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Seite:Die Gartenlaube (1888) 322.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

zum Unterrichtsdirigenten ernannt; erster Lehrer wurde der jetzige Oberlehrer G. Eckler, zugleich Bibliothekar der neu gegründeten Turnbibliothek, die sich unter seiner Verwaltung rasch zu einer der bedeutendsten auf dem Turngebiet entwickelt hat. Man glaubte in Berliner turnerischen Kreisen, der Kaiser werde der neuen Anstalt kein besonderes Interesse mehr zuwenden; ich widersprach dem von vornherein und ich hatte mich nicht geirrt. Um 1 Uhr am 18. März 1878 war die Vorstellung angesetzt; kurz vorher erschien der Kronprinz Friedrich Wilhelm und bald verkündete brausendes Hochrufen der auf dem Schulhof aufgestellten neunhundert Schüler des Gymnasiums und ihrer Lehrer des Kaisers Ankunft. Raschen Schrittes trat der greise Monarch in die Halle ein, begrüßte die anwesenden Gäste und ging dann, begleitet von dem Minister Dr. Falk und dem Direktor Geh. Rath Waetzoldt, die Reihen der Eleven entlang, ließ sich Namen, Stellung und Heimath der einzelnen angeben und wechselte fast mit jedem an leutseliges Wort, besonders aber mit denen, deren Brust militärische Ehrenzeichen schmückten. Dann begannen die Uebungen, sie dauerten über dreiviertel Stunden. Wiederholt äußerte der Kaiser seine hohe Zufriedenheit; auch der kräftige Männergesang, mit welchem man den Reigen („Auf, Ihr Brüder, laßt uns wallen“) begleitete, wurde belobt. Dem Minister dankte der Kaiser, daß er ihm Gelegenheit gegeben habe, der Vorstellung beizuwohnen. An die Eleven, die ich einen Halbkreis hatte bilden lassen, richtete er dann etwa folgende Worte.

„Ich habe mich sehr gefreut über die Frische und Straffheit, die Sie bei den Uebungen gezeigt haben. Suchen Sie nun das, was Sie hier gelernt und geleistet haben, auch in den Schulen zu verwerthen. Zwar gilt das Turnen in der Schule nur als ein Nebenfach; aber es macht frisch und lebendig, es ist wichtig und notwendig. Ich habe mich sehr gefreut und spreche Ihnen meinen Dank aus.“

Im nächsten Jahre konnte der Kaiser nicht zur Vorstellung kommen; 1879 war die neue Turnlehrer-Bildungsanstalt fertiggestellt; wir zogen ein, es war an feierlicher Festakt; aber die eigentliche Weihe erhielt die Anstalt erst am 18. März 1880 durch den Kaiser und den Kronprinzen. Es war dabei zum ersten Mal ermöglicht, Uebungen zu zeigen, welche innerhalb des Bereiches des Schulturnens lagen, aber bisher wegen mangelnden Raumes nicht hatten vorgenommen werden können: Gerwerfen, Stabspringen, Ringen. Der Kaiser nahm einen Ger in die Hand, die Uebungen gefielen ihm sehr. Auch fand es seinen Beifall, daß die Ringer, bevor sie sich umfaßten, sich die Hände gaben und dies wiederholten, nachdem der Kampf durch die Niederlage des einen Kämpfers beendet war.

Im folgenden Jahre 1881 hatte ich zwar nicht in der Turnlehrer-Bildungsanstalt, aber an einem andern Ort die Ehre, dem Kaiser Schüler in ihren turnerischen Leistungen vorführen zu dürfen.

Das königliche Joachimsthalsche Gymnasium, die Stiftung eines Vorfahren des Kaisers, des Kurfürsten Joachim Friedrich (1607), hatte sein zu eng gewordenes Haus in der Burgstraße verlassen und war nach dem neugegründeten großartigen Heim vor der Stadt übergesiedelt. Am 22. Oktober fand die feierliche Einweihung statt. Der Kaiser, der sich für den Bau lebhaft interessirt hatte, welchem die Pläne vor der Ausführung vorgelegt worden waren, erschien bei derselben. Es wird allen Anwesenden unvergeßlich bleiben, wie der greise Monarch, nachdem Minister von Puttkamer und der Direktor Dr. Schaper gesprochen, sich erhob, mit kräftiger, die ganze gewaltige Aula beherrschender Stimme eine Ansprache an die Versammlung richtete und dann sich noch besonders an die Schüler wandte: „Es sei zu Ihnen gesprochen, die Sie hier die erste Erziehung erhalten. Vergessen Sie nicht, was der Staat und die Lehrer für Sie gethan, so werden Sie tüchtige, treue Unterthanen werden; dann wird es in Preußen immer wohl stehen, wie die Stifter es bei der Gründung und Erhaltung dieser Anstalt beabsichtigt haben. Das walte Gott!“

