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Seite:Die Gartenlaube (1888) 086.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

bei dem letzten Altensteiner Herrn gewesen war, zum Kastellan auf dem Geroldshofe ernannte. Seine Hoheit meinte mit Recht, daß solch ein treuer Diener der beste Hüter seines neuen Besitzes sei.

So war dem Geroldshofe seine Physiognomie nahezu verblieben; denn auch im Innern war so manches werthvolle Einrichtungsstück, welches der Herzog durch dritte Hand hatte ankaufen lassen, wieder an seinen alten Platz gekommen, so die alte prachtvolle Meißner Porcellangarnitur mit ihren Girandolen, ihrem vielbewunderten Kronleuchter in einem der schönen Salons, so die Rokokomöbel, welche die Initialen und das Wappen der Altensteiner, in Perlmutter und Silber reich ausgeführt, auf ihren Platten und Flächen trugen. Freilich, alles Andere war neu angeschafft worden, und die stillen Schläfer unter der Hauskapelle hätten sich bei einer etwaigen Geisterrunde in ihrer ehemaligen Behausung schwerlich wieder zurechtgefunden: einen solch raffinirten Luxus entfalteten fürstlicher Reichthum und künstlerisch geläuterter Geschmack in allen Räumen.

Tag und Nacht war fieberhaft auf dem Geroldshofe gearbeitet worden, und die Bahnzüge hatten pünktlich gebracht, was Paris und Wien an Möbeln und Ausschmückungsgegenständen einlieferten. So war es möglich geworden, daß der Hof zu Ende Juli in das Paulinenthal übersiedeln konnte.

Im Eulennest ging inzwischen auch so manche Wandlung vor sich. Heinemann hatte ausgezeichnete Geschäfte gemacht, wie er, vergnüglich die Hände reibend, sagte. Eines Tages hielt ein Wagen vor der Gartenthür, und das, was Bienen- und Nonnenfleiß zusammengetragen, stieg aus der Jahrhunderte währenden Nacht der Erdentiefe an Gottes freies Sonnenlicht und ging hinaus in die Welt, um nunmehr der Menschheit dienstbar zu werden; und als darnach Heinemann eine hübsche Anzahl großer Banknoten auf den Tisch vor seiner jungen Herrin niederlegte, da meinte er mit seinem schelmischen Augenblinzeln, das dem breiten treuherzigen Gesicht so gut stand, nun dürfe man auch die Butter auf die Bemmchen zum Thee ein bißchen dicker streichen und ein größeres Stück Fleisch in den Kochtopf thun, von den neuen Vorhängen gar nicht zu reden, die doch nun angeschafft werden müßten, weil ja jetzt so viele Augen von der Chaussee her nach der guten Eckstube guckten.

Ja, da drüben war es allerdings ein wenig lebendiger geworden, und Fräulein Lindenmeyer hatte die hinaufgeschobene Brille jetzt mehr auf der Stirn als über dem scharfen Nasenrücken. Sie lasse jetzt öfter die Maschen fallen und könne gar nicht mehr in einem Zuge lesen, so viel passire auf der Chaussee, klagte sie; aber dabei lachte sie über das ganze Gesicht; denn die Waldeinsamkeit war ja schön, himmlisch schön, die Dichter würden sie doch nicht ohne Grund so einzig besingen; aber freilich manchmal, wenn den lieben langen Tag nicht einmal eine Holzfuhre, geschweige denn ein lebendiger fröhlicher Handwerksbursch oder auch nur eine Butterfrau aus dem Dorfe vorüberkam, da war es doch auch „ein ganz klein bißchen langweilig“.

Die drei kleinen Prinzen waren mit Gefolge und Dienerschaft zuerst nach dem Geroldshofe übergesiedelt, und der Weg an dem Eulenhaus hin mußte ihnen wohl ganz besonders gefallen; denn täglich kamen sie vorüber. Das war nun freilich eine unbezahlbare Augenweide für das strickende alte Mamsellchen am Eckfenster, dies junge fürstliche Blut, auf schmucken Ponies dahertrabend; und fast eben so schön war es, wenn die prachtvolle Equipage aus Neuhaus in Sicht kam; die konnte man sich doch in aller Ruhe und Bequemlichkeit ansehen, denn sie fuhr langsam, ganz langsam. Im Fond saß die schöne Frau von Berg und hatte das arme, kleine Gespenstchen, das hinterlassene Töchterchen der Prinzessin Katharina, auf dem Schoße, und Baron Lothar fuhr sein krankes Kind selber.

Heinemann dagegen war stets eifrig mit seinen Rosenbäumen beschäftigt, wenn der Wagen sichtbar wurde; dann hörte und sah er nicht und wendete der Chaussee beharrlich den Rücken; denn das korpulente Frauenzimmer, das sich da auf die Seidenkissen „hinprätzelte“, als sei sie die Prinzessin selber, war ihm ein Gräuel. Hatte er doch mit eigenen Augen gesehen, daß sie, als seine junge Herrin im weißen „Sonntagskleide“, schön wie ein Engel, am Geländer droben gestanden, den Kopf so schnell weggedreht hatte, als sei ihr eine giftige Kröte in das dicke Milchgesicht gesprungen. Und hatte sie nicht gleich beim ersten Vorüberkommen das liebe, alte Haus da im Garten mit dem Augenglas höhnisch beguckt und ihn, den alten Heinemann, von oben bis unten hochmüthig gemessen, als solle und müsse er gleich auf der Stelle seinen allerunterthänigsten Kratzfuß vor ihr machen? Ja, da konnte sie warten!

