Verschiedene: Die Gartenlaube (1888) | |
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Auf leisen Sohlen huschte Claudine vollends die mit einem Purpurteppich belegten Stufen hinunter; am Portal stand der alte Diener ihres Vaters, Friedrich Kern, jetzt in herzoglicher Livree, und sein ehrliches Gesicht zog sich vor Freude in tausend Falten. Sie nickte ihm freundlich zu und eilte hinaus. Mit einem erleichternden Aufathmen sank sie in die seidenen Kissen des Wagens; sie hatte sich gefürchtet wie ein Kind, es könne ihr noch jemand auf dem Korridor, auf der Treppe entgegen treten, jemand! Nein, Gott sei Dank! sie saß allein in dem fürstlichen Wagen, und der Wagen trug sie ihrer Heimath zu, ihrer eigensten Heimath! O, niemals hatte sie eine solche Sehnsucht nach dem einfachen kleinen Stübchen empfunden wie heute. Eine Weile überließ sie sich dem Gefühl, ohne zu denken; dann öffnete sie plötzlich das Fenster und fuhr sich über die Stirn; dieser Duft der parfümirten Wagenkissen machte alte peinvolle Erinnerungen aus der Residenz lebendig. Es war das Lieblingsparfüm des Herzogs; der schwere süßliche Geruch pflegte aus all seinen Kleidern zu strömen, ihn stets zu umgeben wie eine Wolke; es hatte ihr oft Schwindel verursacht, wenn Se. Hoheit mit ihr im Tanze über das Parkett geflogen war. Sie ballte plötzlich die Hand und alles Blut strömte ihr zum Kopfe. Nichts in der Welt macht Vergangenes so lebendig wie der Geruch.
Sie öffnete auch noch das andere Fenster und saß im Zugwind, den die rasche Fahrt schuf, die Lippen auf einander gepreßt und thränenfunkelnden Auges. Sie war doch wieder über diese Schwelle gegangen, gezwungen worden, darüber hinweg zu treten! Was hatte ihr die Flucht genützt? Nichts! Garnichts! Wollte er sein Wort wahr machen, er werde sie überall zu finden wissen?
Die Gedanken verwirrten sich hinter ihrer Stirn; sie kam sich schlecht, kam sich gesunken vor; hätte sie nicht die Hand der fürstlichen Frau zurückweisen müssen, so schroff wie Beate es gethan? – Ach, Beate! Wie schritt die so eben und klar ihren Weg! Und da schimmerten eben die Fenster des Neuhäuser Wohnhauses aus dem Geäste der Linden; eine plötzliche Sehnsucht nach der aufrichtigen schlichten Weise ihrer Kousine erfaßte sie – nur ein Wort von ihr hören, nur aus ihren Augen lesen, ob sie denn wirklich etwas
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 133. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_133.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)