Der Kaiser machte alsdann einen Rundgang durch die Räume der Anstalt; er besuchte das Alumnat, trat in einige Stuben ein, unterhielt sich mit den Schülern, besichtigte den Schlafsaal, besuchte auch die Küche und kam dann in die für die Schule eigens erbaute, auch im Winter zu benutzende Schwimmanstalt. Bei seinem Eintritte stürzte sich eine Anzahl Schüler in Schwimmkleidung von allen Seiten ins Wasser zum sichtlichen Ergötzen des Kaisers. Dann erschien derselbe in der mit Geräthen reich ausgestatteten Turnhalle. Daselbst hatte ich, der ich damals den Turnunterricht an der Anstalt leitete, 96 Primaner und Sekundaner, die während des Rundganges des Kaisers rasch nach der Halle geeilt waren, in zwei langen Reihen aufgestellt. Ich trat an den Kaiser heran und fragte, ob Majestät befehle, daß die Schüler einige Turnübungen ausführten. „Gewiß!“ sagte der Kaiser. Ich ließ etwa eine Viertelstunde alle Schüler gleichzeitig zuerst unter meinem Befehl, dann in Riegen unter Vorturnern turnen. Es war dies ein anderes Bild, als das in der Turnlehrer-Bildungsanstalt gewöhnlich gebotene. Der Kaiser sah mit sichtlichem Gefallen zu und sprach seine Anerkennung aus. Beim Verlassen des Saales ging er an den Turnern vorbei und äußerte bei einer Riege: „Die haben’s am besten gemacht“; es waren Oberprimaner und in der That die besten Turner. Und dann ging der Kaiser, nachdem er auch in eine Lehrerwohnung eingetreten war, wieder zum Wagen, ohne jede Spur von Ermüdung!

Das war das letzte Mal, daß es mir persönlich vergönnt war, dem Kaiser die eigenen Schüler vorzuführen. Aber noch dreimal konnte ich Turnvorstellungen als Gast beiwohnen, welche vor dem Kaiser abgehalten wurden. Es geschah dies zunächst am 25. Februar 1882 in der königlichen Militärturnanstalt, welche unter der Leitung des Oberstlieutenants von Dresky steht.

Diejenigen Leser der „Gartenlaube“, welche in den letzten Jahrzehnten in der deutschen Armee gedient und auch geturnt haben, erinnern sich eines von allen Ungeschickten gefürchteten Turngeräthes, des sogenannten Sprungkastens. Die vielen Klagen über die Verletzungen, welche die Turnenden infolge des Mißlingens der Uebungen davontrugen, hatten veranlaßt, daß das Geräth vorläufig außer Gebrauch gesetzt wurde. Während des Turnens der Offiziere wandte sich der Kaiser zu mir und sagte:

„Sie vermissen wohl den Sprungkasten; welche Erfahrungen haben Sie denn an demselben gemacht?“

„Majestät,“ erwiderte ich, „unsere Erfahrungen kann ich nur als günstig bezeichnen; in den mehr als zwanzig Jahren, in denen ich Schüler an demselben turnen lasse, ist niemals ein irgend bemerkenswerter Unfall passirt.“

Zur Aufklärung dieser scheinbar befremdenden Thatsache sei bemerkt, daß, wie bei allen Uebungen, so auch bei denen am Sprungkasten im Schulturnen langsam und methodisch von Klasse zu Klasse aufsteigend vorgegangen wird, während bei dem Militärturnen in verhältnißmäßig kurzer Zeit von zum Theil unbeholfenen Soldaten die nicht leichten Uebungen bewältigt werden sollten.

Auch im Jahre 1883 erschien der Kaiser in der Anstalt; dann kam das Jahr 1884. Außer dem Kronprinzen und Prinzen Friedrich Karl war auch Prinz Wilhelm zugegen, und welche Fülle von hohen Offizieren! Der Kaiser fuhr vor; jede Unterstützung zurückweisend, stieg er aus dem Wagen, trat raschen Schrittes ein, begrüßte die Anwesenden, ging an der Reihe der hundert aufgestellten Offiziere entlang, unterhielt sich dann, während jene sich umkleideten, mit den anwesenden Gästen, kam auch grüßend auf unsere Gruppe zu und sprach mit Geheimrath Waetzoldt über die kurz vorher beendeten und diesmal ganz besonders lebhaft und lang andauernd gewesenen Verhandlungen im Abgeordnetenhaus über den Kultusetat, eine bis ins Einzelne gehende Kenntniß des Ganges der Debatten bekundend! Und die Uebungen verfolgte der Kaiser mit einer Lebhaftigkeit und Frische, die seine Jahre durchaus vergessen ließen. Alles interessirte ihn. Er ließ sich ein Bajonettfechtgewehr geben und versuchte selbst die Elasticität des mit einer Feder zur Abschwächung des Stoßes versehenen Bajonetts; jede Uebung beobachtete er und machte darüber dem Direktor, Oberstlieutenant von Dresky, seine Bemerkungen. Den Anstaltsarzt, Oberstabsarzt Dr. Burchardt, fragte er nach dem Gesundheitszustand während des Kursus; es freute ihn, daß die Frage, ob während des Kursus schwerere Verletzungen vorgekommen seien, verneint werden konnte. Und so blieb der greise siebenundachtzigjährige Monarch wieder volle dreiviertel Stunden in der Anstalt, ohne sich auch nur irgendwo anzulehnen, frei stehend und frei sich bewegend.

Den Vorstellungen in den folgenden Jahren hat der Kaiser nicht mehr beigewohnt.

Ich darf hier etwas einschieben. Ich hatte den Turnunterricht in dem Kaiserin-Augusta-Stift zu Charlottenburg eingerichtet

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_322.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)
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