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Seite:Die Gartenlaube (1888) 135.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Unwetter und den Schrecken der Nacht. In dem Herzen des Mädchens wogte ein Sturm von Zorn und Schmerz; was glaubte dieser Mann von ihr, was war sie in seinen Augen?

Sie vermochte es nicht auszudenken, denn schreckhaft klangen ihr die eigenen Worte in die Ohren: „Und morgen werde ich wieder hingehen, und übermorgen und alle Tage!“

Nun war der Würfel gefallen; was sie gesagt, das that sie, und sie that das Rechte.

Sie beugte sich vor; Gottlob! Dort schimmerte das Licht aus Joachim’s Fenster; nun hielt der Wagen und der Schlag wurde aufgemacht. Baron Gerold sprang hinaus und bot ihr die Hand zum Aussteigen. Sie übersah es und ging der Pforte zu. Mit einer stolzen Wendung des Kopfes streifte sie ihn noch einmal, und da glaubte sie beim Scheine der Laterne, die der alte Heinemann mit hoch erhobenem Arme hielt, zu sehen, daß er ihr mit einem bekümmerten Ausdruck nachschaue. Aber das war wohl nur Einbildung gewesen, hervorgerufen durch das Schattenspiel. Pah! Lothar bekümmert, um sie bekümmert!

Sie kam fast athemlos in das Haus, und hinter sich hörte sie das Rollen der Equipage, mit der er nach Neuhaus zurückkehrte.

„Sie schlafen schon alle,“ wisperte der alte Mann, indem er seiner Herrin die Treppe hinaufleuchtete, „nur der gnädige Herr arbeiten noch. Die Kleine hat bei Fräulein Lindenmeyer gespielt, und dann haben wir Erdbeeren mit Milch gegessen; es ging alles wunderschön. Das gnädige Fräulein brauchen garnichts mehr zu thun, von rechtswegen.“

Sie nickte ihm zu mit ihrem ernsten blassen Gesicht und schloß die Thür ihres Stübchens hinter sich; dort sank sie auf den ersten besten Stuhl und schlug die Hände vor das Gesicht – und so saß sie lange, lange.

„Er ist nicht besser als die Anderen,“ sagte sie endlich und schickte sich an zu Bette zu gehen; „auch er glaubt nicht mehr an Frauenehre, an Frauenreinheit!“

Was hatte sie ihr genutzt, ihre Flucht? Glaubte nicht gerade Er – Er das Schlimmste von ihr? Sein Lächeln – die Reden heute Abend – hätten es ihr gezeigt, auch wenn sie es nicht schon längst gewußt. O, die ganze Welt mochte denken von ihr, was sie wollte – wenn nur ihr Herz, ihr Gewissen rein blieb! Sie allein würde dafür sorgen, daß sie den Blick nicht niederzuschlagen brauchte.

Sie preßte die Lippen auf einander. Wohl, sie würde ihm zeigen, daß eine Gerold selbst den trübsten schlammigsten Weg zu gehen vermag, ohne sich auch nur die Schuhsohlen zu beschmutzen! Und sie schaute hastig dorthin, wo sie den Stern zwischen dem Geweihe des Hirsches wußte; ihretwegen würde sein Glanz nie verbleichen!

Sie erhob sich, zündete Licht an und blickte sich in ihrem Stübchen um; wie sah es hier aus! Die Spuren ihres Seelenkampfes, ihrer in Unordnung gerathenen Gedanken zeigten sich erschreckend deutlich in dem sonst so zierlichen Raum; dort die Schrankthür weit geöffnet, auf der Kommode Schleifen, Nadeln, Kämme in wirrem Durcheinander, verschiedene Kleider auf Bett und Stühlen; alles spiegelte so klar die Stunde der Unentschlossenheit wieder, die sie durchlebt hatte, ehe sie nach Altenstein fuhr. Planlos hatte sie die Sachen aus den Behältern genommen und sie immer wieder hingeworfen; sie wollte nicht, nein, sie wollte nicht gehen und fand doch nicht den Muth, sich mit einer Lüge entschuldigen zu lassen. Draußen hatten die Pferde ungeduldig gescharrt vor der fürstlichen Equipage und eine Viertelstunde nach der andern war verstrichen, bis Joachim zuletzt kam: „Aber, Schwester, bist Du noch nicht fertig?“

Da war sie gegangen.

Sie begann aufzuräumen; wie erleichtert athmete sie auf, als wieder Ordnung um sie herrschte. Ja, es war nun überhaupt alles geordnet; sie selbst hatte die Entscheidung getroffen in einem Moment des Zornes, des bittersten Wehes. Aber war es wirklich das Rechte?




Frau von Berg saß in ihrem Zimmer im Neuhäuser Schlosse am Schreibtisch. Die Thür zum Nebenraum stand offen; dort wohnte das Kind mit einer Wärterin. Vor den Fenstern rauschte der Regen hernieder und winkten die nassen Zweige der Linden; die Dame hatte sich in ein dickes wollenes Tuch gehüllt und schrieb; die Erregung mochte wohl ihre Feder führen; denn diese jagte förmlich über das starke krêmefarbige Papier und die Buchstaben waren so merkwürdig klein und flüchtig; eine eigenthümliche Schrift, die an zierliche Katzenpfötchen erinnerte.

