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Seite:Die Gartenlaube (1888) 254.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

beobachten, wenn sie die Blicke niedersenkte in das Gesangbuch, wenn ihre Augen sich auf den Pfarrer richteten; aber wenn sie dieselben erhob, wenn sie mich streiften, – nicht wie eine Heilige sah sie aus! Sie war mit ihrem goldgelockten Haar die strahlende, farbenprächtige Aurora, die auf den Bildern der alten Meister mich entzückt – die Aurora, die dem Sonnengott voranzieht, das glorreiche Licht des Tages zu verkünden. Mit meiner Andacht freilich war es schlecht bestellt.

Wir sprachen den Grafen und seine Tochter nach wie vor an jedem Sonntag nach dem Gottesdienste, und da Franull, immer mehr zur Dame werdend, an sicherer Haltung gewann, wurde ganz von selbst unser Verkehr einfach und natürlich. Ich freute mich dessen; denn was sollte daraus werden, wenn sie und ich es einander gegenüber nicht vergessen konnten, daß sie einmal ein Kind gewesen war; wenn ich es überhaupt nicht lernte zu vergessen, wenn ich dem Grafen meine Liebe für die Komtesse verrieth und ihn damit nöthigte, mir den Zutritt zu ihr zu versagen? – Aber mit aller meiner Weisheit und Vernunft stand ich dabei doch immer auf dem alten Fleck! Ich liebte die Komtesse. Ich liebte die Jungfrau mit Leidenschaft, die ich als ein Kind geliebt; doch des Grafen Mahnung hatte ich nicht vergessen. Ich war Herr über mich geworden – und ich blieb es, bis auf die eine letzte Stunde.

Kaum ein Monat verging, in welchem ich nicht ein- oder zweimal nach Dambow kam, und immer fand ich Gäste dort. Sie gehörten meistens den Berliner Adelskreisen an; denn der märkische Landadel, der immer sehr ausschließlich gewesen, war dies seit dem Ausbruch der französischen Revolution nur noch mehr geworden, und der Graf hatte sich demselben nicht genähert, weil er sich der Möglichkeit nicht aussetzen durfte, seine Tochter nicht nach seinen Wünschen aufgenommen zu finden. Es sah so am Ende des vorigen Jahrhunderts ganz anders bei uns aus als jetzt; denn es hat sich viel geändert gleich nach den Freiheitskriegen, in denen alle Stände unter einander in Reih und Glied für das Vaterland gefochten, in denen der verwundete Grafensohn im Bürgerhause, der Sohn des Handwerkers seine Pflege gefunden von der Fürstentochter Händen!

Der Graf hatte, seit er die Tochter anerkannt, sich an eine bestimmte Jahreseintheilung für seine Lebensweise gewöhnt. Im Frühjahr besuchte er Karlsbad; im Winter verlebte er während der Gesellschaftszeit zwei Monate in Berlin, und die Tochter und Madame Fleuron waren dabei seine beständigen Begleiter. Die Komtesse müsse l’usage du monde gewinnen, sagte der Graf. Madame Fleuron, die mit meiner Mutter eng befreundet war, gab zu verstehen, daß er sie natürlich zeitig zu verheirathen denke, damit sie nicht allein stehe in der Welt, wenn er früher oder später abgerufen werden sollte. In ihren Verhältnissen konnte sie so auch eines Beschützers und Haltes weniger entrathen als jedes andere Mädchen, obschon ihr beständiges Zusammenleben mit älteren Personen sie in gewisser Hinsicht, trotz der Lebhaftigkeit ihrer Empfindung, weit über ihre Jahre selbständig und reif gemacht.

‚Und hat der Graf einen bestimmten Gatten für sie im Auge?‘ fragte einmal meine Mutter die Gouvernante.

Madame Fleuron entgegnete, sie wisse das nicht, aber sie glaube, daß eine entfernte Verwandte des Grafen an die Komtesse für einen ihrer Söhne denke.

‚Was hilft das Denken der Mütter,‘ sprach die meine, ‚wenn Gott nicht die Herzen der Kinder lenkt!‘ – und ich hatte keine Mühe zu verstehen, was sie damit meinte. Ich hatte es abgelehnt, eine meiner Kousinen zu heirathen die Tochter des Rechnungsrathes, in dessen Hause ich dereinst gelebt, und ich mußte lächeln als Madame Fleuron tröstend versicherte, was nicht geschehen sei, könne deshalb noch immer werden und der rechte Augenblick erfüllte oft plötzlich, was man vergebens lange erwartet!

Nun, er ist nicht gekommen, dieser Augenblick für mich, aber für die Verwandte des Grafen, welche sich Franull zur Schwiegertochter ausersehen, kam der Augenblick; und wir kannten die Verwandte bereits, sowie den Sohn, für den sie um die schöne reiche Erbin warb.

