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Seite:Die Gartenlaube (1888) 087.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

liegenden ihres Gemahls. Das letzte Zimmer der langen Flucht war sein Wohnzimmer, dessen eine Ecke in den Thurmerker auslief. Es hatte köstliche Wandgemälde, spanische Landschaften, die gleichsam Goldschein und Gluth der südlichen Sonne ausstrahlten. Ein violetter, zu beiden Seiten in schweren Falten geraffter Plüschvorhang schloß den Thurmerker ab.

Inmitten des Zimmers stand eine Treppenleiter. Der alte Friedrich, oder vielmehr der Kastellan Kern, wie er jetzt genannt wurde, hatte eine eben angekommene Ampel an die Decke gehangen und kletterte nun beim Eintreten der Herrschaften eiligst die Stufen herab.

Die Herzogin blieb unwillkürlich unter der Thür stehen.

„Ach, hier hat die arme schöne Spanierin gewohnt,“ rief sie mit leise vibrirender Stimme. „Und da ist sie wohl auch gestorben?“ Sie heftete ihre großen, fieberisch glänzenden Augen ängstlich fragend auf das Gesicht des alten Mannes, der sich tief verbeugte.

Er schüttelte den Kopf. „Nein, Hoheit, hier nicht. Der gnädige Herr hatte ihr freilich das Zimmer malen lassen und es hat ein schweres Stück Geld gekostet; aber keine zwei Stunden hat sie es hier ausgehalten. Der Oekonomiehof ist zu nahe. Sie konnte keine Kuh brummen hören, und wenn ein Leiterwagen über das Pflaster rasselte und die Drescher in den Scheunen hantirten, da hielt sie sich die Ohren zu und lief durch alle Zimmer und Gänge, bis sie ein stilles Eckchen fand, wo sie sich hineindrücken konnte wie ein junges, verscheuchtes Kätzchen. Ja, zur Gutsfrau paßte sie freilich nicht! Sie war immer still und traurig und wollte nicht essen; nur manchmal brach sie sich ein Bröckchen von einer Chokoladentafel – davon lebte sie. Sie hat zuletzt im Gartenhause gewohnt, und wenn schön Wetter war, da wurde sie in seidenen Decken hinausgetragen und auf den Moosboden gelegt, da, wo die Waldbäume an den Garten stoßen. Ja, da war sie noch am liebsten in dem blassen Lande, wie sie unser gutes Thüringen nannte, und da ist sie auch an einem schönen Herbsttage eingeschlafen, ausgelöscht! – Das Heimweh soll schuld gewesen sein.“

Die Herzogin trat tiefer in das Zimmer, und ihre Augen glitten über die Wandgemälde.

„Das Heimweh!“ wiederholte sie mit leisem Kopfschütteln. „Sie hätte nicht mit dem deutschen Manne gehen sollen, denn sie hat ihn nicht geliebt. Ich würde in der fernsten Eiswüste nicht an Heimweh sterben, wenn ich bei Dir wäre!“ flüsterte sie innig und sah dem hohen Manne an ihrer Seite abermals unter das gesenkte Gesicht, während sie mit ihm in den Thurmerker trat.

Er lächelte freundlich auf sie nieder; sie sank auf einen der kleinen, lehnenlosen, mit violettem Sammet bezogenen Sessel und sah entzückt über das sich draußen hinbreitende Landschaftsbild.

„Ein köstlicher Blick!“ sagte sie und faltete die kleinen, wachsbleichen Hände im Schoße. „Die Gerolds haben sich besser auf die Wahl ihres Stammsitzes verstanden, als unser Haus, Adalbert,“ sagte sie nach einem augenblicklichen Schweigen. „In all unseren Schlössern und Landhäusern haben wir nicht einen einzigen Ausblick, wie diesen hier. Wer hat diesen Flügel bewohnt?“ fragte sie den Kastellan, der eben geräuschlos die Treppenleiter zusammenschob, um sie hinaus zu tragen.

„So lange ich hier im Geroldshofe gewesen bin, immer nur die Damen, Hoheit,“ rapportirte, indem er die Leiter wieder behutsam hinstellte, der alte Mann. „Zuerst die selige Frau Landkammerräthin, bis sie ins Eulennest gezogen ist, und nachher die Frau Oberstin. Und zwei Zimmer weiter,“ er zeigte nach der Thür, die in den Seitenflügel führte, „da hat auch unser gnädiges Fräulein ihr Stübchen gehabt.“

„Ach, die schöne Claudine?“ rief die Herzogin in halb fragendem Ton.

„Zu dienen, Hoheit, Fräulein Claudine von Gerold. In der Stube ist sie auch geboren. Ich weiß noch, wie es uns im weißen Wickelkissen gezeigt wurde, das Engelchen.“

„Mamas Liebling; hörst Du, Adalbert?“ sagte die Herzogin lächelnd nach ihrem Gemahl hin, der an eines der Fenster getreten war und wie in Gedanken verloren in die Ferne blickte.

„Der Schwan, wie ihr poetischer Bruder sie in seinen Gedichten nennt, das merkwürdige Mädchen, das vom Hofe weg in die Armuth gegangen ist, um ihrem Bruder eine Stütze zu sein. – Eulennest heißt ja wohl der Waldwinkel, in welchem Fräulein von Gerold jetzt lebt?“ fragte sie den Kastellan.

