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Seite:Die Gartenlaube (1888) 258.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

wie sonst – da blinkte etwas an der Erde! Ihr kleiner Ohrring war es! Ich hob ihn auf. Er war ein Heiligthum für mich! Er hatte ihr gehört, sie hatte ihn getragen. Er war mir zugefallen!“

Von der Uhr des Wirthschaftshauses schlug es sieben. Das war die Stunde, zu welcher unser Kutscher den Befehl erhalten hatte, vorzufahren. Ich ging nach dem Balkon vor der Baronin Zimmer, wo wir die Damen verlassen. Ich fand nur meine Mutter.

‚Wo bist Du denn geblieben? Was ist vorgegangen? Die Komtesse ist unwohl aus dem Garten gekommen, hat sich zurückgezogen, ohne bei uns vorzusprechen; die Kammerjungfer ist es der Baronin melden gekommen; sie hat sich zu ihr begeben und ist noch nicht zurückgekehrt. Was ist geschehen? warum hast Du sie nicht hineingeleitet, wenn sie sich nicht gut befunden?‛ fragte meine Mutter in sichtlicher Bestürzung.

‚Sie hat mich geheißen, ihr nicht zu folgen. Es hatte sie plötzlich ein jäher Schmerz in der Brust befallen.‛

Ich fügte weiter nichts hinzu, ich fühlte, daß ich keinen Glauben fand, daß das Mutterauge nicht zu täuschen war. Die Baronin kam dann auch herbei, da das Rollen des Wagens sie gerufen. Sie sprach leichthin über den kleinen Anfall, den wohl die Hitze dem vollblütigen lieben Kinde zugezogen! Sie hatte am wenigsten Grund, mein Bleiben zu wünschen.

Wortkarger hatten wir den Weg von Dambow nach Schönfelde nie zurückgelegt, und wie große Aufregungen den Menschen hellseherisch machen, merkte. ich es meiner Mutter an, daß ihr das Herz befreit war, daß sie in ihrer Liebe und Sorge für mich aufathmete wie nach einem schweren Gewitter, das man lang heraufziehen sehen und das sich nun entladen. Wozu hätte sie auch führen fallen, die Leidenschaft, die ich von früher Jugend an für Franull gehegt? – Es war ein Glück, daß der Graf die Tochter verlobt, daß sie aus unserer Nähe fortkommen würde durch ihre Heirath; weit fort! – Es war die Rede von Klothens Versetzung nach Petersburg! – Es würde doch endlich mit mir von einer schicklichen Heirath zu reden sein, ich würde doch zu Vernunft kommen müssen.

Nichts von dem Allen wurde unterwegs gesprochen! Ich aber hörte das Alles heraus aus meiner Mutter gelegentlichen Bemerkungen während unseres Abendessens. Und bei dem Allen wußte ich im Grunde doch nicht, was ich hörte oder sprach!

Zur Vernunft kommen! Zu Verstand kommen! Ich fühlte nur zu sehr, wie sehr ich’s nöthig hatte, mich zusammen zu nehmen, wenn ich ihn nicht verlieren wollte.

Ich sprach laut mit mir selber! ich weinte! ich warf mich auf mein Lager in der Einsamkeit meines Zimmers und sprang wieder auf! Verachten Sie mich nicht, meine Freundin! Lächle nicht über den Greis, mein Kind! Die Leidenschaft in einer gesunden Seele ist eine dämonische Kraft! – Ich hatte die Pistole in der Hand! Der Gedanke an Franull hielt mich zurück! Es lag so lang, so grau, so öde vor mir, das Leben, das zu leben ich ihr gelobt.

Durch einen Zufall griff ich in die Tasche. Ihr Ohrring kam mir in die Hand. Ich drückte ihn an meine Lippen. Ihr warmes Blut hatte gegen ihn pulsirt, sie hatte ihn lange, lange getragen. Ich preßte ihn mit fester Hand mir durch das Ohr – ich trage ihn noch heute! Er soll begraben mit mir werden.

Und wie dem verirrten Wanderer in tiefem Dunkel ein Stern auftaucht, so leuchtete inmitten meiner Verzweiflung der Gedanke in mir auf: ‚Sie hat Dich doch geliebt! von je geliebt! Sie will es, daß Du lebst, und Du bist glücklicher als sie. Du brauchst sie nicht zu vergessen! Du bist frei – und bleibst es!‛ Wollte ich nicht verzweifeln, so mußte ich mich zwingen, es lernen, mich glücklich zu preisen.“

„Und Sie haben es gelernt! Sie haben es vermocht, Josias,“ sagte die Mutter, „sich und Ihr Leben zu einer Freude für andere zu machen. Sie haben empfunden, daß eine große Liebe den Menschen, dem sie zu Theil wird, erhebt, ihn adelt, ihn für sich selber heiligt; und wie Franull Sie geliebt, so haben Sie bleiben, so haben Sie sich selber sehen wollen für und für! O! nun versteh’ ich alles! Darum haben Sie beharrt in der Tracht, die Sie an jenem Tag getragen.“