Etwas ganz Anderes war’s freilich, wenn der Neuhäuser auf seinem schönen Fuchs dahergeritten kam. Da wurde die schönste Rose am Stock erbarmungslos abgeschnitten und dem Reiter, der sie stets in sein Knopfloch steckte, über den Zaun hingereicht. Und Heinemann bekannte ehrlich, er begriffe seinen eigenen, alten Dickkopf nicht mehr; aber mit dem besten Willen könne er gar nicht mehr so erbost auf den Neuhäuser sein; er gucke ihm eigentlich für sein Leben gern in die feurigen, herrischen Soldatenaugen, wenn er so vom Pferd herunter über den Zaun weg mit ihm spreche.

Beate war auch schon einige Mal im Eulenhaus gewesen. Sie kam stets zu Fuße und blieb auf ein Kaffeestündchen; und so verschlossen sie auch sonst war in Bezug auf das, was ihre Seele bewegte, das gestand sie doch wiederholt ein, daß sie sich die ganze Woche auf diese Besuche freue. Dann saßen die beiden Pensionsschwestern bei einer Tasse Kaffee auf der „Zinne“ und die kleine Elisabeth spielte und sprang um sie her. Und wenn auch Herr von Gerold sich nie entschließen konnte, hinabzugehen und den Besuch zu begrüßen – er schüttelte sich stets, wenn er an die Begegnung im Treppenhause des Geroldshofes dachte – so sah er doch von dem Fenster seiner Glockenstube aus, wie behaglich sich sein Kind auf Tante Beatens Schoß schmiegte, wie es zärtlich die großen, braunen Hände streichelte und sich von ihnen ein Butterbrot streichen ließ. – Baron Lothar fuhr dann pünktlich gegen Abend vor, um die Schwester abzuholen. Heinemann mußte bei den Pferden bleiben, während der Neuhäuser die Damen auf der „Zinne“ begrüßte und auch wohl in die Glockenstube hinaufstieg, um dem Einsiedler einen guten Abend zu bieten. –

Nun waren die höchsten Herrschaften im Geroldshofe eingezogen, und die farbenleuchtende Flagge wehte hoch über dem First des Hauses. Die Dorfleute hatten am Wege gestanden und sich schier zu Tode gewundert über die Pracht und Herrlichkeit der vorbeisausenden herzoglichen Equipagen und „das Menschenvolk“, das in minder schönen Wagen nachkam. Da blieb doch gewiß kein Kämmerchen leer im Geroldshofe! Aber das Altensteiner Gutshaus war ein gewaltiger Bau; hatten doch alle Generationen an dem alten Stammsitz je nach Bedürfniß weiter gebaut und verschönert. Seinen Dimensionen und architektonischen Schönheiten nach konnte man ihm ohne Bedenken die Bezeichnung „Schloß“ geben.

Die Nachmittagssonne lief schräg über seine imposante, von zwei achteckigen Thürmen flankirte Stirnseite und ließ das geschmückte Simswerk in all seinen kraftvollen und doch so fein gezogenen Linien scharf hervortreten; und durch die hohen, weitoffenen Fenster schlug die Luft, Nadelholzdüfte und kräftige Waldfeuchte im Athem, in das Haus herein – eine köstliche Luft! „Mein Gesundbrunnen!“ sagte die junge Herzogin Elise inbrünstig mit ihrer leisen, belegten Stimme.

Es war am zweiten Tag nach ihrer Ankunft. Gestern hatte sie nach der anstrengenden Fahrt, auf Wunsch des Arztes, das Ruhebett nicht verlassen. Heute aber durchschritt sie, „bereits wunderbar gestärkt“, am Arm ihres Gemahls die Zimmerreihe der oberen Etage. Und da mußte man nun wirklich mit Schaudern an die heißflimmernde Ebene draußen zurückdenken, hier, wo die Sonnengluth nicht wehe that, wo ihr Strahl so smaragdfarben und gesänftigt durch grüne Laubmassen sank.

„Hier werde ich wieder Dein flinkes Reh, Deine muntere Liesel, gelt, Adalbert?“ sagte abermals die junge fürstliche Frau und suchte mit zärtlichem Aufblick die Augen des schönen Mannes. Gewaltsam reckte und streckte sie die überschlanke Gestalt und mühte sich, strammen Schrittes neben ihm herzugehen … Ja, so schattenhaft schmächtig und fahl sie auch da im weißen Hauskleide an dem deckenhohen Wandspiegel hinglitt, sie wurde hier schnell gesund; das Kraftgefühl kehrte zurück, das spitze kleine Gesicht rundete sich und die Gestalt nahm jene zartschwellende Fülle und elastische Grazie wieder an, die man einst nymphenhaft genannt hatte! Nur zwei Monate hier in diesem kraftstrotzenden Waldodem, und alles war wieder gut!

Sie bewohnte die Zimmer des östlichen Flügels, an welche der nach dem Hofe gelegene Speisesaal stieß, und nur ein gemeinschaftlicher Empfangssalon trennte diese Gemächer von den westlich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_086.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)
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