Verschiedene: Die Gartenlaube (1888) | |
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tiefem Purpurroth gehaltene Gemach und tauchte die kleine Gruppe der am Kamin versammelten Menschen in einen milden weißen Schein.
Der Herzog hatte sich, wie auch Baron Gerold, erhoben, und Beide sahen zu dem schönen Mädchen hinüber; Beide mit dem nämlichen Ausdruck der Ueberraschung. In den Augen Seiner Hoheit blitzte es einen Augenblick auf; dann wurde der Ausdruck wieder genau so apathisch wie vorher. Auf des Barons Stirn aber lag eine düstere Falte; doch auch sie verschwand blitzgeschwind. Und dort neben dem Sofa der Herzogin stand sie; die schwarze einfache Seidenrobe hob ihre schlanke ebenmäßige Gestalt prächtig hervor. Sie hatte kaum einen Hauch von Farbe auf ihren Wangen und sah nach einer tiefen Verbeugung vor Seiner Hoheit mit stillem Gesichtsausdruck zu der fürstlichen Frau hinunter.
Die Herzogin wies auf einen Sessel, den man hingeschoben hatte, und sprach von einem gemüthlichen Plauderabend, und ob Claudine auch wohl sei, sie sehe so blaß aus. Und mit eigener Hand reichte sie der jungen Dame einen Krystallflacon: „Nur ein paar Tropfen, liebste Claudine; etwas Arrak macht warm nach der kalten Fahrt.“
Der Herzog hatte nicht wieder Platz genommen; er lehnte am Kamin und sah augenscheinlich mit größtem Interesse auf die Bewegungen der alten Freiin, die eben mit einem Körbchen voll bunter Wollsträhne sich ihrer Gebieterin näherte und auf die abweisende Handbewegung der eifrig Sprechenden sich wieder entfernte. Mit keinem Worte betheiligte er sich an der Unterhaltung, in welche die fürstliche Frau auch Lothar hineinzog. Dieser stand hinter dem Sessel Claudinens, dem Herzog gegenüber, und antwortete mit eigenthümlichem Tonfall, als ob eine Gemüthsbewegung ihn am fließenden Sprechen verhinderte.
„Ich meine, der L’hombretisch wird uns erwarten,“ sagte der Herzog plötzlich, indem er leicht die Stirn seiner Gemahlin küßte und mit einer flüchtigen Verbeugung gegen Claudine hinausschritt, gefolgt von Lothar.
„Liebste Katzenstein,“ bat die Herzogin, „ich weiß, Sie wollen Briefe schreiben, lassen Sie sich nicht stören! Sie sehen, ich bin in der allerliebenswürdigsten Gesellschaft. Lassen Sie die Vorhänge zuziehen, die Spuren des Theetisches beseitigen und meine Chaiselongue hierher schieben; ich finde es so behaglich am Kamin, trotzdem heute der sechste Juni im Kalender steht. Und, liebste Katzenstein, die Lampen an den Flügel. – Sie singen doch ein wenig?“ wandte sie sich an Claudine.
„Wenn Hoheit befehlen –“
„O, ich bitte darum. Aber zunächst plaudern wir!“
Die lebhafte junge Frau, auf dem Ruhebette liegend, versuchte durch die bezauberndste Liebenswürdigkeit ihre stille Gefährtin zu diesem „Plaudern“ zu bewegen, und es lag doch wie ein Bann auf dem Mädchen. Es war ihr, als müsse sie ersticken in diesem künstlich erwärmten Raume, in den Erinnerungen an vergangene Zeiten, die sich aus jedem Winkel lösten, aus jeder Stuckarabeske auf sie hernieder schwebten. Hier in diesem schönen großen Gemach war ihnen als Kindern immer zu Weihnacht beschert worden, Joachim und ihr; hier hatte die kleine Ballfestlichkeit stattgefunden, ihrem jungen achtzehnjährigen Dasein zu Ehren; hier hatte sie weinend in tiefer Trauer den heimkehrenden Bruder und sein junges schönes Weib empfangen, während dort unten im Erdgeschoß die Leiche des Vaters aufgebahrt lag. Damals war jener Erker in einen Garten verwandelt gewesen; unter blühenden Granatbäumen hatten Sessel gestanden, damit Joachim’s Weib die nordische Heimath nicht gar so traurig erscheine; die purpurrothen Blüthen sollten ein Gruß sein aus dem fernen Vaterlande, hatte Claudine gemeint, und sie hatte doch nur erreicht, daß die schönen Augen der jungen Schwägerin sich mit Thränen füllten. „O wie klein sind diese Blüthen – wie sehen sie krank aus!“ hatte sie geklagt. – Ach, wie schwer war doch diese Zeit gewesen!
Claudinens Blicke kehrten wie aus tiefen Träumen in die Gegenwart zurück; die Stimme der Herzogin hatte sie geweckt, und so bang und thränenschwer waren diese Blicke, daß die fürstliche Frau verstummte; aber eine zaghafte Hand griff nach der des Mädchens und hielt sie fest.
„Ach, ich vergaß, daß es Sie traurig machen muß, fremde Menschen in Ihrem Vaterhause zu sehen.“
Es klang so innig, so weich, und die kleine heiße Hand drückte so treu; Claudine wandte den Kopf, um die Thränen zurückzudrängen, die ihre Augen verschleierten.
