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Seite:Die Gartenlaube (1888) 122.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Es wurde neun Uhr, bevor Claudine die Erlaubniß erhielt, heimzufahren. Als sie, von der Kammerfrau der Herzogin geleitet, die breite, wohlbekannte Treppe hinunter schritt, begegnete ihr ein Lakai mit zwei silbernen wappengeschmückten Champagnerkühlern. Sie wußte, daß Seine Hoheit kleine Spielpartien liebte mit sehr viel Heidsieck Monopol und sehr viel Cigaretten; man saß dort oft, bis der Morgen graute. – Gott sei Dank, daß es auch heute so war!

(Fortsetzung folgt.)




Die Familie Orleans.
Von K. Th. Heigel.
(Schluß.)


Wenn die Unzufriedenheit mit der inneren Politik der Regierung, dem „Kultus des goldenen Kalbes“, der Popularität Ludwig Philipp’s Abbruch that, so gab die Verquickung der auswärtigen Politik mit dynastischen Rücksichten den Gegnern eine noch gefährlichere Waffe in die Hände. Um seine Familie in den Kreis der legitimen Höfe aufgenommen zu sehen, ließ der von Barrikadenkämpfern erhobene König, ohne nur durch ein Wort sein Mißfallen auszudrücken, die italienischen Revolutionäre von den Oesterreichern niederschießen und überließ Polen, dessen Befreiungskampf das französische Volk mit stürmischer Begeisterung aufgenommen hatte, seinem traurigen Schicksal. Je offener sich aber das Königthum von den Grundsätzen der Julikämpfer entfernte, desto mehr Kraft und Ausdehnung gewann die Opposition. Ganz Frankreich ward überdies unterwühlt von geheimen Gesellschaften, deren Ideal die Republik oder der Kommunismus war.

Noch andere Klagen wurden laut. Der sonst so sparsame König verwendete große Summen auf Ausbau und Ausschmückung des Palais Royal. „Ich bin nicht umsonst in meiner Jugend Schüler David’s gewesen,“ soll er erwiedert haben, wenn gegen die Kostspieligkeit dieser Bauten und anderer künstlerischer Unternehmungen Einspruch erhoben wurde. Ungeheure Summen verschlang der Umbau des Schlosses zu Versailles, das er in ein großartiges, „à toutes les gloires de la France“ gewidmetes Nationalmuseum umwandeln ließ. Montalivet, der eine Zeit lang Minister des Innern war und bei Ludwig Philipp in hoher Gunst stand, versichert, für die Ausstattung von Versailles seien 23 Millionen Franken geopfert worden.

Vermuthlich hoffte der König, seine Pietät für die Lieblingsschöpfung Ludwig’s XIV. werde dazu beitragen, die alten privilegirten Stände, Adel und Klerus, mit der neuen Dynastie auszusöhnen. Während aber in diesen Kreisen nur von „Profanation des Königshauses“ gesprochen wurde, erregte die Sorgfalt für die „blendenden Dekorationen des absolutistischen Regiments“ in den Volkskreisen Argwohn und Mißstimmung. Während bei anderen Gelegenheiten über Geiz und Knickerei des Königs geklagt wurde, nannte man ihn seines Bauluxus wegen einen Verschwender.

„Fontaine“ (der Hofbaudirektor), so wurde gespottet, „wird seinem Herrn nicht genug Geld übrig lassen, um ein Landhaus in England bauen zu können!“

Ludwig Philipp hörte sich gern den Friedenskönig nennen und betonte häufig, daß seine Regierung zwar nicht mit kriegerischen Triumphen prunken könne, wie die Aera Napoleon’s I., aber auch nicht, wie jene, zahllose Menschenopfer vom Lande heischte. Er wußte aber zu gut, welch unwiderstehlicher Zauber dem Wort „gloire“ trotz Moskau und Waterloo für das ganze französische Volk innewohne. Deshalb wurde der von Karl X. ins Auge gefaßte Plan der Unterwerfung Algiers mit leidenschaftlichem Eifer aufgegriffen.

Die an sich nicht gerade glänzenden Erfolge über Abdelkader boten immerhin Gelegenheit zu Aufzügen mit malerisch kostümirten Zuaven und Spahis und zu Lobreden auf den Gewinn eines Landes, das wenigstens halb so groß wie Frankreich selbst. Dagegen wies die Opposition in Kammer und Presse darauf hin, daß Frankreich in Algerien nichts gefunden habe als ein Massengrab für seine Soldaten, während noch fraglich sei, ob das Gebiet zu behaupten sein werde.

