Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1888) 134.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

so Unrechtes gethan? Sie zog die seidene Schnur, die um den Arm des Dieners befestigt war, und befahl, nach dem Neuhäuser Schlosse zu fahren.

In dem weiten Hausflur kam just Beate daher, das klirrende Schlüsselbund in der Hand und hinter sich ein Mädchen, das einen Stoß frisch aus dem Spinde genommenen Leinenzeuges trug.

„Wie, Du bist das?“ rief Beate mit ihrer lauten Stimme, daß es sich schallend an den Wänden brach. „Herr des Himmels, wo kommst Du denn heute Abend noch her?“

Claudine stand unter der schwankenden, schmiedeeisernen Hängelampe; aus dem schwarzen Spitzentuch, das sie um den Kopf trug, sah ihr Gesicht fast marmorbleich hervor. „Ich wollte Dir guten Abend sagen im Vorüberfahren,“ sprach sie.

„Ei, da tritt ein! Woher kommst Du? Sicher aus Altenstein, Deiner feierlichen Toilette nach? Ich hatte eigentlich die Absicht, Euch heute aufzusuchen; aber da begegnete mir in der Nähe Eures Hauses die Berg mit der Kleinen, und rathe, wer noch im Wagen saß? Herr von Palmer! Na, das machte mich neugierig, ich pfiff dem Kutscher und bat um die Erlaubniß, bei dem schlechten Wetter gleichfalls unsere Equipage benutzen zu dürfen. Die beiden Herrschaften waren natürlich sehr entzückt, wie mir schien. Höre, Claudine, auf Liebesgeschichten verstehe ich mich schlecht, mir fehlt jegliche Erfahrung, aber – hier, ich lasse mich darauf köpfen, die werden ein Paar.“

Sie hatte während dieser Erzählung die Kousine in die Wohnstube geleitet und in einen der steifen mit braunem Rips bezogenen Lehnstühle gedrückt. „Aber, sag’ doch,“ rief sie von der andern Ecke des Zimmers her, wo sie am Nähtischchen Schere, Zwirn und Nadel suchte, „kommst Du von Altenstein? Und ist der herzogliche Wagen etwa draußen? Ja? – Aber, mein liebes Kind, dann schicken wir ihn doch fort? Unser Lorenz macht sich ein Vergnügen daraus, Dich nachher hinüber zu fahren.“ Sie warf einen Blick auf den Regulator über dem Sofa, der zwischen den Porträts ihrer Eltern hing. „In fünf Minuten halb Zehn; bis zehn Uhr kannst Du doch bleiben?“ Und schon war sie am Glockenzug neben der Thür und rief ihre Befehle dem herbeieilenden Hausmädchen zu.

„Hast Du Lothar nicht gesehen?“ fragte sie dann; „der Jäger des Herzogs war hier, um ihn nach Altenstein zu citiren. Dich haben sie wohl auch holen lassen?“

Claudine nickte.

„Du machst ja ein recht erbauliches Gesicht dazu, Schatz!“ sagte Beate lachend und setzte sich zum Nähen zurecht.

„Ich bin nicht ganz wohl; ich wäre lieber daheim geblieben.“

„Warum sagtest Du das nicht ehrlich?“

Claudine wurde roth. „Ich glaubte es nicht sagen zu dürfen – die Herzogin schrieb so liebenswürdig.“

„Na ja, Claudinchen, eigentlich kannst Du es auch nicht,“ erwiederte Beate und wichste den Faden, mit dem sie eben einen abgerissenen Henkel an ein grobes Leutehandtuch nähte. „Sie sind doch immer sehr gütig gegen Dich gewesen,“ fuhr sie fort, „und diese kleine Herzogin ist trotz ihrer Exaltation doch eine Seele von einer Frau – und so krank! Nein, weißt Du, es wäre geradezu eine Unart, wolltest Du ihr nicht ein so geringes Opfer bringen. Wenn Du Dir etwa Sorgen machst, daß Eure Wirthschaft unter Deiner Abwesenheit leide, so beruhige Dich nur, Kindchen, das übernehme ich.“

Sie stand bei diesen Worten auf und machte sich wieder am Nähtisch zu schaffen, als wollte sie Claudine nicht ansehen.

„Du bist so freundlich,“ murmelte das Mädchen. Auch die Ausrede, daß sie ihre Pflicht daheim nicht lassen könne, ward ihr genommen. Es war, als ob sich alles gegen sie verschwöre.

„Aber Du hast mir noch nicht gesagt, war Lothar in Altenstein?“ fragte Beate zurückkommend.

