Verschiedene: Die Gartenlaube (1888) | |
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ganze berückende Schönheit und Grazie dieses Mädchens kam zur Geltung in dem alten Gewand, das einst die Urgroßmutter getragen, die, damals ebenfalls Hofdame in X., mit ihrer Gebieterin bei einem der Feste in Weimar zugegen gewesen, einer jener zwanglosen, witzdurchwobenen Redouten, die Karl August und Herzogin Amalie so liebten und die ein unsterblicher Geist verherrlicht hat.
Ja, an diesem Kleide hingen unvergeßliche Erinnerungen! Diese Schleppe war neben Goethe über das Parkett geglitten, damals, als er noch der Schönheit „unendlich“ huldigte. Er hatte entzückt von den Augen der jungen Baronin gesprochen und das war lebenslang der Stolz der klugen Frau geblieben In ihrem Tagebuche stand noch heute zu lesen: „Der junge Goethe, des Herzogs Freund, schäkerte sich mit allen hübschen Gesichtern herum und sagte mir etwas Liebenswürdiges über meine Augen.“ – Aus den Falten dieses Gewandes wehte noch heute ein feiner Lavendelduft, das Parfüm jener geistesvornehmen, lebensvollen, sprühenden Vergangenheit.
Es mochte wohl Se. Hoheit förmlich berauschen; denn der Herzog stand bereits seit einer Viertelstunde vor dem schönen Mädchen, das, die schweren Falten der Schleppe in der Hand, wie fluchtbereit mit unruhigen Augen an ihm vorüber spähte, als suche sie nach einer Gelegenheit zu entschlüpfen. Man hatte einen förmlichen Respektkreis um sie und den Herzog gebildet, als wollte man Sr. Hoheit um jeden Preis Gelegenheit geben, unbelauscht mit der schönen Gerold zu plaudern Und dennoch, während man dort, scheinbar mit sich selbst beschäftigt, fragte, plauderte, neckte, waren aller Augen verstohlen auf jenes unvergleichlich reizende Mädchen gerichtet, welches von herzoglicher Huld und Gnade so auffallend ausgezeichnet wurde.
Prinzeß Helene, die als Griechin gekleidet mit dem Adjutanten Sr. Hoheit in eine Quadrille eingetreten war, sah es mit heimlicher Freude; sie wandte ihr dunkles Köpfchen so energisch herum, daß alle Goldmünzen des blauen Sammetkäppchens klirrten und blitzten. Sie mußte doch sehen, wie der Baron dieses tête-à-tête vor aller Augen beurtheilte. Eben stand er noch an jenen Baumstamm gelehnt, ein Glas eisgekühlten Champagners in der Hand, mit welchem er einige Kelche berührt hatte, die ihm zwei oder drei Herren entgegenhoben. Jetzt war er verschwunden. Blitzschnell drehte sich das Köpfchen nach jener Seite, wo Claudine stand, und ihre Lippen preßten sich auf einander – denn jetzt schritt Baron Lothar auf das Paar zu.
„Verzeihung, Hoheit! Ihre Hoheit die Frau Herzogin wünschen Fräulein von Gerold zu sprechen. Darf ich bitten, Kousine?“
Der Herzog fuhr rasch mit der Hand über seinen Bart; er war gerade in einer angelegentlichen Auseinandersetzung über Kostüme und Haartrachten begriffen gewesen und schien ungern abzubrechen.
Claudine verbeugte sich tief und legte ihre Fingerspitzen auf Lothars Arm, der sie langsam dem Zelt der Herzogin zuführte.
„Treten Sie einen Moment zu Ihrer Hoheit,“ sagte er ruhig, „es möchte sonst auffallen. Nachher –“
Sie blieb stehen und sah ihm in das unbewegte Gesicht. „Ich denke, Ihre Hoheit will mich sprechen?“
„Nein,“ erwiderte er gelassen; „ich sah nur, daß Sie wie auf Nadeln standen, und erblickte hundert lauernde Augen auf Sie gerichtet. Ueberhaupt,“ fuhr er fort, „da ich Sie doch einmal hier sehen muß heute Abend, würde ich Sie am liebsten in der Nähe Ihrer Freundin bewundern. Ich denke, Sie in Ihrer blonden Schönheit neben der Andalusierin würden das reizvollste Bild des Abends sein – gönnen Sie es uns!“
Sie zog die Hand von seinem Arm zurück. Die Erleichterung, mit der sie seiner Aufforderung gefolgt war, wich einer heißen Empörung; aber sie vermochte nicht mehr zu erwidern, schon stand sie vor der Herzogin.
„Claudine,“ sagte diese und reichte ihr die Fingerspitze, „ warum tanzen Sie nicht? Ich möchte Sie in dieser Quadrille sehen; ich glaube, in jenem Karree fehlt noch das vierte Paar. Herr von Gerold, bitte!“
Sie konnte sich nicht weigern; mechanisch nahm sie seinen Arm; man hatte rasch einen Platz geschafft für den Hausherrn und seine Dame. Claudine stand Prinzeß Helene und dem Rittmeister gegenüber. Lothar blieb schweigend; es war ein merkwürdig stummes Paar, gleichwohl das schönste von allen.
