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Seite:Die Gartenlaube (1888) 082.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

des letzten Herzogs von Condé. Dieser war im Jahre 1830 im Schloß St. Leu unter räthselhaften Umständen erhängt aufgefunden worden; sein Testament setzte nicht die nächsten Verwandten, die Rohans, sondern sein Pathenkind, den Herzog von Aumale, zum Erben ein. Der von den Rohans angestrengte Proceß ging verloren; doch die Feinde der Orleans verharrten bei der Behauptung, daß Ludwig Philipp und sein Rathgeber Talleyrand die 30 Millionen „erschlichen“ hätten.

Heute ist Aumale der „Gelehrte“ in der Familie; der palmengestickte Frack des Akademikers schmückt ihn. In jüngeren Jahren, als sein Vater noch lebte, hatte er sich als Generalgouverneur von Algier in den Kämpfen mit den Beduinen als tapferer Soldat bewährt. Bei seinem Ruhm, bei seinem Reichthum würde er unter allen Brüdern wohl die besten Aussichten gehabt haben, die Krone des Vaters zurückzuerlangen; allein da die beiden Söhne, die ihm seine Gattin, eine Tochter des neapolitanischen Königshauses, geboren hatte, in jugendlichem Alter starben, zog sich der Herzog vom politischen Schauplatz zurück und lebt nur noch seinen Studien.

Der jüngste Sohn Ludwig Philipp’s, der Herzog von Montpensier, wurde der Gatte Luisa Fernanda’s, der Schwester der Königin Isabella von Spanien. Die Heirath sollte den Anfall Spaniens an das Haus Orleans vorbereiten. Aber obschon der Herzog seinem Ziele mehr als einmal nahe schien, erreicht hat er es heute noch nicht.

Wie bei der Brautwahl für die Söhne, so läßt sich auch bei der Verheirathung der Töchter die Familienpolitik Ludwig Philipp’s erkennen. Luise wurde die Gattin des ersten Königs der Belgier, Leopold von Koburg, dessen Enkelin Stephanie seit 1881 dem Kronprinzen von Oesterreich vermählt ist; Marie heirathete einen Herzog von Württemberg, Clementine einen Herzog von Koburg. Der Sohn der letzteren ist der jetzt vielbesprochene Fürst von Bulgarien.

Dies ist die Familie, dies sind ihre Verbindungen. Das Stammgut, die Schätze der Herzoge von Penthièvre, wurden um so und so viele fürstliche Vermögen vermehrt. Man kann ohne Uebertreibung sagen, daß diesem Hause zur Erfüllung ehrgeiziger Wünsche unermeßliche Hilfsmittel zu Gebote stehen. Zu welchen Wünschen halten sie sich nun kraft ihrer Ueberlieferungen für berechtigt?

Ueber die Familie Orleans sind namentlich in Frankreich sehr viele Bücher geschrieben worden. Es läßt sich aber davon sagen: so viel Bücher, so viel Meinungen.

Während Tournois sogar einen Philipp Egalité als „großmüthigen und edeldenkenden Märtyrer der Freiheit“ feiert, stellt Montjoie denselben Mann, die „interessanteste Persönlichkeit der Familie“, als entmenschten Caliban der Revolution an den Pranger; während Laurentie’s Geschichte des Hauses wie eine furchtbare Anklageakte gegen den Orleanismus sich liest, Dumas Vater über den pfahlbürgerlichen, geizigen Ludwig Philipp mit dem Birnenkopf sich weidlich lustig macht, und vollends in Cretineau’s Geschichte des Julikönigthums die Vorfahren des Bürgerkönigs sammt und sonders als feige Giftmischer und ehrsüchtige Hochverräther erscheinen, kurzum, so ziemlich alle Napoleonisten, Republikaner und Legitimisten unter den Historikern in wildester Leidenschaftlichkeit gegen „die Pest der französischen Nation“ sich überbieten, schreiben getreue Diener des Hauses wie Montalivet im Lobe der ganzen Sippe wie der einzelnen Glieder ihre Feder stumpf. Mit der Lebhaftigkeit der Franzosen und ihrem blind ergebenen Eifer für die Partei scheint der ruhige, streng sachliche Vortrag des Geschichtsforschers unverträglich zu sein. Suchen wir den ebenso Vergötterten, wie Verlästerten gerecht zu werden!

