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Seite:Die Gartenlaube (1888) 095.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

hatte, als Herrn Grauberg einzusperren, mit Leichtigkeit durchzuführen.

Zur ungestörten Ausführung dieses Planes bedurfte es zunächst der elterlichen Erlaubniß für die Jungen, allein zum Fest zu gehen. Die Bitte darum konnte nicht weiter auffallen, da man bereits wußte und weiß, daß eine Zeit im Leben der Schulknaben eintritt, in welcher der Besitz naher – besonders weiblicher Angehöriger im öffentlichen Leben als eine Art Blamage aufgefaßt wird: ein Gefühl, das sich schon in Quarta durch den flehentlichen Wunsch an die Mutter äußert: „Hol’ mich nicht aus der Schule!“

Die Mittheilung, daß die Amicitia sich „für sich“ auf den Schauplatz des Festes zu begeben wünsche, wurde daher ohne weitere Bemerkung, als: „Da geht nur ab!“ aufgenommen und Eduard’s Begleitung, die man zu seiner sprachlosen Freude „brauchte“, gestattet. Daß die Jungen sofort nach dem Essen aufbrachen, um die Andern abzuholen, forderte auch keine Beachtung heraus; man war sogar recht froh, sie nicht beständig im Wege zu haben.

Bei Roth, dem nach der Straße zu gelegenen Ausgang der Grauberg’schen Villa gegenüber, faßte nun die ganze Gesellschaft Posto. Eduard kroch, mit genauester Instruktion versehen, ins Haus, um in dem Augenblick, wo ein verabredetes Signal ihm vom Fenster aus anzeigen würde, daß die Bewohner des Erdgeschosses sicher um die Ecke seien, sich in Eile und Stille an Herrn Grauberg’s Thür zu schleichen, dem Schlüssel leise umzudrehen und abzuziehen und dann zu der anderen Verbrecherschar zurückzukehren, wo ihn der Lohn seiner Thaten – je nach geschickter oder ungeschickter Ausführung in Gestalt einer Tracht Prügel oder einer Düte „Abfall“ vom Zuckerbäcker – erwartete. Alles stimmte aufs Haar. Herr Grauberg, der sich als eine der ersten Persönlichkeiten der Gesellschaft, der Berechnung der Jungen gemäß, viel später zum Aufbruch entschließen würde als seine Wirthe, wurde eingeschlossen. Eduard kehrte triumphirend wieder und der Verein begab sich in dem schönen Bewußtsein einer guten That seelenvergnügt nach dem Ressourcengarten, wo er dem Unbefangenen als eine Gesellschaft wohlgesitteter, artiger Knaben ohne irgend ein Brandmal des eben begangenen Verbrechens erscheinen mußte.

Während das Alles vor sich ging, schickten sich die Erwachsenen an, sich zum Feste zu verfügen. Käthe einigermaßen als Iphigenie zum Opfergang geschmückt – Gefühle, die sie sich hätte sparen können, wenn sie das nöthige Vertrauen in die Amicitia gesetzt hätte!

Rechtzeitig fand sich die Doktorsfamilie im Ressourcengarten ein. Die Mutter, sichtlich gehoben von der frohen Erwartung, vielleicht als Schwiegermutter der „besten Partie“ von dem Feste heimzukehren, der Vater mit der aus unterdrückter Wuth und Duldung zusammengesetzten Miene, welche Familienhäupter als eine Art von „besonderem Kennzeichen“ zu Tanzgelegenheiten mitzubringen pflegen – und Käthe sehr hübsch im hellen Strohhut und weißen Kleide.

Die Gesellschaft war im Großen und Ganzen pünktlich erschienen, und zur mäßigen Freude der Mutter war Erloff einer der Ersten, der sie im Ressourcengarten begrüßte. Er sah aber so strahlend vergnügt aus, daß es selbst für die Doktorin schwer war, ihre ablehnende Miene beizubehalten; sie lächelte denn auch ein wenig süßsauer, während ihre Augen den Garten durchflogen, um Herrn Grauberg zu suchen – aber allerdings nicht zu finden!

Der Doktor war sofort beim Eintreten von der Frau Kreisgerichtsdirektorin festgehalten worden, die, um das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden, an diesem höchst geeigneten Orte eine Konsultation in freundschaftlicher Form herauszuschlagen beschloß und den empörten Arzt mit einer ausführlichen und farbenprächtigen Beschreibung von ihres Mannes Magenkatarrh ergötzte.

Erloff trat zu Käthe.

„Wo haben Sie denn Ihr getreues Grauthierchen?“ frug er mit vor Muthwillen glänzenden Augen.

„Sehnen Sie sich etwa nach ihm?“ gab Käthe sehr ernsthaft zurück.