Einen schweren politischen Fehler beging die Regierung damit, daß sie, um ihre Vorurtheilslosigkeit zu beweisen, selbst dazu beitrug, daß der Bonapartismus in Frankreich wieder auflebte. Allerdings war im Jahr 1832 der Tod des Sohnes Napoleon’s I., des ehedem so hochgefeierten „Königs von Rom“, in Frankreich fast unbeachtet geblieben; aber zumal in der älteren Generation war die Verehrung für den Sieger von Marengo und Austerlitz noch nicht erstorben. Um auch diese ehrwürdige Tradition für das orleanistische Hausinteresse nutzbar zu machen, ordnete Ludwig Philipp Abholung der Gebeine des großen Todten in St. Helena an, und am 15. December 1840 wurde eine prunkvolle Trauerfeier veranstaltet; der König selbst nahm im Invalidendom die „Reliquien“ in Empfang und hielt Reden, deren chauvinistischer Ton mit früheren Kundgebungen grell kontrastirte. Dadurch konnte er aber nicht vergessen machen, daß diese Reliquien nicht durch die früher so stürmisch geheischte „Revanche pour Waterloo“, sondern durch eine Art Kaufvertrag von England zurückerlangt worden waren. In Wort und Bild wurde von den Gegnern der Regierung darob gespottet, daß der „Spießbürgerkönig“ auch bei dieser Gelegenheit nur als Krämer „gehandelt“ habe.

Das Mißbehagen wuchs, als die Regierung, indem sie konservative Interessen zu fördern gedachte, dem mächtig aufstrebenden Ultramontanismus Vorschub leistete.

Die in Paris allein nach Hunderttausenden zählenden Proletarier vollends waren nicht, wie der Bürgerstand, unzufrieden mit einzelnen Thaten der Regierung, sondern wollten überhaupt keine Regierung. Aufgestachelt durch die Lehren Proudhon’s und Louis Blanc’s forderten sie Niederwerfung der Macht des Kapitals, radikale Umgestaltung der socialen Verhältnisse.

„Unser Land,“ schrieb Thiers, der zu den „Gründern“ des Julikönigthums gehört hatte, im Jahre 1847 an einen Freund, „geht mit Riesenschritten einer Katastrophe entgegen, vor oder nach dem Tode des Königs; es wird Bürgerkrieg geben, Revision der Charte, vielleicht Personalveränderungen an hoher Stelle.“

Die Opposition gegen das Regiment, „das zu seinem Wesen und seinen Ueberlieferungen in geradem Widerspruch steht: ghibellinisch in Rom, jesuitisch in Bern, österreichisch in Piemont, russisch in Krakau, französisch nirgends“ – nahm einen immer drohenderen Charakter an. Die nach der Ablehnung einer Reform des Wahlgesetzes von den Antragstellern veranstalteten sogenannten Reformbankette leiteten die revolutionäre Bewegung ein. Auf einem Bankett zu Lille setzte Ledru Rollin die Weglassung des üblichen Toastes auf den König durch; auf einem Fest der „neuen Brüder“ in den Champs Elysées zu Paris rief der Dichter Lamartine: „Das Königthum wird enden, nicht wie dasjenige von 1789 in seinem Blut, sondern in der selbstgedrehten Schlinge.“ Auch die Treue der Bourgeoisie, die bisher als Stütze des Thrones gegolten hatte, gerieth ins Wanken.

„Es hat nichts auf sich, wenn man angegriffen wird,“ klagte Ludwig Philipp; „aber es ist ein Verhängniß, wenn man auf keinen Vertheidiger zählen kann.“

Endlich stieg die Opposition aus den Bankettsälen und von der Rednertribüne des Parlaments in Waffen auf die Boulevards von Paris. Die Kanonen von Montmartre vermochten das gefährdete Königthum nicht zu retten. Nach dreitägigem Straßenkampf (22. bis 24. Februar 1848) war die Sache des Königs verloren. Er selbst, der in der Gefahr zwar kaltblütig blieb, aber nicht die Kraft zu handeln in sich fand, sah sich genöthigt, durch eine Hinterpforte aus den Tuilerien zu fliehen, und zwar so hastig, daß er nicht einmal das Nothwendigste mit sich nehmen konnte; der reichste König Europas mußte auf der Durchreise durch Versailles von einem Getreuen ein paar tausend Franken borgen, um für sich und seine Familie die Kosten der Ueberfahrt nach England zu bestreiten.

Vor der Flucht hatte Ludwig Philipp eine schriftliche Erklärung abgegeben, daß er zu Gunsten seines Enkels, des Grafen von Paris, auf die Krone verzichte. Die Mutter des Prinzen, Helene von Mecklenburg, die sich in dieser Katastrophe ihrer Tante, der willensstarken Dulderin Luise von Preußen, würdig bewährte, trat in einer stürmischen Sitzung des Parlaments für das Recht ihres Sohnes tapfer ein, allein ihre Stimme ging unter im Tumult

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_122.jpg&oldid=- (Version vom 17.3.2018)
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