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Seite:Die Gartenlaube (1888) 306.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

auf die Galerie gestellt. Er hatte überlaut bei Jakobäas Auftreten applaudirt und war in der That handgreiflich geworden, als Gelächter, Zischen und Stampfen gegen den Gast losbrach. Wie der Applaus mit so wuchtigen Händen etwas besonders Nachdrucksvolles hatte, so auch die Thätlichkeiten; er dagegen bedauerte bloß, daß er seinen Ingrimm nur den nächsten Nachbarn zu kosten geben und nicht mit einer Riesenhand diesem ganzen Publikum auf einmal einen einzigen ungeheueren Backenstreich verabreichen konnte. Das Haus mit den neun Musen blieb eine Macht und einen Tag lang seines Herrn beraubt; dieser war in Baden sehr beschäftigt und konnte nicht abkommen. Denn das Publikum war höchst entrüstet und Polizei und Bezirksgericht waren deshalb höchst neugierig geworden. Am zweiten Tage gelangte von Baden ein Telegramm an Fräulein Nina, worauf von dieser sofort eine telegraphische Geldanweisung an Herrn Florian Haushuber in Baden erging; darauf erlebte die Strafgelderabtheilung der Badener Armenkaste eine ansehnliche Bereicherung und Herr Haushuber durfte heimkehren. Fräulein Nina empfing ihn wie einen siegreichen Helden, der seinen Triumphzug hält, und Jakobäa stand harrend an der Thürschwelle, um ihm die Hand zu drücken. Sie war bleich wie nie, dunkle Ringe umschatteten ihre Augen. Florian wurde ganz roth bei ihrem Händedruck und ging eilig in sein Atelier.

Dort lag ein Haufen inzwischen angelangter Briefe aufgestapelt. Er sah sich das ganze Päckchen bloß von oben hin mit einem verächtlichen Blick an – wußte er doch, was darin stand. Er war in der neuesten Zeit eine Art künstlerischen Beiraths des ganzen Stadtviertels geworden; seitdem er sich mit Künstlerhut und Flaus, mit flatternden Halstuchzipfeln und Locken in den Straßen zeigte, galt er als ein Universalgenie, wie etwa Lionardo und Michel Angelo, der Mann mit den vier Seelen. Die krausesten Bestellungen kamen ihm infolge dessen von selbst hereingeweht. Endlich riß er doch den ersten Brief auf; der reichste Selcher des Viertels bestellte für sein Auslegefenster wörtlich: „ein Donauweibchen, ganz so wie das im Stadtparke von Hans Gasser, aber in Schweinefett auszuführen.“ – In dem zweiten Brief forderte ein Zuckerbäcker eine Gefrorenesform für den Kopf der Lucca, indem er unter anderem erwähnte. „… man ißt das reizende Näschen, dann – kurz es soll die Lucca sein, wie sie auch sonst ist: zum Ansehen herzig, nur hier buchstäblich. Das ist einmal eine Aufgabe für Sie, Herr Haushuber …“

Nein, der Mann des Zuckers täuschte sich wie der Mann des Fettes: das waren keine Aufgaben mehr für Herrn Florian Haushuber, auch nicht alle ähnlichen Rohheiten und Greuel eines verirrten oder verkommenen Geschmackes – wenn sie es auch einmal gewesen waren. Von heute an nicht mehr!

Er packte plötzlich alle übrigen noch uneröffneten Briefe mit einem Griff, knüllte sie mit einem zweiten zusammen und warf sie in den Ofen. Als er dabei an den Fuß der Staffelei gerieth, schleuderte er ihn fort, so daß sie sammt dem Bilde mit dröhnendem Gepolter hinfiel. Dann warf er sich in den Lehnstuhl und stieß mit dem Fuße verächtlich alles weit von sich, was da unten in dessen Bereiche lag.

„Kunst!“ brummte er ingrimmig. „Gerümpel, ja! Diese Maulaffen in Baden! Wie sie blökten und zischten … eine Herde von Schafen und Gänsen! Und das will etwas von Kunst verstehen! Das will die Aea begreifen! Vor dergleichen soll sich die Aea jeden Abend hinstellen, um sich begaffen, mustern, bekritteln, bespötteln zu lassen? Aber ich, freilich ich gelte diesen Herden für einen Künstler. Ich! … es wäre so ungeheuer lächerlich, wenn es nicht so erbärmlich dumm wäre und wenn ich mich nicht selbst dafür gehalten hätte. Natürlich! Weil ich mit Flaus und Schattenspenderhut herumgerannt bin wie ein rechter Narr, darum bin ich ein Künstler … nun so, ganz so, wie die Holzpuppe mit dem Wachskopf in dem Ladenfenster einer Kleiderhandlung ein Mensch ist. Was ich da auf mein Haus hingekleckst habe, das ist für sie Kunst, das bewundern diese Schwachköpfe … nun ja, wie oft stellte ich mich dort gegenüber hin und habe es selber mit angestaunt … natürlich, weil ich just so viel von der wahren Kunst verstehe, weiß und kann wie die Anderen. Da haben sie freilich die Aea als Melpomene nicht ausgezischt, sondern mit offenen Mäulern diese jämmerliche Karikatur angestaunt, die ich an die Wand geschmiert habe … ich auch, ich bin so förmlich auf mein Werk stolz gewesen! Es ist mir gerade, als ob ich diese Zeit über betrunken oder verrückt gewesen wäre! Vielleicht ganz hirnlos!“

Er sprang auf und begann in dem Atelier alles klein zu schlagen. Er that das mit einer gewissen wohlbedachten Ruhe, ohne Uebereilung und nach einer strengen Ordnung: es blieb auch nicht ein Gegenstand ganz oder heil.