„Freilich!“ erwiederte Erloff lachend, „ich und viele Andere mit mir! Welchen Tanz geben Sie mir denn nun, da Herr Grauberg den ersten für sich hat?“

Während das Paar sich über Käthe’s Tanzkarte in eifrige Berathungen vertiefte, die, wie wir fürchten, nicht immer ganz streng bei der Sache blieben, wurde die Mutter immer unruhiger. Die einleitenden Töne der Musik ließen sich hören – hier und da verbeugte sich ein oder der andere Herr bereits vor seiner Polonaisendame – und Herr Grauberg war noch nicht da!

Käthe faßte die Sache sorglos und herzlos auf – sie freute sich des Augenblicks! Da setzte der Tanz ein und Erloff erbat sich mit der ehrbarsten Miene von der Welt Angesichts der Mutter die Erlaubniß, des ausgebliebenen Grauberg’s Stelle vertreten zu dürfen: eine bedeutungsvolle Bitte, der sich, wie die Dinge einmal lagen, nicht wohl etwas entgegenstellen ließ.

Die Mutter schoß Dolchblicke auf das Töchterlein; dieses aber wandelte höchst vergnügt und unbefangen mit seinem Kavalier ab und schien durchaus dem Grundsatz zu huldigen, daß die Abwesenden immer Unrecht haben! Noch glaubte Käthe an eine einfache, zufällige Verspätung des lästigen Verehrers, als ihr bei der ersten Wegbiegung die Amicitia in geschlossener Schlachtreihe begegnete und sie nebst ihrem Begleiter mit so entschiedenen Gaunergesichtern begrüßte, daß ihr sofort klar wurde, hier sei etwas vorgegangen!

Die Amicitia hatte keine Dame erwählt – mit „Kindern“ tanzte sie nicht! Und Große, die sie ja hätte in Fülle als Partnerinnen haben können, sagten ihr nicht zu, da die Eine nicht zu haben war!

Das erhebende Bewußtsein, der Einen zu dem Gegenstande ihrer Wünsche für diese Polonaise verholfen zu haben – was Karl durch die unzarte Bemerkung: „Den mag sie!“ veröffentlicht hatte, half über den Schmerz der Entsagung fort – ganz abgesehen von dem glückseligen Gefühl, einen Streich erfolgreich ausgeführt zu haben!

Wenn wir sagten, daß Erloff seinen langen, ungestörten Spaziergang mit Käthe nicht zu einem entscheidenden Worte benutzt hätte, so würden wir ihn in das ungünstige Licht eines schlechten Waidmanns stellen, der den richtigen Moment zur Erjagung eines edlen Wildes vorbei gehen läßt! Und da hoffentlich den Lesern eben so wohl wie Käthe’s Eltern daran gelegen ist, daß sie einen Mann bekommt, der sein Handwerk versteht, so wird Niemand daran zweifeln, daß die Beiden ziemlich einig waren, als der Tanz sich seinem Ende zuneigte.

Käthe legte aber dem jungen Mann die dringende Bitte ans Herz, noch zu schweigen, da sie zunächst Herrn Grauberg bei der ersten sich darbietenden Gelegenheit die Aussichtslosigkeit seiner Wünsche klar machen wollte – „eher beruhigt sich die Mutter nicht,“ sagte sie seufzeud.

„Vielleicht hat er schon selbst gemerkt, woher der Wind weht, und ist deshalb fortgeblieben“ meinte Erloff, aber das Mädchen schüttelte den Kopf.

„Bewahre, er ist ja heute Morgen noch bei uns gewesen!“

Das Fest nahm seinen ungestörten Verlauf. Käthe war in Folge ihrer wichtigen Erlebnisse sehr still und gedankenvoll, was die Mutter zu der frohlockenden Aeußerung gegen ihren Mann veranlaßte:

„Siehst Du, Arthur, sie ärgert sich, daß Grauberg nicht gekommen ist – am Ende war das ein ganz kluger Schachzug von ihm!“

„Liebes Kind,“ erwiederte der Vater ärgerlich, „laß doch das Mädchen mit dem kleinen Geldsack zufrieden – ein Wunder ist es doch nicht, wenn ihr der nette Erloff besser gefällt!“

Die Mutter sah pikirt aus – Männer sind doch zu unpraktisch!

Das Fest gipfelte in einem Kotillon, den die Jungen auf ihr stürmisches Flehen mit erleben durften, wenn auch Eduard seine mangelhafte gesellschaftliche Befähigung dadurch zeigte, daß er einschlief und mitten in einer effektvollen Tour dumpf polternd vom Stuhl fiel.

Die Amicitia aber feierte einen hohen Triumph, indem Käthe, die wohl ahnte, was sie ihnen verdanke, wenn auch nicht durch welche Mittel, alle Vereinsmitglieder mit Orden bedachte, was dieselben in wahre Ekstase versetzte! Der nächste Morgen brachte die vielbesprochene und gesuchte Aufklärung in Herrn Grauberg’s eigener, zorngeschwollener Person, die in so wörtlichem Sinne von den Freuden des gestrigen Festes „ausgeschlossen“ worden war.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_095.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)
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