Seit dem Ausgang des 14. Jahrhunderts pflegten die Könige von Frankreich ihren Söhnen den Titel eines Herzogs von Orleans beizulegen – ein Brauch, der mit Erinnerungen aus der Merovingerzeit in Zusammenhang gebracht wird. Wiederholt erregten Herzoge von Orleans, von ehrgeizigen Absichten geleitet, Thronstreitigkeiten und Bürgerkrieg. „Die Herzoge von Orleans,“ erklärt Cretineau, „mochten sie den Häusern Valois, Angoulème oder Bourbon angehören, waren zu allen Zeiten verdächtige Unterthanen, durch den Orleanismus ist die Revolution gezeugt, durch den Orleanismus ist sie bis heute am Leben erhalten worden.“

Der Stammvater der noch gegenwärtig so weitverzweigten Familie ist Philipp von Orleans, der zweite Sohn Ludwig’s XIII., der Bruder Ludwig’s XIV. Es wird behauptet, derselbe habe auf Mazarin’s Anordnung eine ähnliche Erziehung wie Achilles am Hof von Skyros erhalten, damit der Prinz, unwissend und verweichlicht, dem königlichen Bruder nicht gefährlich werde, und auch der König selbst soll die Talente des Jüngeren mit Absicht und Methode niedergehalten haben – „le secret du Roy“ nennt es der Abbé Choisy. „Frankreich hat schon zu viel durch den Ehrgeiz nachgeborener Prinzen gelitten; sie sollen gehorchen lernen; diese Kenntniß allein ist ihnen notwendig.“ Wenn solche Hoffnungen wirklich gehegt wurden – der erwachsene Philipp entsprach ihnen. Nicht Kriegsdienst, nicht Staatskunst zogen ihn an; und er fühlte sich eine Stütze der „Gesellschaft“; die Triumphe im Empfangssaal und Damenzimmer waren sein Ehrgeiz. Auf Befehl des Königs bestieg er auch einmal das Schlachtroß; man ließ ihn ein paar Städte einnehmen und eine Schlacht gewinnen; dann mußte er alsbald wieder an den Hof zurück und mit Anmuth und Würde nichtsthun.

Als er sich 1661 mit Henriette, der Tochter des unglücklichen Karl Stuart, vermählte, wurde ihm das Palais Royal, das einst Kardinal Richelieu für sich erbaut und in seinem Testament der Krone Frankreichs vermacht hatte, als Wohnsitz angewiesen. Schon wenige Jahre später wurde dort die Leiche der jungen Herzogin aufgebahrt. Daß sich trotzdem „Monsieur“ – diesen Titel führte offiziell der Bruder des Königs – in seinen „kleinen Vergnügungen“ nicht stören ließ, mag den Argwohn hervorgerufen haben, Henriette von Orleans sei nicht eines natürlichen Todes gestorben. Eine förmliche Untersuchung wurde eingeleitet, ergab jedoch keinen Beweis einer Schuld des Gatten. Schon wenige Monate später führte der König seinem Bruder eine zweite Gattin, eine deutsche Prinzessin, die bekannte Pfälzerin Liselotte, zu. Ein Lobredner des Hauses Orleans, Tournois, will alle geistigen Vorzüge der Fürsten dieser Familie auf jene deutsche Stammesmutter zurückführen; von ihr, die inmitten des hohlen Hoflebens in Versailles ihrer biderben Denk- und Redeweise treu blieb, stamme „die Art, freimüthig und selbständig zu denken, zu reden und zu handeln, welche den Prinzen von Orleans von jeher eigen war“.

Heute würde wohl die Abstammung von jener Frau nicht so geflissentlich hervorgehoben werden – war sie doch vor allem eine echte Deutsche! Jedenfalls gebührt ihr das Verdienst, zum Reichthum der Orleans den Grund gelegt zu haben; durch Sparsamkeit und Ordnung wurde es ihr möglich, den Familienbesitz durch stattliche Güter zu vermehren. Der Gatte hatte aber für die trefflichen Eigenschaften Liselottens kein Verständniß; er sah nur ihre Häßlichkeit; als sie, väterlicher Mahnung gehorsam, darnach trachtete, ein herzlicheres Verhältniß anzubahnen, gab er zu verstehen, sie möge ihn „um Gottes willen weniger lieb haben, weil ihm das gar zu ungelegen wäre“. Er verbrachte seine Tage in Ueppigkeit und Schwelgerei; doch wurde er, wie erwähnt, ebenso durch des Bruders allmächtigen Willen wie durch eigene Neigung in glänzendem Müßiggang festgehalten; denn weder ein Kommando, noch eine Anstellung an Staatsdienst wurde ihm übertragen. Als sich einmal der Bischof von Valence beim König dafür verwendete, dem Herzog, der sich doch in jungen Jahren bei Zütphen und Saint Omer ausgezeichnet habe, möge doch eine Armee anvertraut werden, schritt Ludwig zum Erstaunen und Entsetzen der Höflinge an die Thür, schlug allen Gesetzen der Etikette zuwider selbst die Flügel aus einander und deutete durch eine nicht mißzuverstehende Handbewegung dem Prälaten an, daß lästige Bittsteller besser draußen blieben.

Philipp starb in St. Cloud am 9. Juni 1701. „Im Grund des Herzens war er gut,“ urtheilt über ihn die Frau, die er auf so demüthigende Weise vernachlässigt hatte, „und wenn er weniger auf schlechte Gesellen gehört hätte, wäre er der beste Mensch von der Welt gewesen!“

(Fortsetzung folgt.)
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_082.jpg&oldid=- (Version vom 17.3.2018)
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