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Seite:Die Gartenlaube (1888) 255.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

‚Wie soll ich das verstehen, gnädigste Komtesse?‘ fragte ich wieder.

‚Erklären Sie sich’s vorläufig wie Sie wollen! Ich sag’ es Ihnen später!‘

Die Unterhaltung mit den Andern ging daneben ruhig fort, und während mich die Ungeduld verzehrte, wurde mir die Gelassenheit Franulls nur räthselhafter. Nahezu eine Stunde mochte so hingegangen sein, als die Damen sich erhoben, eine Promenade durch den Garten zu machen, den ich in den letzten beiden Jahren nach der Forstseite eröffnet und so weit ausgedehnt hatte, daß er sich parkartig in den Wald hineinzog und verlief. Bei dem Herumgehen war es leicht für mich, an Franulls Seite den Anderen ein Ende voraus und aus dem Hörbereich zu kommen. Als sie das bemerkte, fing sie von selber zu sprechen an.

‚Sie wundern sich, mich hier zu sehen, Herr Courville!‘ sagte sie, ‚aber ich hoffe, Sie werden sich noch mehr gewundert haben, mich hier nicht gesehen zu haben seit Ihrer Rückkehr. Daran aber trage ich allein die Schuld.‘

‚Sie, Komtesse? Sie wollten also nicht mehr zu uns kommen?‘

‚Ich hatte mir selbst die Möglichkeit dazu verscherzt, durch mein ungehöriges Betragen bei Ihrem ersten Besuche in Dambow, nach Ihres guten Vaters Tod. Ich lerne es leider etwas schwer, mich zu bemeistern; ich tanze dann immer auf dem Seil! Vor Ihnen kann ich das ja sagen!‘ schaltete sie mit einem spöttischen Lachen ein, das sie viel älter erscheinen machte, als ihre sechzehn Jahre. ‚Vor andern betrage ich mich schon völlig comme pur sang. Ich wollte, Sie sähen mich in Berlin!‘

‚Ich bin glücklich genug, Sie hier zu sehen, Komtesse!‘ entgegnete ich ihr. Ich durfte ihr auf dem Weg nicht folgen, den sie eingeschlagen. Ich wollte das Vertrauen des Grafen verdienen, wollte, und das war doch die Hauptsache, mich der Freude nicht berauben, sie auch künftig wieder zu sehen in meinem Hause.

Sie nahm jedoch die Worte, die wie eine leere Höflichkeit klingen sollten, in ihrem wahren Sinne.

‚Und glauben Sie, daß ich nicht ebenso von Herzen froh bin, hier zu sein?‘ fiel sie mir in die Rede mit der Lebhaftigkeit, mit welcher sie zu sprechen gewohnt war. Ich habe lange darnach getrachtet, hierher zu kommen, Ihre Mutter und Sie in dem Garten, in dem Hause wiederzusehen, in welchem ich willkommen und geliebt war, bevor man sich anderwärts entschloß, mich auch nur zu bemerken. Ich sehnte mich förmlich darnach, in das Haus zu kommen, in dem ich meine arme Mutter nicht zu verleugnen brauche, wie ich es ja sonst überall – außer in der Pfarre – thun muß, wenn ich ihr gleich sein will in ihrer Liebe und in ihrem Gehorsam für den besten aller Väter, wenn ich seinem Willen und seinen Plänen nicht entgegenhandeln will. Glauben Sie es mir, Josias! ich tanze auf dem Seil! Aber ich falle nicht hinunter. Wir Dubimins haben feste Köpfe. Um mich soll mein Vater keine trübe Stunde haben!‘

‚Komtesse Franziska! nicht weiter!‘ meinte ich, und Gott weiß, was es mich kostete. ‚Wenn der Herr Graf, die Frau Baronin es hörten, wie Sie die schmerzliche Vergangenheit heraufbeschwören!‘

‚Sind Sie auch pedantisch geworden, wie der Kandidat, wie die gute Fleuron? Wollen Sie mich nicht den Tugendpreis genießen lassen, den Tag, den ich mir von der Tante Klothen dafür errungen, daß ich jetzt ganz comme il faut und durchaus präsentabel bin? Schämen Sie sich, Josias! Könnte ich denn meinen Vater lieben, anbeten, wie ich es thue, wenn ich meine Mutter zu vergessen im Stande wäre? Ich kenne Sie nicht mehr, Josias! Hatten Sie nur Mitleid mit dem Kinde, als es scheel angesehen wurde, und nicht mehr mit mir?‘

‚Mitleid mit Ihnen, Komtesse! die Sie –‘

Sie ließ mich nicht weiter sprechen.

‚Ja, Mitleid mit mir! Trotz all des Glanzes! trotz der Liebe meines Vaters! O, wir haben nicht Zeit, viel Worte zu verlieren, und Sie dürfen mit mir nicht umgehen wie die Männer, die der reichen Erbin huldigen! – In Verhältnissen, wie den meinen, wird man zeitig klug. Ich habe sehen, hören, verstehen gelernt in dem Alter, in welchem andere Kinder mit der Puppe spielen. Ich übersehe meine Zustände sehr klar und ich kenne meine Pflichten ebenso.‘

Diese Seelenstärke hatte ich nicht in ihr vermuthet – aber sie rief die meine auf, so schwer es mir ward, mich zu behaupten.

