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Seite:Die Gartenlaube (1888) 271.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

sei es instinktartig, sei es in der bewußten Absicht, um das Uebergewicht auszugleichen, welches jede ihrer Genossinnen äußerlich besaß und innerlich sich anmaßte. Auch das Mitleid mochte dabei ins Spiel kommen: einen Leidenden berührt man mit linderen Händen, spricht man mit sanfterer Stimme an; man dämpft auch den gewohnten festen oder harten oder dröhnenden Schritt und die sonst spröde Geduld wird zähe im Anhören und Nachgeben. Und eine Leidende war sie ja, eine schmerzlich Leidende, wie jeder, bei dem sich ein einzelnes Organ unnatürlich vergrößert und erweitert – ihre Seele war zu groß gerathen für den Körper, der sie fassen sollte.

Wo aber überdies noch die Sorge um den täglichen Lebensbedarf an einen Kranken tritt, da hält sie ihm ein Vergrößerungsglas vor die fiebernden Augen und sein Leiden erscheint ihm dann im erhöhten Grade schwer, schmerzlich, gefährlich. Fräulein Almer war auch recht arm als die Tochter einer in dürftigen Verhältnissen lebenden und außerdem kränklichen Witwe; beide lebten von einer Jahrespension, die beiläufig der Monatsausgabe einer einfachen bürgerlichen Familie entsprach. Dies war es wohl auch gewesen, was auf dem armen Kind von früh auf gelastet hatte. Die Noth daheim, der Druck draußen – das war wie der unfruchtbare Steinboden unten und der Sturm oben, welche das Nadelholz niederzwingen. So war sie an den Boden gedrückt geblieben und wäre doch an sonniger Lage vielleicht als ein schlanker Baum emporgewachsen. Da sie jetzt den Sturm der Kunstbegeisterung, welcher ihre Seele durchbrauste, aus sich hervorrauschen lassen wollte durch den weiten Menschenwald, daß alle die hohen Wipfel von ihm durchschüttert in Erregung geriethen, schwankend, bebend, sich neigend – da war sie ein kümmerlich Krummholz geblieben. Das Leid hierüber sowie das Weh über die Stichelreden ihrer Umgebung kam jetzt noch dazu, und aus alledem entstand eine Herbigkeit, welche sie von innen heraus zusammenzog und nicht weiter gedeihen ließ.

Aeußerlich freilich merkte man ihr das nicht an; höchst selten und auch da jedesmal nur wider Willen entschlüpfte ihr ein Wort über ihr Mißgeschick. Das sah dann aus wie ein winziges Wölklein, das zufällig oder muthwillig mitten an einen blauen Himmel gerathen war; wer indeß näher zuschaute, merkte, daß nur ein einziger Sturmstoß herüber zu blasen brauchte, und im Umsehen war diese ganze trügerische Himmelsbläue ein gewitterschweres schwarzgraues Dämmern. Sie war noch jung, hatte jedoch genugsam gesehen und gehört, wie die Welt so oft Mitleid hegt mit manchem, was sie verachten sollte, dagegen zumeist nur Spott und Hohn bereit hält für jenen Kummer, der sich an eine echte heilige Begeisterung anlehnt. Sie erfuhr auch jetzt als Krummholz unter ihren tannenschlanken Genossinnen zur Genüge, daß die Glücklichen eine Unglückliche gar nicht begreifen.

So trug sie denn für die Anderen die reine Himmelsbläue zur Schau, und dabei geschah es, daß sie zuweilen selbst daran glaubte. Ja es kam vor, daß sie sich künstlich in diesen Glauben einzulullen versuchte und ihr Mißgeschick mit allen Mitteln vor sich selbst hinwegzutäuschen strebte. Dieser Trieb trat recht sichtlich an ihrer Kleidung zu Tage. In ihrer Armuth trug sie dünne fadenscheinige Fähnchen, wie sie die dürftigste dienende Klasse trägt, aber in anderer Weise zugerichtet. Wo diese mit jedem Haarbreit des Stoffes kargt und den Feldzug sparsamer Armuth gegen jedes unnütze Zuviel in der Ausdehnung, gegen jede überflüssige Falte führt, zeigte sich im Gegentheil an ihrer Gewandung eine gewisse Weitschweifigkeit im Schnitte, ein breiter, freier Wurf, welcher jeder Mode spottete. Das war ihr Luxus, mit dem sie ihr kleines und schmales Ich zu erweitern sich abmühte; freilich nützte es nicht viel, und sie sah immer aus, als ob sie in der Eile oder Zerstreuung das Kleid einer älteren Schwester angezogen hätte. Ein anderer Luxus war der unabänderlich sehr helle Grundton ihrer spärlichen Kleider, welcher gewiß großer Vorsicht, Aufsicht und Mühe bedurfte, um sich in seiner stets fleckenlosen Sauberkeit zu behaupten. Aber sie mied die dunkle Farbe, welche mit dem Lichte zugleich die Umrisse der Person in sich einsaugt und sie verkleinert erscheinen läßt. So kämpfte sie einerseits mit der hellen Farbe des schlichten Gewandes gegen eine weitere Verkümmerung ihrer kümmerlichen Größe und Breite, sowie sie andererseits ihr Persönchen nach unten durch dicke Sohlen und steile Absätze, nach oben durch den thurmartigen Aufbau des üppigen Haares zu verlängern bemüht war.

