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Seite:Die Gartenlaube (1888) 347.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

so lang ein Stein an dem Gebäude Italiens fehlt, daß er wirklich der Mann der Vorsehung gewesen?

Nur zwei Züge findet Garibaldi aus seiner Kindheit und Knabenzeit erzählenswerth: daß er mit sieben Jahren einmal aus Ungeschick einer Grille ein Beinchen ausgerissen und sich viele Stunden lang nicht darüber zu trösten vermochte und daß er in diesem Alter einer armen Frau, die beim Waschen ins Wasser gefallen war, das Leben rettete, obwohl ihm eine umgebundene Jagdtasche das Schwimmen erschwerte; denn er war „als Amphibium zur Welt gekommen“, und dieser Vertrautheit mit dem furchtbaren Element hatten bekanntlich viele seiner Mitgeschöpfe ihre Rettung zu danken.

Diesen frühen Trieb der Nächstenliebe wie überhaupt alles Gute seiner Natur dankt er, wie er bekennt, einzig seiner Mutter, welcher er durch seine gefahrvolle Laufbahn so vielen Kummer bereitet. Daß er auch ihre letzten Jahre nicht zu versüßen vermochte, bleibt das Bedauern seines ganzen Lebens. Oft beim Toben des Oceans oder im Schlachtensturm erscheint ihm als plötzliche Vision das Bild der zärtlichen Mutter auf den Knieen im Gebet für ihn und er fühlt sich gefeit und stark gegen alle Gefahren, bis ihm einmal während seines zweiten Exils bei einem der fürchterlichsten Wirbelstürme auf dem Stillen Ocean ein Traumgesicht ihren wirklich um diese Stunde erfolgten Tod verkündigt.

Welch eine Laufbahn in diesen dürftigen Blättern! Von der Heimath ausgestoßen, die er zu früh befreien gewollt, und zur Befreiung eines fremden Landes über den Ocean berufen, heut’ siegreich, morgen geschlagen, schiffbrüchig an den Strand geworfen, dann aufs neue Herr der Gewässer, vom Korsaren, den die Schiffe von Montevideo verfolgen, zum Befehlshaber der ganzen Land- und Seemacht dieser Republik aufgestiegen – und wenige Jahre darauf in der zweiten Verbannung als Lichterfabrikant wiederum auf amerikanischem Boden und vergebens auf einem englischen Schiff den Posten eines Lastträgers erbittend!

Doch die Thaten des Helden gehören der Weltgeschichte an; wir gehen lieber den wenigen persönlichen Zügen nach, die hier nicht wie in den von fremder Hand geschriebenen Biographien von den Ranken der Legende umwuchert sind.

Schon die erste Anekdote zeigt den ganzen Mann.

Im Dienst der kleinen Republik von Rio-Grande, die gegen das mächtige Brasilien Krieg führte, bietet er auf einem Fischerboot allein mit zwölf Genossen dem ganzen Kaiserreich Trotz und läßt zuerst das Banner der Unabhängigkeit auf jenen Gewässern flattern. Doch als dem jungen Korsaren als erste Prise eine brasilianische Kaffeeladung in den Weg kam und von den zu Tode erschrockenen Passagieren einer ihm knieend ein Kästchen mit drei kostbaren Diamanten überreichte, wies Garibaldi nicht nur das Geschenk zurück, sondern schärfte den Seinigen aufs strengste ein, alles Privateigenthum zu schonen, und ließ Bemannung und Passagiere außer ihrem eigenen Gepäck noch so viel sie wollten an Lebensmitteln ausschiffen und mit sich nehmen.

Mit dem weggenommenen brasilianischen Schooner „Luisa“ erreichte man die Küste von Uruguay; doch der Staat von Montevideo hatte gegen alles Erwarten das Banner von Rio-Grande nicht anerkannt und einen Haftbefehl gegen Garibaldi erlassen. Eilig schifft er sich wieder ein und steuert trotz gefährlicher Winde den Rio de la Plata hinauf, jedoch ein seltsamer Zwischenfall bedroht unterwegs sein und seiner Gefährten Leben. Bei der Ueberstürzung der Abfahrt hatten die Matrosen ohne Wissen des Kommandanten alle Waffen in eine Kajüte neben den Kompaß geworfen, um sie näher zur Hand zu haben. Zum Glück mochte Garibaldi in jener Nacht nicht schlafen und hielt sich in der Nähe des Steuers, um nach der ihrer gefahrvollen Riffe wegen berüchtigten Küste zwischen Maldonado und Montevideo auszuspähen. Die Nacht war dunkel und stürmisch; nichtsdestoweniger vermochte das geübte Seemannsauge mühelos die Küste zu erkennen, die trotz der entgegengesetzten Manöver des Steuermanns näher und näher kam. Um Mitternacht ertönt der Ruf „Land!“ Doch es ist eine schwarze Klippenmasse, die den Erschrockenen entgegenstarrt, und schon ist das Schiff von ihren unwiderstehlichen Strudeln ergriffen. Alles scheint verloren, die Bemannung ist kopflos; aber Garibaldi zwingt das Schicksal, indem er selbst mit sicherem Blick und festem Kommando das Schiff zwischen den grauenvollen Riffen durchsteuert, wo bei der leisesten Berührung das schwache Fahrzeug zerschellen mußte. Erst als die Gefahr vorüber war, erfuhr er die Ursache desselben; die schwere Eisenmenge, die neben dem Kompaß aufgehäuft lag, hatte auf die Magnetnadel eingewirkt und war schuld, daß das Schiff seinen Kurs verlor.