„Er spielt mit Sr. Hoheit L’hombre.“

„O Jemine, das soll immer sehr lange dauern! Wer sind denn die Anderen von der Partie?“

„Vermuthlich der Adjutant oder der Kammerherr und – irgend Einer, vielleicht Palmer.“

„Ah – der! Richtig! Er sagte, er habe es eilig, als er sich von mir im Wagen verabschiedete. Ich bot ihm an, nach Altenstein zu fahren, aber er dankte, er sei gerade auf einem Spaziergang begriffen gewesen – bei diesem Regen, Claudine – als er Frau von Berg getroffen habe. Er ziehe es vor zu gehen. Auch gut, sagte ich und ließ ihn laufen. Mich amüsirte nur das Gesicht der guten Berg, als ich in den Wagen schneite; würde sie zufällig einen Schierlingsbecher statt der Milchflasche des Kindes bei der Hand gehabt haben, ich hätte dran glauben müssen. Kutscher und Kinderfrau erzählten mir nachher, Herr von Palmer sei schon öfter ‚zufällig‘ mit Frau von Berg zusammengetroffen, und die Letztere fügte hinzu: ‚Dann sprechen sie jawohl Welsch‘ – womit sie ‚französisch‘ meint – ‚denn ich verstehe kein Wort.‘ Aber mein Gott, da kommt ja Lothar schon; sieh doch den Hund!“

Der prachtvolle Hühnerhund hatte sich erhoben und stand nun wedelnd vor der Stubenthür; ein rascher elastischer Schritt näherte sich und gleich darauf trat der Baron ein. Er sah einen Moment ganz bestürzt auf Claudine, die sich erhoben hatte und ihr Spitzentuch wieder über den Kopf band.

„Ah! Meine gnädige Kousine,“ sagte er, sich verbeugend, „und ich glaubte Sie noch in den Altensteiner Salons. Se. Hoheit brachen die Partie so plötzlich ab, daß ich annahm, Sie wollten noch ein gemüthliches Abendstündchen bei der Frau Herzogin verleben. Hoheit hatten übrigens entschiedenes Unglück im Spiel,“ fuhr er fort; „indessen, das nahm er sichtlich für ein gutes Zeichen, er ist abergläubisch, wie alle großen Geister. Wenigstens nannte er mich mit Vorliebe heute Abend ‚Vetter‘, und das geschieht immer nur, wenn das Barometer sehr hoch steht.“

Er hatte bei diesen Worten den Hut aus der Hand gelegt und streifte die Handschuhe ab.

„Gieb mir einen Trunk ehrlichen kühlen Bieres, Schwester,“ bat er dann mit veränderter Stimme; „dieser süße französische Sekt und diese süßen Cigaretten sind mir entsetzlich zuwider. Aber wollen Sie schon fort, Kousine?“

„Bleib’ doch noch!“ sagte Beate, und zu Lothar gewendet, fügte sie hinzu: „Sie ist freilich nicht ganz wohl, aber da die Herzogin ihr den Wagen gleichsam in die Stube schickte, blieb ihr nichts weiter übrig, als hinzufahren.“

Herr von Gerold lächelte und nahm das schäumende Glas, das ein Diener ihm brachte. „Allerdings,“ sagte er und trank.

Claudine, die während seines Sprechens aufgestanden war und das Tuch um ihre Schultern gezogen hatte, ward, als sie dieses Lächeln sah, bleich wie der Tod. Und plötzlich stand sie vor ihm, hochaufgerichtet und stolz.

„Allerdings,“ wiederholte sie mit zuckender Lippe, „ich konnte die Aufforderung Ihrer Hoheit nicht zurückweisen. Ich bin heute zu ihr gegangen und werde morgen wieder gehen und übermorgen und alle Tage, wenn Hoheit es befiehlt! Ich weiß, ich handle auch im Sinne Joachim’s, wenn ich einer Kranken ein paar Leidensstunden verkürzen helfe; sei es nun die Herzogin oder das arme Weib, welches Tagelöhnerdienste in unserem Garten versieht.“

Sie hielt plötzlich inne, aber es war, als thäte sie sich Gewalt an, um nicht weiterzusprechen.

„Laß den Wagen vorfahren, Beate,“ bat sie dann, „es ist hohe Zeit, ich muß heim.“

Einen Moment war das Lächeln von seinem Antlitz gewichen, jetzt aber zuckte es schon wieder um seinen Mund. Er verbeugte sich tief und wie zustimmend. „Gestatten Sie, daß ich Sie begleite,“ sagte er nun und griff nach seinem Hut.

„Ich danke Ihnen, ich möchte allein sein!“

„Ich bedaure, daß Sie meine Gegenwart noch eine Viertelstunde ertragen müssen, aber ich lasse Sie nicht allein fahren.“

Sie faßte Beate um den Hals und küßte sie.

„Was hast Du?“ fragte diese. „Du zitterst ja?“

„O nichts, Beate.“

„Also laß es mich wissen, Claudine, wenn Du nicht daheim bist; ich hole mir dann die Kleine.“

Und wieder fuhr sie in den schweigenden Wald hinein. Sie lehnte in der Ecke des Wagens, ihr Kleid hatte sie dicht an sich gezogen und mit ihrer Hand fest in die Falten gegriffen, als wollte sie irgend etwas zerdrücken, um ihre innere Empörung zu beschwichtigen. Neben ihr saß Lothar; der Schein der Wagenlaterne streifte seine Rechte, an welcher der goldene breite Ehering blitzte; sie ruhte unbeweglich, als schlafe Der, dem sie gehörte. Kein Wort ward geredet in diesem lauschigen, seidengepolsterten kleinen Raum, der zwei Menschen abschloß von dem

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_134.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)
OSZAR »