Der verbeugte sich: „Eigentlich Walpurgiszella, Hoheit. Aber ‚mein Eulenhaus‘ hat die Frau Landkammerräthin gesagt, als sie zum ersten Male beim Mondenschein durch die Ruinen gegangen ist, und es hat von allen Seiten geschnurrt und geschnauft und geschrieen, als ob alle Winkel voll kleiner Kinder stäken. Und beim Eulenhaus ist’s dann auch geblieben, wenn sich auch das Raubzeug nicht mehr so breit machen darf; im Thurm, der von unten bis oben vollgesteckt hat, ist’s jetzt ganz gemüthlich. Ach ja, der Thurm“ – er strich sich unwillkürlich über sein tadellos rasirtes Kinn – „von dem alten Gemäuer spricht seit ein paar Tagen die ganze Umgegend. Es ist ein Gemurmel und Geraune von einem großen Fund, den sie im Keller drunten gemacht haben sollen –“

„Ein Geldfund?“ fragte der Herzog kurz und gespannt, indem er mit fester Hand den violetten Plüschvorhang zurückschob, um dem Kastellan in das Gesicht zu sehen.

Der alte Mann zuckte die Achseln. „Ob baare Münze? Ich glaub’s kaum. Sie sprechen nur von einem unmenschlich großen Schatze, von Gold und Silber und Edelgestein die Hülle und Fülle. Aber“ – ein verstohlenes Lächeln huschte über sein Gesicht – „ich kenne meine Pappenheimer; ich kenne auch meinen guten Freund, den alten Heinemann, den Erzschalk: der packt Denen, die ihn fragen, so viel auf, daß sie es nicht erschleppen können, und so ist vielleicht der ganze, große Fund ein einziger Abendmahlskelch gewesen.“

Die großen glänzenden Augen der Herzogin blickten staunend zu dem Alten hinüber, wie die eines Kindes, dem man Märchen erzählt.

„Einen Schatz?“ fragte sie. Dann brach sie ab, und ihr Lächeln wich einem stolzen kühlen Ausdruck; unter dem Sammetvorhang der gegenüberliegenden Thür war ein Herr erschienen, der näher tretend sich ehrfurchtsvoll verbeugte. Die junge Frau neigte kaum merklich das Haupt und wandte sich zum Fenster; um ihren feinen Mund zuckte es nervös. Des Herzogs Stimme aber klang wohlwollend durch den Raum.

„Nun, Palmer? Was haben Sie wieder Unvortheilhaftes zu melden? Ist etwa der Schwamm in dem alten Gebälk, oder spukt es in Ihren Zimmern?“

„Hoheit belieben zu scherzen,“ erwiederte der Angeredete; „die Warnungen, die ich dem Kaufabschluß über Altenstein vorangehen ließ, gebot mir meine Pflicht als treuer Diener, und ich weiß, Hoheit haben mich nicht mißverstanden. Eben habe ich jedoch nur Angenehmes melden wollen: Baron Lothar Gerold bittet um die Ehre, seinen hohen Gutsnachbar begrüßen zu dürfen.“

Die Herzogin wandte sich lebhaft um. „O, herzlich willkommen!“ rief sie, und als nach ein paar Augenblicken Lothar in das Zimmer trat, streckte sie ihm die schmale Hand entgegen: „Mein lieber Baron, welch große Freude!“

Der Baron hatte diese Hand ergriffen und sie ehrfurchtsvoll an seine Lippen gedrückt. Dann, sich vor dem Herzog verbeugend, sprach er mit seiner tiefen wohlklingenden Stimme: „Hoheit gestatten, mich von meinen Reisen zurückzumelden; ich denke mich jetzt wieder hier zu acclimatisiren.“

„Es war die höchste Zeit, Vetter, Sie haben uns lange warten lassen,“ erwiederte der Herzog und reichte dem stattlichen Manne die Rechte.

Der Baron lächelte fein; der Herzog schien außerordentlich guter Stimmung.

„Aber daß Sie allein kommen mußten, lieber Gerold!“ rief die Herzogin, und abermals streckte sie ihm die Hand herüber und in ihren schönen heißen Augen funkelten plötzlich Thränen. „Arme Katharine!“

„Ich habe mein Kind mit heimbringen dürfen, königliche Hoheit,“ entgegnete er ernst.

„Ich weiß, Gerold, ich weiß! Aber ein Kind – es ist ein Kind und ersetzt nur zum Theil die Lebensgefährtin!“

Sie hatte es fast leidenschaftlich gesprochen, und ihre Augen suchten den Herzog, der an einem kostbar eingelegten Schränkchen lehnte und, als habe er nichts gehört, durch die Fenster hinausschaute auf die Lindenzweige, die sich im vollsten Nachmittagssonnenschein wiegten.

Eine Pause entstand; langsam senkte das junge Weib die Wimpern, und über ihre Wangen rollten ein paar Thränen, die sie hastig abtrocknete. „Es muß so schwer sein, im vollsten Glück zu sterben,“ sagte sie noch einmal.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_087.jpg&oldid=- (Version vom 20.1.2018)
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