Fräulein Nina stand in der Thür und rang die Hände, aber sie wagte sich nicht hinein. Dergleichen hatte man an dem friedlichen, stillen, beharrlich lächelnden Florian nie erlebt; es wäre ihr auch ganz undenkbar erschienen, wenn sie es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte. Das war offenbar eine entsetzliche Krise: entweder nachtwandelte er, oder er befand sich in einem Delirium, oder war tobsüchtig. Sie schickte sogleich nach dem Hausarzt, welcher jedoch in diesem Augenblicke leider nicht daheim war.

Als Florian mit seinem großen Zerstörungswerke fertig war, warf er den Flaus ab und schürzte die Hemdärmel hinauf wie in den guten alten Zeiten, da er noch kein Kunstmaler war. Hierauf riß er einen Riesentopf aus dem Kasten hervor, und alsbald entwickelte sich ein eifriges hastiges Schaffen, ein Herbeiholen, Hineinschütten, Uebergießen, Umrühren, schließlich ein endloses Durchwühlen und Stampfen, als ob er buttern würde. Als er einmal anhielt, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen, stand Fräulein Nina vor ihm.

„Was machst Du denn da, Florian?“ sagte sie in jenem behutsam sanften Tone, in dem man schwer Erkrankte mit reizbaren Nerven anredet.

„Aschgraue Oelfarbe.“

„So viel? Wozu denn so schrecklich viel, Florian?“

„Für unser Haus. Morgen wird es angestrichen.“

„Was? Die schönen Malereien …“

„Werden morgen aschgrau überstrichen. Ja, Tante, morgen, und grau, asch – grau, wie es sich für einen Bürger und Schildermaler schickt.“

Fräulein Nina zog sich entsetzt aus den Trümmern des Ateliers zurück; der Ton, in welchem Florian redete, war so nachdrücklich, daß er nicht einmal den Gedanken an eine Widerrede aufkommen ließ. Man hatte ihr den armen Jungen in Baden umgetauscht: ein Lamm hatte sie aus ihrer Obhut entlassen, ein Tiger war heimgekehrt.

Florian aber wühlte und rührte unverdrossen weiter, er stampfte alle seine aschgrauen Gedanken in das Aschgrau des Riesentopfes hinein. Dann blickte er mit Befriedigung auf die abschreckende Farbe, die er endlich zu Stande gebracht hatte, und auf den Greuel der Verwüstung, welchen er um sich geschaffen. Hierdurch einigermaßen besänftigt, rückte er seinen Lehnstuhl, dem jetzt eine Armlehne fehlte, zum Fenster und riß dasselbe auf, um Luft zu schöpfen und sich von der wackern Arbeit abzukühlen. Er zündete eine Cigarre an und blickte den Rauchwölklein nach. Sie waren grau – das that ihm wohl, der Rauch aus dem Schornstein gegenüber war gleichfalls grau – das stimmte ihn milder: eine bunte Farbe hätte ihn heute zu einer argen Gewaltthat reizen können. Ein Rascheln ließ ihn aufblicken – es war ein Blatt Papier, das auf dem Fensterbrett oder auf einem der jetzt zertrümmerten Möbel gelegen hatte und jetzt von dem Luftzuge des offenen Fensters über die Dielen hingeweht wurde. Florian erhaschte es und las:

     „Du warst mir werth
Und bist es noch und wirst mir’s immer sein,
Gleich einem lieben Reis’genossen, den
Auf kurzer Ueberfahrt des Zufalls Laune
In unsern Rachen führte, bis das Ziel erreicht
und scheidend jeder wandelt seinen Pfad …“
 Grillparzers „Sappho“.

Es war Jakobäas Handschrift, und Florian konnte nicht begreifen, wie das Blatt in das Atelier gerathen war. Er legte die Verse vor sich auf das Fensterbrett, blickte abwechselnd in dieselben und hinaus nach den grauen Rauchwölkchen – „Und scheidend jeder wandelt seinen Pfad …“ las er noch einmal – wozu sie das abgeschrieben haben mochte?

Jakobäa war auf ihr Zimmer gegangen. Sie schien bloß auf Florian gewartet zu haben, um ihm zu danken, ehe sie ausging; denn Jacke, Hut und Handschuhe lagen vorbereitet da. Sie zog sich rasch an, ein jähes Beben durchzuckte dabei den zarten Körper.

So mögen in dem Berge des Aeolos die Stürme wild die Pforten schütteln, an den Wänden nagen und den allzu engen Raum aufzubrechen drohen … Dann öffnet wohl der Vater

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_306.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2019)
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