Dies Alles gab ihr eine kleine Portion Selbstgefühl, wie es ja auch sonst das Ich in sich verspürt, wenn es durch Schleppen, hohe Hüte, Federbüsche vergrößert wird. Dem Fernerstehenden erschien das komisch, dem ihr Näherstehenden und mit den Verhältnissen Vertrauten dagegen tragisch, Mitleid und Furcht zugleich erweckend: Mitleid für all dies vergebliche Streben, sich selbst hinaufzutäuschen, Furcht für den Augenblick der letzten Entscheidung. Die Erinnerung an den Gutmüthigen und an seinen Galeazzo Visconti mit der Quaresima stieg einem dabei doch zuweilen wie eine ernste Mahnung vor den Gedanken auf.

Da starb ihre Mutter, welche schon lange gekränkelt hatte, so daß sie nun ganz vereinsamt war – und auch ganz hilflos; denn die kümmerliche Jahrespension erlosch mit dem Tode der Witwe. In Berücksichtigung dieser Lage und in Anbetracht ihres außerordentlichen Fleißes erhielt sie sogleich ein außerordentliches Stipendium vom Konservatorium. Auch sonst hatte sich infolge dieses Todesfalles ihr ganzes Leben freundlicher gestaltet. In dem Hause, in welchem sie mit ihrer Mutter zwei Dachkämmerchen innegehabt hatte, herrschte als unumschränkte Gebieterin Fräulein Nina Haushuber, eine Tante des Hausherrn. Diese hatte sich der Aufbahrung und des Leichenbegängnisses der Mutter vollständig angenommen, als sie sah, wie die Tochter vor Schmerz dessen ganz unfähig war. Sie war mit Jakobäa auch auf den Friedhof hinausgefahren und nahm sie von dort in ihrem Wagen wieder heim. Als sie vor dem Hause aus dem Wagen stiegen, neigte sie sich ein wenig – sie war sehr groß – und bot Jakobäa den Arm. So führte sie die noch immerfort Schluchzende die Treppe hinauf in den ersten Stock, hielt sie aber auch da noch mit einem sanften Armdruck fest, als dieselbe sich anschickte, alle die weiteren Stiegen bis zu den Dachkämmerchen emporzuklettern. Sie zog, indem sie sich dabei beständig gegen ihre kleine Begleiterin neigte, das Mädchen in ihre Wohnung, nahm ihr Hut und Mantel ab, setzte sie auf einen Stuhl und wischte ihr die Thränen aus den Augen: alles das, wie man mit einem kleinen Kinde fürsorglich umgeht, welches sich noch nichts selber machen kann. Dann feuchtete sie ein Tuch an und wischte die Thränenspuren von Jakobäas Wangen.

„So!“ – sagte sie, ihr Werk mit Befriedigung betrachtend. – „Und jetzt … sehen Sie, dort auf der anderen Seite des Ganges wohnt der Florian, mein Neffe, hier in diesen zwei Zimmern hause ich, und da“ – sie öffnete eine Seitenthüre – „da wohnen Sie von heute ab. Ich habe schon alles herrichten lassen; die alten Möbel oben verkaufen Sie dem Trödler! Aber hinauf in die alte Wohnung dürfen Sie mir nicht mehr, die Magd wird Ihnen alle Ihre Sachen gleich heruntertragen! So … und jetzt lasse ich Sie allein – aber Sie dürfen mir nicht etwa da sitzen und weinen, sondern Ihre Wäsche und die Bücher schön in die Kästen einräumen, daß Sie auf andere Gedanken kommen! Und noch eines: Sie werden mit uns essen … nun, das wäre schön, daß Sie darüber roth werden möchten! Wie wenn ich Sie nicht mehr brauchen würde, als Sie mich! Als ob Sie mir nicht dafür Gesellschaft leisten würden! Sie wissen ja“ – Jakobäa hatte aber keine Ahnung davon – „wie notwendig ich jemand um mich brauche! Die Hauswirtschaft für zwei Leute giebt nicht so viel zu thun, daß man die zwölf Stunden des Tages damit ausfüllen kann, und die übrige Zeit ist es dann um nach her so still und langweilig … mein Neffe, der Florian ist nämlich gar nicht lustig.“

Nein, der Hausherr Florian Haushuber war in der That ganz und gar nicht lustig, während seine Tante, Fräulein Nina Haushuber, sehr lustig war. Und beides war sehr verwunderlich: Fräulein Nina hatte nämlich bereits ihren sechzigsten Geburtstag gefeiert, Florian erst den fünfundzwanzigsten. Jedoch Florian war auch nicht eben traurig – er war nur immer sehr ruhig und schwamm ohne jegliche Aufregung mit einem stets gleichmäßigen Tempo im Meere der Behaglichkeit dahin. Alle Aufregung, die von außen hätte an ihn gelangen können, nahm Fräulein Nina auf sich; sie liebte das, es war ihr Element. Sie ragte schützend wie ein Windfänger vor ihrem Neffen; kein widriges Lüftchen sollte ihn ansäuseln. Das Vermiethen und Ausmiethen, die Streitigkeiten mit den Miethparteien und Unannehmlichkeiten mit den Handwerkern, die Ueberwachung der Gas- und Wasserhähne, die Oberherrschaft über den Hausbesorger, die Verhandlungen mit dem Steueramt und allen anderen Aemtern,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_271.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)
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