Sie war außerordentlich schlechter Laune, und als eben Beatens laute Stimme vom untern Hausflur bis hier herauf scholl, machte sie eine Faust und sah zornfunkelnd zur Thür hinüber. Wer stand ihr denn dafür, daß dieser Hausdrache nicht, kraft seines Amtes, wieder einmal bei ihr eindrang, um sich zu überzeugen, daß alles in Ordnung hier oben? Ebenso, wie sie gestern, kraft ihrer Autorität, in den Wagen gedrungen war und eine gemüthliche Plauderstunde gestört hatte. Und das Schlimmste blieb eben, daß man hier so machtlos war. Der Herr Baron hatte ja kaum noch Augen für sein Töchterlein, und wo diese Augen waren, das wußte sie nur zu genau. Gestern Abend hatte er sie ja noch bei Nacht und Nebel nach dem Eulenhause begleitet!

Sie blickte durchs Fenster; dann nickte sie, als ob ihr etwas Besonderes einfalle, und schrieb weiter:

„Ich habe bereits gestern Prinzeß Thekla in meinem wöchentlichen Bericht über das Befinden ihres Enkelkindes verschiedene Andeutungen gemacht, die nach allem, was ich Ihnen schon meldete, Prinzeß Helene in einen ihrer bekannten Wuthanfälle versetzt haben werden. Es ist kaum glaublich, wie sehr diese junge Dame zur Eifersucht neigt; nun, ich erzählte Ihnen ja öfter davon.

Uebrigens, mein bester Palmer, hörte ich gestern Abend im Vorübergehen an dem Wohnzimmer – ich kam aus der Plättstube, wo ich einen Disput mit dem Hausmädchen hatte – Sie glauben nicht, wie man sich ärgern muß in diesem gottbegnadeten Musterhaushalt, wenn man einmal etwas Außergewöhnliches verlangt – ich hörte also im Vorübergehen, wie das Gänschen, ci-devant Schwan, ihrem allergetreuesten Verehrer mit erhobener Stimme erklärte, daß sie die Absicht habe, jeden Tag nach Altenstein zu pilgern! Somit hätte sich ja Ihre Prophezeiung als wahr erwiesen. Wie sagten Sie doch noch? ‚Es giebt kein besseres Mittel, einen schüchternen Liebhaber um den letzten Rest gesunder Vernunft zu bringen, als ein wenig Versteck mit ihm zu spielen.‘ Darauf wäre ich nie gekommen! Sie sagen freilich, der Herzog ist abgekühlt – tant mieux! Erlauben Sie mir aber, vorläufig noch einige geringe Zweifel an dieser ‚Abkühlung‘ zu hegen; ich glaube den Allergnädigsten besser zu kennen.

Morgen hoffe ich Sie zu sehen. Mademoiselle Beate hat nämlich großes Reinmachen angesagt. Sie pflegt sich dabei ein weißes Kopftuch umzubinden und mit einem langen Besen die Ahnenbilder abzustäuben. Es ist ein Festtag dann; es giebt Kartoffelklöße mit Backobst zum Diner; ah, es ist ein idyllisches Leben hier! Lange halte ich es nicht mehr aus, mein Bester, die Versicherung gebe ich Ihnen. Sorgen Sie, daß man nicht ewig hier bleibt; dann hört auch meine Gefangenschaft auf. Lassen Sie Cholerabacillen im Brunnenwasser sein auf Altenstein, oder setzen Sie einige Dutzend Ratten und Mäuse in die allerhöchsten Zimmer; lassen Sie den seligen Oberst oder die schöne Spanierin spuken gehen oder den Blitz einschlagen: mir einerlei was, wenn es nur die Einwohner hinaustreibt und ich die Dächer der Residenz wiedersehe; ich kann in dieser Kuhstallluft nicht athmen.“

Sie brach hier wieder ab und wandte den Kopf nach dem Nebenzimmer, wo ein erbärmliches Kinderweinen erklang. Ein bitterböser Ausdruck überflog das volle weiße Gesicht der Lauschenden. „O Gott, ich wollte, daß –“ murmelte sie und erhob sich.

„Frau von Berg, die Kleine ist sehr unruhig,“ berichtete die Kinderfrau.

„So geben Sie ihr doch Milch; mein Gott, sie wird Hunger haben; was ist’s denn weiter!“

„Sie nimmt nichts, gnädige Frau.“

„So tragen Sie das Kind umher; es muß sich beruhigen.“

„Ich darf das Kindchen nicht herausnehmen, so lange es in dem nassen Umschlag liegt; der Arzt hat’s extra –“

Frau von Berg schleuderte die Feder auf den Tisch und rauschte in das Kinderzimmer.

„Ruhig! Ruhig!“ rief sie mit ihrer gellenden Stimme und klatschte, an das Bett tretend, in die Hände; ihre Augen sahen so drohend aus, so geradezu wüthend, daß das Kind verstummte, um nach ein paar Sekunden desto lauter zu schreien. Es klang so ängstlich, so hilfesuchend, dieses Weinen, daß die Kinderfrau

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_135.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)
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