehnt, „nein, lieber Junge, das ist mir zu theuer!“
Und als Karl noch in seines Nichts durchbohrendem Gefühle stehen blieb, fügte der Doktor mit nicht mißzuverstehender Geradheit hinzu:
„Mir scheint überhaupt, als wenn Euer Verein in erster Linie dazu verpflichtete, daß die Schularbeiten niemals zu rechter Zeit fertig werden; ich will auf das ‚Epheukränzchen‘ abonniren, wenn Du Primus bist“ – ein Ausspruch, der den Eintritt des Vaters in den Leserkreis allerdings ungefähr in das Bereich des Fabelhaften verwies.
Ich muß es leider gestehen, daß Karl durch die Weigerung seines ersten Abonnenten derartig gekränkt wurde, daß er in Thränen ausbrach, was ihm, wie er der tröstenden Mutter zuschwor, seit Quinta nicht mehr passirt wäre.
Die Mutter und Käthe abonnirten – Käthe sogar auf zwei Exemplare, da sie von dem Haß der Amicitia gegen Herrn Grauberg gehört und sich ihr dadurch moralisch verpflichtet fühlte.
Herr Grauberg handelte allerdings sehr unklug – er hätte den Verein längst auf seine Seite bringen oder doch wenigstens zu passivem Verhalten veranlassen können! Aber er reizte die Tertianer durch eine Geringachtung, welche schlimme Folgen haben mußte. Erstens erwiederte er den Gruß der Mitglieder nur durch einen nachlässigen Griff an den Hut, ohne ihn vom Kopf zu ziehen – eine „Pöbelhaftigkeit“, die man ihm nicht durchgehen lassen konnte.
„Dem Kerl muß eben einfach Auffassung beigebracht werden,“ bemerkte German, der in der Verbindung die Rolle des Weltmannes vertrat und Karl mit einer Disciplinarstrafe hatte belegen wollen, weil dieser auf mütterlichen Wunsch neulich ein Brot hatte holen und höchst eigenhändig nach Hause tragen müssen, was German zu dem bedauerlichen Vorgehen des „Schneidens“ gegen ihn, ein sonst hochgeachtetes Vereinsmitglied, gezwungen hatte. –
Auf ausgegebene Parole wurde also Herr Grauberg von der Amicitia nicht gegrüßt, was er mit bewundernswürdiger
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_079.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)