„Weinen Sie doch, es erleichtert,“ sagte die Herzogin einfach.
Claudine schüttelte den Kopf und bemühte sich gewaltsam, ihre Fassung wieder zu gewinnen, doch wollte es ihr nicht recht gelingen. Was tobte und stürmte nicht alles in ihrer Seele, und nun auch noch die Güte dieser Frau!
„Verzeihung, Hoheit, Verzeihung!“ stieß sie endlich hervor. „Gestatten Hoheit, daß ich mich bald zurückziehen darf; ich fühle, ich kann heute nicht die Gesellschaft sein, die Hoheit wünschen –“
„O nimmermehr, meine liebe Claudine! Ich lasse Sie nicht! Denken Sie, ich vermöchte Sie nicht zu verstehen? Mein liebes Kind, auch ich habe heute schon geweint.“ Und der erregten leidenschaftlichen Frau lief eine stille Thräne um die andere über das fieberheiße Gesicht. „Ich habe einen traurigen Tag heute,“ sprach sie weiter, „ich fühle mich so krank, ich muß immerfort ans Sterben denken; mir kommt das schreckliche Erbbegräbniß unter der Schloßkirche unserer Residenz nicht aus dem Sinn, und dann denke ich an meine Kinder und an den Herzog. Warum muß man solche Gedanken haben, wenn man noch so jung ist und so glücklich wie ich? O, sehen Sie mich nur an, liebste Claudine, ich bin glücklich – bis auf meine Krankheit. Ich habe einen Gatten, dem ich über alles theuer bin, und so liebe, liebe Kinder, und doch diese schwarzen, diese schrecklichen Beängstigungen! Mir wird heute das Athmen so schwer.“
„Hoheit,“ sagte das junge Mädchen bewegt, „es ist die schwüle Luft.“
„O, natürlich! Ich bin nervös, und es geht vorüber, ich weiß es; seit Sie hier sind, ist mir auch schon besser. Kommen Sie nur oft, recht oft! – Ich will Ihnen gestehen, meine liebe Claudine – Mama kennt mein Geheimniß – ich hege, seit ich Sie gesehen, ein so großes Verlangen, Sie in meiner Umgebung zu haben. Mama war aber selbst so entzückt von Ihnen, daß sie nichts von einer Trennung wissen wollte; ich kann es ihr ja auch nicht verdenken. Der Herzog selbst bat für mich, aber sie schlug es rund ab.“
Claudine rührte sich nicht; nur ihre Augen senkten sich, und ihr Antlitz überflog einen Augenblick eine Purpurgluth.
„Es ist wunderbar – die gute Mama versagt mir sonst nichts! Ja, und nun, liebe Claudine, komme ich zu meiner Bitte: Bleiben Sie bei mir, wenigstens für die Zeit unseres hiesigen Aufenthaltes!“
„Hoheit, es ist unmöglich!“ stieß Claudine fast schroff hervor. Und wie flehend setzte sie hinzu: „Mein Bruder, Hoheit, sein Kind!“
„O, ich lasse das gelten; aber Sie müssen mindestens einige Stunden täglich für mich erübrigen, Claudine, ein paar Stunden nur! Geben Sie mir die Hand darauf. Nur ein paar Lieder dann und wann! Sie wissen gar nicht, wie wohl mir wird bei Ihrem Gesang.“
Das schmale fiebernde Gesichtchen der fürstlichen Frau beugte sich vor, und die unnatürlich glänzenden Augen schauten bittend in die des Mädchens. Es sprach eine so rührende Mahnung an das verlöschende Leben aus diesem Antlitz –. Warum mußte diese Frau so bitten? Und was erbat sie sich in ihr? Wenn sie ahnen könnte – aber nein, sie durfte es nicht ahnen!
„Hoheit!“ stammelte Claudine.
„Nein, nein! So leicht bin ich nicht abzuweisen, ich wünsche mir eine Freundin und – eine edlere, bessere, treuere als Sie, Claudine, finde ich nicht. Warum lassen Sie mich so bitten?“
„Hoheit!“ wiederholte das Mädchen überwältigt und beugte sich auf die Hand, die noch immer die ihre hielt. Aber die Herzogin hob ihr Gesicht empor und küßte sie auf die Stirn.
„Meine liebe Freundin!“ sagte sie.
„Hoheit! Um Gotteswillen, Hoheit!“ zitterte es durch das Gemach. Aber die Herzogin hörte es nicht; sie hatte den Kopf zu der alten Kammerfrau gewendet, die mit gedämpfter Stimme meldete, daß der Herzog mit den Herren im Salon neben dem Spielzimmer soupiren werde, und fragte, wo Ihre Hoheit zu speisen befehle.
„Im kleinen Salon hier oben,“ befahl die Herzogin, und enttäuscht blickte sie Claudine an. „Ich hatte mich doch so gefreut auf den heutigen Abendtisch! Wir hätten eine so nette Partie Carrée gehabt, der Herzog, Ihr Vetter und wir!“ Und scherzend fügte sie hinzu: „Ja, ja, meine liebe Claudine, wir armen Frauen müssen das Herz unserer Männer immer noch mit einigen Passionen theilen; die Jagd und das L’hombre, sie haben mir schon manche Thräne ausgepreßt; aber – wohl der Frau, die nicht um ein Mehr zu weinen braucht!“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_120.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)