Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1888) 303.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

gelegt auf die Nachwirkungen als auf die Wirkungen der Kur, und das war doch noch ein Trost oder wenigstens, wie Walther von der Vogelweide sagt. „ein kleines Troestelin“. Und die Eiche sammt der Gedenktafel mahnte wieder und wieder: Beharrlichkeit führt zum Sieg.

In Wien entspann sich das gewohnte Leben. Endlich war auch die Zeit vorübergestrichen, welche die gepriesenen Nachwirkungen der Karlsbader Kur bringen sollte. Fräulein Nina verspürte dieselben zuerst in unwiderleglicher Weise: sie mußte etwas Goldrente verkaufen, um die Kluft zu überbrücken, welche jene vier Kilogramm in die sonst so eben verlaufende Finanzgebarung des Hauses gerissen hatten. An Florian traten die Nachwirkungen in der Form zu Tage, daß er genau um die kostbaren verlorenen vier Kilogramm wieder zugenommen hatte. Er stellte dies auf seiner eigenen Dezimalwage fest und ließ es sich noch am selben Tage auf den Wagen zweier Kaufleute in der Nachbarschaft bestätigen.

An Jakobäa zeigten sich die Nachwirkungen nicht äußerlich. Selbst dieses „Troestelin“ ging ihr verloren; sie war auch hinterdrein nicht „stattlicher“ geworden. So kam es, daß sich dieselben dafür innerlich bemerkbar machten. Ihr Wesen vertiefte sich von dieser Zeit an zu einer beständigen stillen Schwermuth. Man merkte, wie sie sich gewaltsam aufstacheln mußte, mit an den Vorgängen und Reden um sich her überhaupt einen Antheil zu nehmen. Jene Hoffnungsfreudigkeit, welche sich ehedem hier und da in heftigen Ergießungen Luft gemacht hatte, war nun ganz versiegt. Selbst das Interesse an der künstlerischen Umwandlung des herrlichen großen Menschen war auf einmal spurlos versickert wie ein Wüstenquell im Sande.

Und doch hätte sie eben jetzt triftige Ursache gehabt, sich ihrer Erfolge zu freuen. Der gutmüthige Florian nahm sich das trübselige theilnahmslose Dahinstarren Jakobäas ernstlich zu Herzen und that nun manches aus eigenem Antrieb, wozu ihn früher selbst Jakobäa nicht hatte bewegen können. Der Ohrring war verschwunden; die starren Stoppeln auf seinem Haupte hatten sich zu blonden Locken ausgewachsen; der Bart war wohl gepflegt und an den Enden genau so flockig gekräuselt, wie Florian dies auf einem Selbstporträt von Rubens gesehen hatte. Die Löckchen unter dem Künstlerhut, der kecklich nur so darüber hingeworfen war, schwankten bei jedem Schritte , die Bartspitzen vibrirten leise, die Halstuchenden flatterten wie Fähnlein, der Flaus warf nachlässig großartige Falten. Aber es fruchtete nichts. Jakobäa ließ sich hierdurch weder begeistern noch rühren, noch auch fand sie ein Wort der Anerkennung dafür. Er setzte sich dicht vor sie hin in das volle Licht, er schritt sehr langsam vor ihr auf und ab – sie schien es gar nicht zu bemerken. Und sie mit einem Scherzwort wie ehedem anzureden, um sie aufmerksam zu machen, das wagte er jetzt nicht mehr; es war in neuerer Zeit etwas Unnahbares an ihr, was ihm hierzu alle Luft benahm.

Eines Tages faßte er sich endlich ein Herz, stellte sich knapp vor sie hin und sagte: „ Fräulein Aea, brauchen Sie mich denn jetzt gar nicht mehr? Ich meine, des Stichwortes halber … wenn es Ihnen recht ist, so lerne ich den Ingomar auswendig. Etwas kann ich schon.“

Er steckte die rechte Hand in die Weste, so daß sie gerade über das aufgeregt klopfende Herz zu liegen kam, und stellte den linken Fuß beträchtlich vor. Dann begann er zu deklamiren.

Es war dieselbe Art kindlichen Fibelrecitirens wie damals; nur klang das Hochdeutsche jetzt etwas selbstbewußter und noch gespreizter. Vergebens wartete er darauf, daß sie wieder sagen würde: „Mein Gott, was wären Sie für ein wunderbarer Herodes … u. s. w.“

Sie hörte zerstreut zu und unterbrach ihn plötzlich ganz kühl. „Aber, Herr Haushuber, wozu denn diese große unnütze Mühe? Das Auswendiglernen ist ja ganz überflüssig, das Lesen würde da vollständig genügen. Aber auch dafür muß ich Ihnen herzlich danken, ich studire derzeit andere Dinge.“

Fräulein Nina saß ganz erstarrt da und blickte regungslos gen Himmel, wo wieder einmal Monsieur Demarre verwundert niederblickte. Dann stand sie mit Mühe auf, sank aber sogleich wieder auf den Stuhl zurück, weil die Kniee unter ihr zusammenknickten und die Füße den Dienst versagten. Endlich erhob sie sich mit einem gewaltsamen Rucke, schlich in die Küche hinaus und betrachtete dort eine kupferne Gugelhupfform mit einem Interesse, als ob sie dergleichen noch nie gesehen hätte und der Zweck dieses seltsamen Apparates in der Schöpfung ihr ganz unerfindlich wäre. Schließlich löste sich die Spannung in den Worten: „Den Ingomar auswendig! Der Florian! – Ganz wie der arme selige Monsieur Demarre, welcher am Ende auch ein französisches Gedicht mir auswendig vordeklamirte, als ihm das Herz schon zu voll war! Der Mensch erlebt viel, wenn er alt wird. Du guter Gott, der arme Junge ist ja zum Sterben verliebt!“

