Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1888) 315.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

In unvorhergesehener Weise entwickelte sich das Institut der Pferdebahnen, deren erste Linie, und zwar diejenige nach Charlottenburg, 1865 entstand. Kurz vorher noch hatten einige englische Unternehmer den Berliner Magistrat gebeten, ihnen eine Konzession zur Errichtung von Pferdebahnstrecken zu ertheilen – sie waren abschlägig beschieden worden, weil ein Bedürfniß dazu nicht vorhanden war! Nach dem Friedensschlusse 1871 nahm die neue Einrichtung einen zunächst nur allmählichen, dann aber plötzlich ganz gewaltigen Aufschwung; auch innerhalb der Stadt wurden nun die Geleise gelegt, deren Gesammtlänge nach zwei Jahren 12 000 Meter betrug.

Zettelankleber.

Ein Jahrzehnt später war diese Ziffer auf 200 000 Meter angewachsen, und seitdem hat sie von Jahr zu Jahr enorm zugenommen, denn die umfangreichen Mittel der einzelnen Gesellschaften, namentlich der Großen Berliner Pferdebahngesellschaft, deren Waggons täglich von etwa 180 000 Menschen benutzt werden mit einer regelmäßigen Einnahme von ungefähr 22 000 Mark, ermöglichen es ihnen, die Bedingungen der städtischen Verwaltung in jeglicher Weise zu erfüllen und materielle Schwierigkeiten überhaupt nicht kennen zu brauchen. Wohin man daher jetzt den Fuß in Berlin setzt, ob nach dem äußersten Norden oder dem entlegensten Süden: das Läuten der Pferdebahn wird stets zu vernehmen sein und die vielverschlungenen Linien gestatten uns schnell die Fahrt zu irgend einem anderen Punkte der Stadt.

Wenn aber die ganze Einwohnerschaft mit Freuden diese Ausbreitung der Pferdebahn begrüßte, einen Stand giebt es doch, der dieselbe mit stillem, oft auch mit lautem Haß und Neid verfolgt – es ist die ehrbare und ehrwürdige Kaste der Droschkenkutscher in Berlin, die ziemlich rein und unverfälscht unter ihren Genossen das Berlinerthum früherer Zeiten mit ungehobelter Derbheit, aber auch meist mit treffendem Witz bewahrt hat. Und wir begreifen diese gründliche Feindschaft, die sich häufig zu gehässigen Streitigkeiten verleiten läßt, recht wohl; denn die Pferdebahn macht ja den Droschken erhebliche Konkurrenz und mindert die Einnahmen der Kutscher um Beträchtliches herab, die wehmüthig auf jene Zeiten zurückschauen mögen, in denen sie allein das Regiment in Händen hatten, und die Passagiere von ihrer Gnade resp. Ungnade abhängig waren. 1816 tauchten in Berlin, wo es vorher nur gelbgestrichene Fiaker gegeben, die jedoch in den Kriegszeiten vollständig von der Bildfläche verschwunden waren, zuerst die Droschken auf, deren Bezeichnung dem Russischen entlehnt ist. Sie vermehrten sich beträchtlich, als die ersten Eisenbahnlinien mit Berlin verknüpft wurden und das Verkehrsleben dadurch einschneidende Veränderungen erhielt, erst in den letzten Jahren trat eine Verminderung ein, und große Hellseher wollen so auch das Jahrhundert bereits vorausbestimmen, wo gleich einer dunklen Sage nur noch das Gerücht von „Droschken zweiter Güte“ kündet und ein Exemplar derselben im Märkischen Museum lautes Staunen hervorruft. Vorläufig giebt es aber noch immer 4500 Droschken in Berlin, welche trotz aller Nebenbuhlerschaft im letzten Jahre an 15½ Millionen Personen beförderten.

Blumenverkäuferin.

Bald nach der Mündung verschiedentlicher Eisenbahnen in Berlin kamen auch die Omnibusse auf, welche den Wandel der Zeiten kaum miterlebt zu haben scheinen; denn, wenn sich alles um sie her veränderte, sie thaten es fast nicht und humpeln und schwanken noch heute in ziemlich derselben Gestalt über das Pflaster, wie vor zwanzig, vor dreißig Jahren. Dies ist wohl teilweise mit der Grund, daß sie sich nur in ganz bestimmten kleinbürgerlichen Volksschichten einiger Beliebtheit erfreuen und daß sie es niemals auch nur annähernd zu der Bedeutung gebracht haben, wie ihre Kollegen in Paris und London. Im Gegenteil: für viele Berliner gilt es durchaus nicht als „vornehm“, in einem Omnibus zu fahren und wenn man sie wirklich dabei ertappte, würde es ihnen gerade so fatal sein, als ob man sie bei irgend einem thörichten Streiche erwischt hätte. Die „Ableger“ der Omnibusse, die Thorwagen, sind fast ganz verschwunden; einige schöne Sonntage vielleicht rufen ihnen ihre frühere Blüthezeit ins Gedächtniß zurück, und auch den Kremsern wird es wahrscheinlich allmählich ebenso ergehen. Stadt-, Pferde- und Dampfbahn treten ihre Erbschaft an und führen die Ausflugslustigen viel rascher und bequemer nach ihren Zielen. Ob auch gemütlicher? – Das ist eine andere Frage; denn gemütlich waren sie doch, diese Kremserpartien, hinaus nach dem Grunewald, hin zu den Ufern der Oberspree, in dem rumpelnden Kasten dicht zusammengedrängt eine Menge vergnügter, fröhlicher Menschen mit gutem Berliner Humor und schlagfertigem Berliner Witz, mit großem Durst und dem ernsten Bestreben, die freien Stunden auszunutzen und sie in denkbarster Heiterkeit zu begehen! Diese Naturwüchsigkeit des Berliners, diese Ungenirtheit unter Hunderten und Tausenden fremder Menschen, wer weiß, ob sie nicht von den „modernen Allüren“ der Kaiserstadt verschlungen wird, ob der Berliner nach und nach nicht ganz in dem Weltstädter untergeht!

So bedeutend wie der kurz skizzirte Verkehr zu Lande ist nun freilich derjenige zu Wasser nicht, obgleich auch er beträchtlichen Umfang angenommen hat und in stetem, fortschreitendem Wachstum begriffen ist. Es ist eine auffällige Erscheinung, und jeglicher, der im Sommer nur einmal die Spree entlang fuhr, wird sie beobachtet haben – der Berliner hat eine merkwürdige Leidenschaft für das Wasser. Zu seinen höchsten Genüssen gehört es, auf einem kleinen Nachen, auf einem Segelboot, auf einem Dampfer die Fluthen der heimathlichen Gewässer zu durchfurchen, und so ist denn auch die Spree, besonders in der Gegend bei Treptow und Stralau, an schönen Tagen derart belebt, daß man glauben könnte, Berlin wäre Seestadt und jeder Berliner Junge führe schon früh,

Steinträger.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 315. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_315.jpg&oldid=- (Version vom 24.7.2016)
OSZAR »