Ruhig und ernst, als hämmerte mir das Blut nicht in den Schläfen, als zöge mein Herz mich nicht, niederzuknieen vor ihr, sagte ich:

‚Ich weiß das, fühle das ja alles; aber wohin soll Sie’s führen?‘

Sie blieb stehen, sah mich an; dann gab sie mir die Hand. ‚Sie haben Recht!‘ sagte sie; ‚und nun ist’s ja auch gut. Nun habe ich, was ich gewollt, was mir gefehlt hat!‘

Ihr Ton, ihre Mienen waren wie umgewandelt. Sie blickte mir fest ins Gesicht und wiederholte: ‚Nun habe ich, was ich gewollt!‘

‚Und was ist das? Was hat Ihnen gefehlt? Was haben Sie gewollt?‘

‚Ich habe mir’s einmal vom Herzen sprechen wollen, was mir seit lange, und vollends seit ich die Gräfin Dubimin geworden bin, wie eine schwere Last auf dem Herzen gelegen hat, und‘ – sie reichte mir abermals die Hand – ich behielt sie in der meinen – ‚ich habe, wie Sie, nicht Bruder und nicht Schwester, ich habe keine Mutter, keine Kindheits-, keine Jugendfreundin, niemand als meinen Vater. Aber ich weiß es jetzt, ich weiß es ganz bestimmt; jetzt habe ich an Ihnen den Freund gefunden, dem ich mein Herz ausschütten kann, wenn es einmal mir gar zu schwer ist. Sie sind der Freund, der mir gefehlt hat, trotz der Liebe meines Vaters – der Freund in der Noth meines Alleinseins!‘

‚Ihr Freund auf jede Probe!‘ betheuerte ich, ihre Hand an meine Lippen pressend, und ich durfte ihr nicht sagen: ‚ich bete Dich an!‘ Ich durfte ihr nicht die stolze Stirn küssen, nicht die Thränen fortküssen, die in ihren Augen perlten und die sie zu zerdrücken strebte, als sie mit lächelndem Munde, die Hände zusammenschlagend, ausrief:

‚Gottlob! nun ist mir wohl, nun bin ich nicht mehr allein! Ich habe einen Vertrauten, einen Freund! Ach, Josias! Sie wissen nicht, was das für mich heißt und wie ich’s Ihnen danke!‘

Es war gut für mich, daß aus der Seitenallee die drei Frauen heraus- und vor uns hintraten, daß ich ihrem Lob der neuen Anlagen zu begegnen, mich mit ihnen zu beschäftigen hatte, und daß die Anwesenheit unserer Gäste nicht mehr lange währte.

Ich sprach Franull nicht mehr allein; sie sah heiter und zufrieden aus, redete mit voller Unbefangenheit zu mir. Eine Schwester konnte sich dem Bruder gegenüber nicht sicherer und ruhiger betragen. Mir war nichts weniger als brüderlich zu Muthe. Ich war ans Kreuz geschlagen und sollte lächeln! Ich brachte es zu Stande. Ich hielt auch Stich, als meine Mutter mir später von dem Aufsehen erzählte, welches die Schönheit der Komtesse in Berlin erregte; aber die alten Maler, welche uns die lächelnden Märtyrer gemalt, haben sehr wohl gewußt, was sie thaten, wenn sie dieselben meistens von Menschen umgeben dargestellt haben!

Als ich mich endlich allein fand, brach der Schmerz wild in mir hervor. Ich fragte mich wieder und wieder: was ist es mit der Gewalt unserer Liebe, wenn diejenige sie nicht empfindet, der sie geweiht ist, die wir mit aller ihrer Gluth umfassen? Sah, fühlte Franull es nicht, daß sie mein ganzes Dichten und Trachten war? Klang nichts in ihrer Seele wieder von alledem, was die meinige erfüllte? Oder betrog sie sich? Wußte sie alles und wollte sie mir helfen fortzukommen über das Unabänderliche? Ich fand mich nicht zurecht. – Ich bewunderte sie, ich segnete sie, ich grollte ihr, ich nannte sie fühllos! Ich verwünschte alle ihre Bewunderer und Bewerber, Hans von Klothen an ihrer Spitze! Ich verwünschte des Grafen Liebe für seine Tochter, ihre Anerkennung und die ehrbare Bürgerlichkeit meiner Familie. Es stand ja das Alles mir entgegen. Ein Landloser, ein Landstreicher hätte ich sein mögen wie der Kroat, und mit ihr, dem ehrlos geborenen Kinde, fortziehen mögen in die weite Welt, über das Weltmeer hinweg, mir meine eigene Welt, mein Liebesglück, mein täglich Brot und meinen eigenen Namen und meine eigene Ehre zu erringen! Die ganze wilde Phantastik, die tolle Ungerechtigkeit der heißen Leidenschaft hatten sich meiner bemächtigt! Und Franull ging in beglückender und beglückter Kindesliebe ruhig ihres Weges, als hätte sie kein Herz in der Brust! Stützen wollte sie sich an mir, halten wollte sie sich an mir, sich halten an mir! Und ich war selber ein Haltloser, der empörten Sinnes, nur gebunden durch die Macht der Gewohnheit, der Erziehung, in der Tretmühle des Alltagslebens, dies

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_255.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)
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