„Ja! darum!“ bekräftigte Josias. „Ihr feines Herz hat es errathen. Zuerst war’s eine Schwärmerei. Alles, was sie, was Franull berührt, war zur Reliquie für mich geworden Dann befing mich die Gewohnheit und der Reiz des Eigenwillens.“

„Und so – ach Josias!“ rief ich aus, „wenn Du wüßtest, was für Kopfzerbrechen es mich gekostet, wenn sie sagten, Du seiest ein Original! – So bist Du zum Original geworden!“

Er lächelte. „Thörichte, liebe Franull!“ sagte er, aber die Mutter meinte: „Hätten wir viele solche Originale wie Sie, die Glück zu finden wissen in dem Wohl der Andern, wenn ihnen selber das Leben nicht gewährt, was sie für sich erstrebt! Was aber haben Sie gemacht mit Schönfelde und wie hat Ihre Mutter sich darein gefunden, daß Sie es verkauft?“

„Sie hat es nicht erlebt!“ antwortete Josias seufzend. „Es war so gekommen, wie Franull es mir gesagt. Sie war verlobt worden in Karlsbad, ihre Hochzeit war für den Herbst anberaumt. Ich wollte, durfte nicht in Schönfelde sein in jenem Zeitpunkte. Ich hatte wenig Mühe, meine theure Mutter zu einer Reise in den Süden zu überreden. Sie hat selber an eine solche oft gedacht, sie geplant mit meinem Vater für die Zeit meiner Rückkehr von meiner Reise. Wir machten uns im Beginn des Septembers auf den Weg, und sie genoß die Herbstmonate wie den Winter in Oberitalien und in Rom mit großer Freude; aber der tiefe Süden zeigte sich ihr verderblich. Ein Malariafieber, das sie befallen in Neapel, entriß sie mir. Ich kehrte gegen den folgenden Winter allein nach Schönfelde zurück. Der Graf Dubimin-Klothen, so nannte sich der Legationssekretär jetzt mit königlicher Bewilligung, hatte seine Flitterwochen in Dambow und Berlin verlebt und sich dann mit seiner Gemahlin nach Petersburg begeben auf seinen Posten.

Ich sah den Grafen, meinen Pathen, nach wie vor. Er und Frau von Klothen blieben mir wohlgesinnte Freunde, und ich behielt Schönfelde noch mehrere Jahre, bis es feststand, daß Graf Hans sich vom Dienste zurückziehen und mit seiner Frau und seinen Kindern bei seinem Schwiegervater in Dambow leben würde, welches er ja dereinst zu übernehmen hatte. Damit war mein Entschluß gefaßt.

Der älteste meiner Berliner Vettern war ein tüchtiger Landwirth geworden und ein Mann von Ehre durch und durch. Er hatte eigenes Vermögen von Haus aus und eine reiche, wackere Frau! Er war ein Courville, den die Familie hoch zu halten hatte.

Ihm habe ich Schönfelde abgegeben. Es ist heut noch im Besitz unserer Familie, und der König hat meinem Nachfolger in neuester Zeit den erblichen Adel verliehen. Sie nennen sich jetzt Courville von Schönfelde! Das Uebrige – nun, das wissen Sie! und möge es bleiben zwischen Ihnen, meine Freundin, Ihrem theuren Mann und diesem Kinde und mir so wie bisher! Sie drei haben mich’s vergessen machen, daß ich einsam dastehe in der Welt!“

„Und die Gräfin?“ fragte meine Mutter.

„Ich glaube, Ihnen schon gesagt zu haben, daß ihre Ehe eine durchaus glückliche geworden ist. Graf Hans ist nach allem, was ich von ihm erfahren, ein Edelmann im besten Sinne und ihrer werth. Ihr Vater hat Freude erlebt an der Tochter, dem Schwiegersohn, den Enkeln. Und hat die Gräfin von mir gehört, nun! ich hoffe, sie wird nichts von mir vernommen haben, was mich des Glücks unwerth gemacht, ihre Liebe besessen zu haben, ihre erste Liebe gewesen zu sein.“




Damit endet die Erzählung in der Tante Franziska altem Tagebuche; und es steht noch mancherlei darin, das fremd klingt in unsern Tagen. Aber wir wollen sie nicht schelten, die Zeit der romantischen Liebe! Drängt sich mir doch selber oft genug die Frage auf: ist das, was an die Stelle der Romantik getreten, besser, edler, erhebender als ihre süße Schwärmerei?

Die Antwort darauf wird verschieden genug ausfallen! – Ich für mein Theil halte die meine zurück – doch ist sie vielleicht darin zu erkennen, daß ich die Geschichte des Josias eben des Erzählens werth gefunden. Sind die Leser der gleichen Meinung, nun so erzähle ich wohl noch eine oder die andere, wie es kommt.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_258.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)
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