Schon bei meiner Heimkehr von der Reise hatte ich die Baronin von Klothen einmal in Dambow getroffen. Sie war älter als meine Mutter, dem Grafen irgendwie, aber sehr entfernt verschwägert, eine Frau von sanfter, vornehmer Haltung, mit klugen Augen und freundlichem Ton in der Sprache. Vermögend von Hause her, hatte sie einen Herrn von Klothen geheiratet, welcher Hofmarschall eines der Prinzen und ein schöner Lebemann gewesen war. Er hatte das Vermögen der Frau verspielt, war zeitig gestorben und hatte die Baronin mit ihren drei Söhnen in beschränktesten Verhältnissen zurückgelassen. Mit dem Beistande, welchen der Hof ihr gewährt, hatte sie die Söhne zu braven Männern erzogen. Des Vaters Beispiel hatte ihnen zu einer heilsamen Lehre gedient. Die beiden Jüngeren waren im Militär. Der Aelteste, Baron Hans von Klothen, der viel Sprachtalent besaß und sich eine schöne allgemeine Bildung angeeignet hatte, wurde im Ministerium des Auswärtigen beschäftigt. Er war ein paar Jahre älter als ich und ein schöner Mann.

Die Baronin kam allmählich häufiger zu Besuch nach Dambow und verweilte bei jeder Rückkehr länger. Sie war von zarter Gesundheit, versicherte, die Ruhe thue ihr so wohl; und da sie sich anspruchslos erwies, war sie dem Grafen eine angenehme Gesellschaft, ein gutes Vorbild für Franziska, die sich bald an sie gewöhnte, weil die Baronin sich ihr mit Vorliebe gefällig zeigte. Es währte denn auch nicht lange, bis man in der Pfarre davon sprach, Madame Fleuron denke daran, in ihre Heimath nach der Schweiz zurückzukehren, und die Baronin werde sie ersetzen, weil der Graf eine Dame neben sich haben müsse, die hoffähig sei und seine Tochter an den Hof begleiten könne. Im Rentamte zu Benwitz und in der übrigen Nachbarschaft ging das Gerücht, der Graf werde sich mit der Baronin verheirathen.

Seit ich zum ersten Male den schönen Baron Hans neben Franull gesehen hatte, wußte ich, was ich davon zu halten hatte, und es war das so auch völlig in der Ordnung: es mußte so, es konnte gar nicht anders sein. Ob sie Baron Hans oder einen andern Edelmann zum Gatten nahm – erleben, erleiden mußte ich es einmal.

Die Thatsache, daß Madame Fleuron entlassen wurde, ergab sich bald als richtig. Im zweiten Frühjahre nach meiner Uebernahme von Schönfelde, als wieder die Badereise nach Karlsbad vor der Thür stand, fuhr an einem Nachmittage der gräfliche Wagen bei uns vor, der Diener meldete die Frau Baronin, Madame Fleuron und die Komtesse von Dubimin!

Was hatte das zu bedeuten? – Die Baronin war nie zuvor in unserem Hause gewesen. Franull hatte es seit lange nicht mehr betreten, der Graf war stets allein gekommen und ich hatte mir das zu erklären gewußt; denn Franull hatte nie ein Hehl daraus gemacht, daß sie Vorliebe für mich hegte, und er kannte ihre Natur und behandelte sie danach.

Die ganze Liebe, welche das arme Kroatenkind für ihn gefühlt, hatte es mit seinem Blute auf die Tochter vererbt, die bei ihrem frühreifen und scharfen Verstande nebenher klar einsah, was sie der Zärtlichkeit ihres Vaters verdankte. Er durfte sicher sein, alles von ihr zu erlangen, wenn er sie nicht durch Strenge an die Wissenskraft erinnerte, die sie ebenso geerbt hatte von ihm, mit dem stolzen Sinn der Grafen von Dubimin, wie von dem Kind des Volkes. – Was war geschehen, das den Grafen bestimmte, von dem bisherigen Verhalten abzuweichen? – Weil ich es nicht enträthseln konnte, regte es mich auf.

Ich eilte, unsere Gäste zu empfangen, auch meine Mutter kam ihnen entgegen. Ich hatte der Baronin den Arm zu bieten; sie sagte meiner Mutter, da sie fortan in Dambow leben werde, habe sie gewünscht, sich ihr als Nachbarin vorzustellen Madame Fleuron sprach von ihrer Abreise und wollte mit diesem Besuche zugleich Abschied nehmen. Es war die Rede davon, die freundliche gegenseitige Gesinnung auch ferner aufrecht zu erhalten zwischen den Hausfrauen von Schloß Dambow und Schönfelde. Es wurde, während wir durch den Garten nach der Mooshütte schritten, viel leeres Höflichkeitsstroh gedroschen. Ich half dabei, wie sich’s gebührte. Die Komtesse ging ruhig nebenher.

Ich athmete auf, als ich die Baronin in die Hütte geleitet, als die beiden fremden Damen sich aus dem Kanapée niedergelassen hatten, als man den Kaffee trank und ich endlich, etwas seitab sitzend mit Franull, sie fragen konnte, was uns die Ehre verschaffe, auch sie einmal wieder bei uns begrüßen zu dürfen.

‚Mein Verlangen hierher zu kommen und die gute Tante Klothen! Ich bin auf Probe in Vakanz!‘ gab sie mir zur Antwort, ohne eine Miene zu verziehen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_254.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)
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