So gelangte man glücklich an das Vorgebirge von Jesus Maria, doch nun brach bei der kleinen Bemannung der Hunger aus. Vier Meilen landeinwärts hatte Garibaldi zwar eine kleine Farm entdeckt, aber sein Schiff durfte sich nicht an das ungastliche Ufer wagen; es fehlte das Boot, um zu landen, und der Wind, der von den Pampas her blies, der gefürchtetste in jenen Regionen, hätte selbst einem starken Nachen die Landung erschwert – wie viel mehr dem wunderlichen Fahrzeug, dem Garihaldi sich mit einem Matrosen anvertraute! Er ließ nämlich ein Brett an zwei Fäßchen befestigen, pflanzte als Mast eine Stange darauf, woran die Kleider aufgehängt wurden, und mit diesem Floß schwammen die Beiden, nachdem sie lange genug in der Brandung umher gewirbelt, wie durch ein Wunder aus Land.

Von den Felsen der Küste erblickt Garibaldi zum ersten Mal die Pampas, und die wilde, freie, jungfräuliche Natur entzückt sein europäisches Auge. Er sieht den Strauß, die Gazelle, die beim Anblick des Menschen die Flucht ergreifen, den Büffel, der sich ihm drohend in den Weg stellt, den wilden Hengst, den „Sultan der Wüste, umgeben von seiner reizenden Odaliskenschar“, der sich neugierig nähert und mit ihm scherzen möchte. Doch wie groß ist das Erstaunen des jungen Korsaren, als er auf der einsamen Farm inmitten der Wildniß eine reizende junge Frau findet, die Gattin des Verwalters und obendrein Dichterin! Er wird von ihr aufs gastlichste bewirthet; sie spricht ihm von Dante und Petrarca, sie schenkt ihm die Gedichte von Quintana und recitirt ihm ihre eigenen, die er, obwohl nur ein schwacher Kenner des Spanischen, von Herzen bewundert, und daß er ihr ein ganzes Kapitel seiner kargen Memoiren widmet, beweist den tiefen Eindruck, den die romantische Begegnung auf ihn hervorgebracht hat.

Endlich erschien auch der Gemahl und mit ihm wurde Garibaldi über ein Stück gehörntes Schlachtvieh handelseinig, das alsbald an den Strand geführt, geschlachtet und zerlegt wurde, und mit dieser köstlichen Fracht, die er sorglich an den Mast seines improvisirten Fahrzeugs band, erreichte er unter vermehrten Schwierigkeiten und Gefahren endlich wieder das Schiff, wo seine Gefährten unterdessen noch mehr um die Sicherheit des Ochsen als um seine eigene gezittert hatten.

Des andern Tages kamen zwei Schaluppen von Montevideo aus in Sicht. Sie schienen zwar nichts Böses im Schilde zu führen; dennoch schöpfte Garibaldi Verdacht und ließ für alle Fälle die Waffen bereithalten. Das größere der beiden Boote, auf dem nur drei Mann zu sehen waren, kam ganz nahe heran; plötzlich ertönt eine Stimme vom Bord, die unser Korsarenschiff auffordert, sich zu ergeben, und zugleich füllt sich das Deck mit Bewaffneten. Schnell hat sich ein erbittertes Gefecht entsponnen, das erste in Garibaldis kriegerischer Laufbahn. Die italienische Bemannung wehrt sich mit Löwenmuth, und es gelingt ihr, den Feind in die Flucht zu schlagen, doch ihr tapferer Steuermann ist gefallen, Garibaldi selbst auf den Tod verwundet und keiner an Bord, der die geringsten geographischen Kenntnisse besäße. In dieser Noth wurde vor dem schwerverletzten Kapitän die Seekarte ausgebreitet, und er bezeichnete noch mit halbverlöschendem Blick einen Punkt im Flusse Paranà, den er mit größeren Lettern geschrieben sah.

Auf diese Weise kamen sie endlich nach Galeguay, wo Garibaldi von der Bevölkerung freundlich aufgenommen und seine Wunde geheilt wurde; nur durfte er sich ohne Erlaubniß der Regierung nicht entfernen – mit einem Wort, er war gefangen, und diese Lage auf die Länge zu ertragen, war Garibaldi nicht der Mann. Er wagt einen unglücklichen Fluchtversuch, wird eingeholt und mit gebundenen Händen, die Füße unter den Sattel festgeschnallt, wie ein Missethäter noch Galeguay zurückgeführt.

Unter dem Gefängnißthor erwartete ihn der Kommandant Millan, der, nicht ahnend, weß Geistes Kind er vor sich hatte, ihn nach seinen Mitschuldigen fragte und auf Garibaldis Weigerung, die Freunde zu verrathen, wüthend mit der Peitsche auf den Gefesselten einhieb. Doch dieser blieb bei seinem Nein, und nun schritt der würdige Kommandant zur Folter. Man schlang dem Gefangenen ein Seil um die rückwärts gebundenen Hände und ließ ihn so zwei Stunden lang an einem Balken aufgehängt in der Luft schweben.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 347. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_347.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)
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