Das war Florian auch in der That; aber er selbst wußte nichts davon, und für andere merkbar wurde es erst, seit sich Jakobäa nicht mehr um ihn kümmerte. Da er unmittelbar durch seine Persönlichkeit ihr auch nicht das unbedeutendste Zeichen von Theilnahme entlocken konnte, so gerieth er auf den Gedanken, daß er dies vielleicht mittelbar durch seine Kunstwerke erreichen könne. Seitdem hockte er wie angekettet im Atelier und malte an einer Landschaft. Es war die Eiche unter dem Hirschensprung in Karlsbad sammt der Bank in ihrem Schattenbereich, dem Lieblingsplätzchen Jakobäas. Vorher hatte sich das Unerhörte ereignet, daß Florian eine Reise auf das Land antrat; dort hatte er sich in Begleitung eines Waldhegers in die Wälder hineingewagt, um sich ein entsprechendes Modell persönlich zu suchen. Der so mühselig gefundene und theuer erkaufte junge Eichenbaum ward dann bei Nacht und Herbstnebel auf einem Fuhrwerk geheimnißvoll in das Atelier emporgeschmuggelt. Beim Morgengrauen saß Florian bereits vor seinem Modell und begann es zu kopiren. Jede seine Unebenheit, jeder Riß, jede Rauhheit der Rinde wurde mit verzweifeltem Ringen nach Treue zur Geltung gebracht, jede winzige Ausschürfung deutlich und bestimmt angebracht, als ob er mit einem Vergrößerungsglas vor den Augen dasäße. Die kleinsten Knötchen und Anschwellungen der Aeste wurden haarscharf wiedergegeben, jedes Zweiglein des Hintergrundes bis in das feinste Detail abgemalt, wie es ein Durchschnittsauge nur mit einem Opernglas wahrnehmen kann. Die Blätter wurden abgezählt, und jegliches Blatt war ein Porträt. Das Ganze war getreuer als eine Photographie, und Florian hätte damit auch nie ein Ende gefunden, wenn nicht der Baum in der Temperatur des Ateliers welk geworden wäre. So sah schließlich die Krone auf dem Bilde wohl ziemlich gelichtet aus, aber die Wurzeln umfaßten und umklammerten gleichwohl, wie bei dem Karlsbader Urbild, den Felsen, welcher ebenfalls mit den unwesentlichsten Einzelnheiten nachgeahmt erschien. Unten auf dem Wege vor der Bank lagen drei wohl porträtirte Kieselsteine und ringsherum, in erstaunlicher Nachbildung der Natur, der Sand und die zerkrümelte Erde. An der Felswand glänzte die Tafel mit der Inschrift: Beharrlichkeit führt zum Sieg!

Als er fertig war und Jakobäa das Bild schenkte, da fing sie plötzlich zu weinen an und drückte ihm schluchzend die Hand.

„Aber … Fräulein Aea …?“ rief er ganz bestürzt.

„Dank, tausend Dank, Herr Haushuber! Sie sind so gut gegen mich! Sie wissen ja nicht …“ und dabei wandte sie sich und eilte hinaus.

Nein, er wußte wirklich nicht und blickte ihr verstört nach. Aber er besaß einen unerschöpflichen Grundstock von Zähigkeit, die sich nicht abschrecken ließ. Den ganzen Winter hindurch malte er nichts mehr; wenn man ihn nach seinen Arbeiten fragte, murmelte er etwas von Kartons. Als die ersten Frühlingstage hereinzogen, ließ er ein Gerüst um sein Haus schlagen und kroch dann langsam hinauf. Bange knarrte die Leiter unter der wuchtvollen Last, aber er machte sich nichts daraus: er kam sich vor wie Michel Angelo, der zu der Wand der Sixtina emporklettert, oder wie Tizian an der Hausfront des Fondaco dei Tedeschi in Venedig. Und nun malte er die Wände vom Dach bis an den Erdboden voll, zwar nicht al fresco, wie jene zwei großen Vorbilder, sondern in Oelfarben, aber erstaunlich rasch nach den im Winter ausgeführten geheimnißvollen Kartons.

Als das Gerüst beseitigt worden war, sah man zu unterst die allegorischen Figuren des Fleißes, der Sparsamkeit, der Häuslichkeit prangen, darüber die neun Musen, oben die Medaillonbildnisse von Dürer, Raphael, Lionardo, Correggio, Tizian, Rubens. Dazwischen spreizte sich ein offener Riesenfächer, auf dessen einzelnen Theilen die Werke, die Florian bisher geschaffen, zu sehen waren: ein Trafiktürke, ein schön frisirter Herrenkopf, ein Löwe mit dem Kerzenbündel, ein blauer Adler u. s. w. Die eine freie

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 303. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_303.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)
OSZAR »