Das himmelblaue Atlasröckchen der Prinzeß streifte knisternd an ihr vorüber in den Touren, eine zitternde eiskalte Hand berührte zuweilen die ihre, sie merkte es kaum. Sie sah nur einmal in das Gesicht der Prinzeß und erblickte darin eine tödliche Nichtachtung. Die schwarzen Augen bohrten sich wahrhaft grausam in die ihrigen. Es ward ihr unheimlich; sie hob wie fragend die Blicke zu dem Rittmeister, er sah sie an mit einem beredten vorwurfsvollen Ausdruck. Stolz warf sie den Kopf in den Nacken zurück, und kaum war die Schlußverbeugung des Tanzes geschehen und Lothar hatte ihr den Arm geboten, so fragte sie: „Wo ist Beate?“
„Sie wird im Schlosse sein,“ erwiderte er.
Sie dankte und schlug eilig den Weg dorthin ein. In der großen Halle hatte man, der leidenden Herzogin wegen, die Tafel gedeckt für einige wenige Auserkorene; die mächtigen Flügelthüren waren zurückgeschlagen und ließen den Blick in den erleuchteten Garten frei; die Tafel war wie hineingebettet in die Orangerie. Wirkungsvoll drapirten Joachims Teppiche, vermischt mit Waffen und Fahnen, die Wände; auch die Stufen der alten schönen Treppe waren bedeckt mit köstlichen Geweben. Die prosaische Beate hatte ein wahres dekoratives Meisterstück geschaffen.
Sie stand an der Tafel und wiederholte ihre Instruktionen einem halben Dutzend Lakaien zum so und so vielten Male. Claudine mußte lächeln, als sie sah, wie gehorsam die Leute sich dem derben Bauernmädchen gegenüber betrugen, in welch unscheinbare Tracht die Gestrenge heut geschlüpft war. Die schlug fröhlich in die Hände, als sie Claudine erblickte.
„Wahrhaftig, Herzenskind,“ rief sie; „Du bist unheimlich reizend heute in Deinem vorweltlichen Kleide da. Und wie gut sich der Urgroßmutterstaat konservirt hat, nicht einmal das Silber ist schwarz geworden!“
Sie klopfte der Kousine die Wange und küßte sie, und auf die Tafel zeigend, die blitzte und funkelte, fragte sie: „ Ist’s recht so, Claudinchen? Von dort oben, wo Ihre Hoheit sitzt, kann man das Feuerwerk am besten sehen. Du kommst hier etwas weiter unten her, diese zwölf Gedecke sind für die Prinzessinnen und ihre Kavaliere. Die Andern müssen sich an allen den kleinen Tischen im Garten oder im Saale vertheilen, wie das Geschick sie zusammenführt; dort stehen die Körbchen mit den Losen, ich habe Deinen Rath befolgt.“
„Ich bitte Dich, Beate, laß mich von der herzoglichen Tafel weg,“ rief Claudine flehend, „ich sitze irgend wo anders lieber.“
„Damit mir Deine Hoheit den ganzen Abend ein böses Gesicht zieht! Nein, mein Schatz, daraus wird nichts; beiße nur in den sauren Apfel. Wer Dein Nachbar wird, weiß ich allerdings nicht. Aber verzeih, ich muß noch einmal zu der Mamsell.“
„Beate!“ rief Claudine und suchte den blüthenweißen Aermel der Bäuerin zu fassen; aber diese war schon hinter dem Teppich verschwunden, der den Korridor heute von der Halle abschloß. Sie blieb allein und schritt zögernd wieder dem Ausgang zu; sie stand dann draußen auf der Plattform und schaute in den Garten. Am liebsten wäre sie noch in dieser Minnte auf den dünnen Sohlen die steinigen Waldwege entlang gewandert nach ihrem friedvollen, weltabgeschiedenen Heim. Drüben klangen jetzt die Töne eines Walzers; ihr war so bitter zu Muthe. Sie wußte sich frei von Schuld, und dennoch wich ein beklemmendes Gefühl nicht von ihr. Sie wußte, daß thatsächlich der Herzog deshalb noch zugesagt hatte, weil die Durchreise des Großherzogs von Z., den zu begrüßen er nach der nächsten Bahnstation hatte fahren wollen, abgemeldet war. Und dennoch, auf all diesen Gesichtern hatte sie einen so sonderbaren Ausdruck gelesen, devot, neugierig, lüstern. Man war so beflissen gewesen, zurückzutreten, als Seine Hoheit sich näherte, und er hatte sie aus der Nähe des Herzogs entfernt mit einer Bemerkung, so unartig, so unritterlich wie möglich!
Sie preßte die Lippen auf einander; das bittere Lächeln war erstorben, dem alten herben stolzen Ausdruck gewichen.
Sie hob plötzlich den Kopf. Ein eigentümlicher Laut, der grell über der gedämpften Musik schwebte, ließ sie aufhorchen; sie wußte nicht, kam er aus der Halle oder von draußen. Es klang wie der ängstliche Schrei eines Thieres. Aber jetzt – nein, das war eine Kinderstimme – angstvoll, gellend scholl sie herunter von dort oben. Im nächsten Augenblick flog Claudine die Stufen empor, eilte durch den breiten oberen Korridor und trat in die weit geöffnete Thür, aus der die Klagetöne erschollen.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 263. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_263.jpg&oldid=- (Version vom 24.7.2016)